Weshalb sich das Bild vom faulen Arbeitnehmenden so hartnäckig hält, fragt sich Politikwissenschafterin Barbara Prainsack in ihrem Gastkommentar – und liefert Argumente, warum das Vorurteil nicht stimmt.

Ein Feldversuch ließ kürzlich aufhorchen: Insgesamt 2900 Angestellte in den unterschiedlichsten Branchen im Vereinigten Königreich hatten, bei gleichbleibendem Lohn, die Viertagewoche ausprobiert. Das Experiment war ein Erfolg: Angestellte berichteten von weniger Stress, besserer Vereinbarkeit mit Sorgearbeit und mehr Erholung.

Für die Mehrheit der Firmen blieb die Produktivität stabil, ohne dass sie neue Mitarbeiter einstellen mussten. Krankenstände und Kündigungen gingen zurück. 56 der insgesamt 61 teilnehmenden Firmen führen die Viertagewoche vorerst weiter.

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Interessant sind nicht nur die in Zahlen messbaren Ergebnisse. Das Experiment scheint die Mär von faulen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu widerlegen, die gerade genau so viel tun, wie sie müssen – und es sich auf dem Sofa gemütlich machen, sobald Müßiggang nicht sanktioniert wird. Die Idee, man müsse Leute durch Kürzung finanzieller Leistungen zur (Mehr-)Arbeit zwingen, wurzelt in diesem Menschenbild. Empirisch haltbar ist Letzteres nicht. Auch im britischen Experiment wäre die Produktivität proportional zur Kürzung der Arbeitszeit gesunken, würden alle genau so viel arbeiten, wie sie müssen.

Weshalb hält sich das Bild vom faulen Arbeitnehmenden trotzdem so hartnäckig? Zum Teil deshalb, weil Arbeit ein stark moralisiertes Thema ist. Die Idee, Arbeit müsse mühsam sein, ist tief in unserer Kultur verankert. Auch wenn die meisten heute nicht mehr wie im Mittelalter das kontemplative gottgefällige Leben als Ideal sehen, so wird Lohnarbeit immer noch als Mühsal, Last oder sogar Strafe aufgefasst. Auch deshalb ist es für viele so schwer vorstellbar, dass es für den Wunsch nach einer kürzeren Arbeitswoche auch andere Motive als Bequemlichkeit gibt. Und dass sie als Möglichkeit gesehen werden kann, Erwerbsarbeit erholter und weniger gestresst zu tun.

Starkes Ungleichgewicht

Zudem ist es Zeit, damit aufhören, nur Erwerbsarbeit als Arbeit zu sehen. Ebenso beharrlich wie die Mär der faulen Arbeitnehmenden hält sich etwa die Aussage, Frauen arbeiteten weniger als Männer. Das ist schlichtweg falsch. Bereits vor der Pandemie verrichteten Frauen weltweit im Durchschnitt zweieinhalbmal so viel unbezahlte Arbeit wie Männer. Die Zahlen für Österreich: Hier verbrachten Männer im Durchschnitt 2,3 Stunden am Tag mit unbezahlter Arbeit – und Frauen 4,5. Die Pandemie hat dieses Ungleichgewicht noch weiter verstärkt. Trotzdem haben Frauen einen kleineren Anteil an Einkommen und Vermögen. Der Satz, Leistung müsse sich lohnen, wird so zur Verhöhnung.

Unsere Arbeitsmarktdebatte würde gut daran tun, weniger Klischees zu bemühen und stattdessen die strukturellen Ursachen ohne ideologische Scheuklappen zu beheben. Wie das geht? Beginnen wir mit der Teilzeit. So überfällig der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen ist, diese Maßnahme allein ist nicht genug. 80 Prozent der Männer und fast zwei Drittel der Frauen, die derzeit Teilzeit arbeiten, haben dafür andere Gründe als Betreuungspflichten.

"Wenn wir den Arbeitskräftemangel lösen wollen, müssen wir auch unsere politische Ökonomie neu denken."

Oft gibt es keine passenden Vollzeitstellen. Manchmal lohnt es sich finanziell nicht. Häufig ist die Belastung zu hoch. Wie bei der Pflegekraft, die unter so schwierigen Bedingungen arbeitet, dass ein Vollzeitjob nicht mehr zu schaffen ist. Oder beim Lehrer, der "freiwillig" in die Teilzeit wechselt, weil er sonst ins Burnout schlittert. Viele dieser Menschen tun dieselbe Arbeit, die noch vor wenigen Jahren eine Vollzeitarbeitskraft verrichtet hatte, als Teilzeitarbeiterin und Teilzeitarbeiter – mit allen finanziellen Nachteilen.

Dazu kommt, dass in den letzten drei Jahrzehnten in der gesamten industrialisierten Welt die Löhne mit den Produktivitätsgewinnen und den Renditen auf Kapitalvermögen nicht Schritt hielten. Der Anstieg der Lebenshaltungskosten spitzt die Situation weiter zu: Immer mehr Menschen können sich das Leben trotz Vollzeiterwerbstätigkeit nicht mehr leisten. "Ich kann mir auch mit einem Vollzeitjob keine Wohnung leisten", sagte mir kürzlich ein 20-Jähriger, als ich ihn fragte, warum er lieber mit Teilzeitjob bei seinen Eltern wohnt, anstatt sich einen Vollzeitjob zu suchen. Dazu kommen unterschiedliche Formen der Prekarisierung – nicht nur in Amazon-Lagern und bei Zustelldiensten, sondern auch in altehrwürdigen Institutionen wie Universitäten.

Im Überfluss

In den 1920er-Jahren sagte der Ökonom John Maynard Keynes voraus, die Generation seiner Enkelkinder würde nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten. Den Rest der Zeit könnten sie mit anderen Dingen verbringen, die ihnen Erfüllung bringen. Er ging davon aus, dass die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr von Knappheit, sondern von Überfluss geprägt sein werde. Auch wenn es sich für viele nicht so anfühlt: Wir leben tatsächlich in einer Gesellschaft des Überflusses. Das Problem ist die ungleiche Verteilung. Wenn wir den Arbeitskräftemangel lösen wollen, müssen wir auch unsere politische Ökonomie neu denken. (Barbara Prainsack, 25.2.2023)