Pamela Rendi-Wagner und Michael Häupl sitzen an einem Tisch in Gelbmanns Gaststube und schäkern. Die SPÖ-Chefin wird selten als locker beschrieben, gerade wirkt sie aber überraschend entspannt: Sie witzelt, lacht, tätschelt Häupls Schulter. Das Wirtshaus habe sie ausgewählt, behauptet Rendi-Wagner. Er bestellt einen Spritzwein, sie schließt sich an. Im tobenden Führungsstreit stellt sich nun Wiens Altbürgermeister an die Seite der Titelverteidigerin – für ein Doppelinterview in Häupls Heimatbezirk Ottakring.

Eine Schlacht sei die Vorsitzfindung der SPÖ nicht. In Wien habe der Zweikampf um eine Nachfolge jedenfalls gut funktioniert, findet Michael Häupl.
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STANDARD: Ihre Konkurrenten Hans Peter Doskozil und Andreas Babler haben Touren durch Österreich geplant, Programme und Websites erstellt. Nur Sie scheinen wenig um den Parteivorsitz zu kämpfen. Haben Sie schon aufgegeben?

Rendi-Wagner: Im Gegenteil. Aber ich bin Parteivorsitzende und habe Verantwortung. Trotz Mitgliederbefragung und Parteitags kann die politische Arbeit nicht stillstehen – da kann man nicht die Stopptaste drücken, um einen Wahlkampf zu machen. Wäre ich nicht im Amt, wäre die Situation anders.

STANDARD: Herr Häupl, als Sie Ihr Bürgermeisteramt abgegeben haben, sagten Sie, Sie wollen nicht zum kommentierenden Balkon-Muppet werden. Sie haben sich auch im Wiener Zweikampf zurückgehalten. Warum werfen Sie sich ausgerechnet in diese Schlacht?

Häupl: Ich sehe das nicht als Schlacht. In Wien hat man eine Personalentscheidung getroffen, ohne dass man sich anfliegt, garstig oder untergriffig ist. Michael Ludwig und Andreas Schieder haben das erwachsen ausgetragen.

STANDARD: Aber warum unterstützen Sie Pamela Rendi-Wagner?

Häupl: Ich bin für die Pam, weil eine gewählte Parteivorsitzende ein Recht auf Loyalität hat. Und ich sehe keinen einzigen inhaltlichen Grund, warum ich ihr diese verweigern sollte. Keinen einzigen. Von Andi Babler habe ich programmatische Aussagen gehört, die ich kenne und überwiegend teile. Von Hans Peter Doskozil habe ich bisher nur wenig programmatische Aussagen gehört. Außer das, was er schon im Burgenland gemacht hat. Ich wüsste nicht, warum ich für ihn eintreten soll.

STANDARD: Frau Rendi-Wagner, Ihre Gegner werfen Ihnen vor: Man weiß nicht, wofür die SPÖ unter Ihrer Führung steht. Was ist Ihnen als Vorsitzende das Allerwichtigste?

Rendi-Wagner: Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollten miteinander kämpfen und nicht gegeneinander. Ich bin für weniger Egoismus und mehr Solidarität in der Partei.

STANDARD: Aber wofür steht die SPÖ inhaltlich unter Ihnen?

Rendi-Wagner: Gerade in Zeiten wie diesen: für die Bekämpfung der Teuerung und ein leistbares Leben für alle. Ich bin für die gerechte Verteilung von Vermögen; für die Sicherstellung und Weiterentwicklung des Gesundheits- und Pflegewesens, für Chancengerechtigkeit, den Ausbau der ganztägigen Gratiskinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr und ganztägige Schulen in ganz Österreich. Ich stehe auch für eine Politik, die sich mit der Zukunft befasst. Die nächsten 20 Jahre sind geprägt von der großen Herausforderung der Energiewende, die eine zutiefst soziale Frage ist.

"Für Millionäre sind wir keine Partei", sagt Michael Häupl. Denn die "brauchen keine Chancengerechtigkeit. Die können sie sich kaufen", ergänzt Pamela Rendi-Wagner.
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STANDARD: Geht es für die SPÖ noch um Klassenkampf, oder soll sie eine Partei für alle sein?

Rendi-Wagner: Sozialdemokratie ist meinem Verständnis nach eine Bewegung, die die Breite der Gesellschaft abbildet, von Arbeiterinnen und Arbeitern bis hin zu Künstlern und Intellektuellen.

Häupl: Für Millionäre sind wir keine Partei.

Rendi-Wagner: Die brauchen keine Chancengerechtigkeit. Die können sie sich kaufen.

Häupl: Wenn es die SPÖ nicht gibt, wird sich um das soziale Wohl der Menschen niemand kümmern. Darum müssen wir die Personaldiskussion rasch beenden. Wir bieten seit Monaten eine erbärmliche Darstellung.

STANDARD: Sie und Doskozil werden nicht am Parteitag antreten, sollte keiner von Ihnen als Nummer eins aus dem Mitgliedervotum hervorgehen. Babler will eine Stichwahl. Warum unterstützen Sie das nicht?

Rendi-Wagner: Ich respektiere das Ergebnis. Wenn ich nicht das nötige Vertrauen der Mitglieder bekomme, ist das auch ein klares Zeichen. Dann braucht es einen ehrlichen Schlussstrich.

STANDARD: Sie wollten die Vorsitzfrage ursprünglich auf einem Sonderparteitag klären.

Rendi-Wagner: Nach der Kärnten-Wahl gab es den Wunsch nach Klärung. Die einen wollten einen Sonderparteitag, Hans Peter Doskozil eine Mitgliederbefragung. Jetzt ist es, wie es ist. Hätte ich es mir grundsätzlich anders gewünscht? Ja. Wäre es anders gegangen? Nein.

STANDARD: Herr Häupl, halten Sie die Mitgliederbefragung für einen Fehler?

Häupl: Ich werde den Teufel tun und jetzt Balkon-Muppet spielen und sagen, der Parteivorstand hat was Falsches getan.

Ob die Mitgliederbefragung ein Fehler war, will Michael Häupl nicht beantworten.
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STANDARD: Beim Thema Flucht und Migration wird Ihnen auch aus der eigenen Partei vorgeworfen, dass Sie keine klare Linie vertreten. Was ist denn Ihre Position?

Rendi-Wagner: Wir haben eine ganz klare Linie – nämlich bizarrerweise das Kaiser-Doskozil-Papier. Das gibt eine eindeutige Marschrichtung vor. Die gilt für Hans Peter Doskozil, für Andreas Babler und für mich.

STANDARD: Im Migrationspapier der SPÖ werden Asylzentren außerhalb Österreichs gefordert, mehr Außengrenzschutz – vieles, für das es gemeinsame europäische Lösungen bräuchte. Im innerösterreichischen Diskurs geht es bei Migration und Asyl aber zumeist um Stimmung. Welche wollen Sie vermitteln?

Häupl: Eine humane.

Rendi-Wagner: Genau.

Häupl: Aber auch die SPÖ ist gegen illegale Migration und Zuwanderung. Wenn ich eine Party veranstalte bei mir im Wohnzimmer, möchte ich wissen, wer kommt. Wir wollen keine Festung Europa. Da braucht es Tore.

STANDARD: Babler sagt: Kein Mensch ist illegal. Ist kein Mensch illegal?

Rendi-Wagner: Es geht darum: Hält sich jemand rechtmäßig in Österreich auf oder nicht? Wenn Unterschiede zwischen Hans Peter Doskozil und mir gesucht werden, erinnere ich daran, dass er sich 2020 gegen die SPÖ-Linie gestellt und gegen die Aufnahme von Kindern aus Moria ausgesprochen hat. Das war heftig. Die Sozialdemokratie ist nicht nur der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, sondern auch der Humanität. Einen Unterschied gibt es auch in unserer Sprache: Wenn man wie er bewusst Asyl und Migration und alles vermischt, ist das nur Wasser auf die Mühlen der Rechten.

STANDARD:Wie könnten legale Fluchtrouten aussehen?

Rendi-Wagner: Die Regierung muss Details mit Partnern erarbeiten – etwa mit Deutschland. Ich glaube nämlich nicht, dass es in der Europäischen Union so schnell zu einem Beschluss aller Mitgliedsstaaten kommen wird.

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Rendi-Wagner: Dass man zum Beispiel Verträge mit Transitländern schließt und dort Verfahrenszentren aufbaut, um irreguläre Flüchtlingsrouten zu verhindern.

STANDARD: Sollen Asylwerber ab Tag eins arbeiten dürfen?

Rendi-Wagner: Es würde schon jetzt Möglichkeiten geben, nach drei Monaten eine raschere Integration am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, überall dort, wo es einen Mangel gibt. Es ist auch kein Nachteil, wenn man Beitragsempfänger zu Beitragszahlern macht.

Häupl: Und natürlich sollen Flüchtlinge Deutsch lernen. Wenn man eine Zeitlang in Italien verbringt, lernt man ja auch Italienisch. Genauso wichtig ist es, dass Kinder ihre Muttersprache beherrschen. Mehrsprachigkeit ist ein absolutes Asset in einem modernen Land, als das wir uns ja verstehen.

Als Pamela Rendi-Wagner SPÖ-Chefin wurde, war Altbürgermeister Michael Häupl schon außer Dienst. Was sie gemeinsam haben? Jedenfalls kommen beide aus der Naturwissenschaft – wobei sich der Biologe kurz überzeugen lassen muss, dass auch die Ärztin dazuzählt.
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STANDARD: Braucht es auch einen einfacheren Zugang zur Staatsbürgerschaft?

Rendi-Wagner: Die finanziellen Hürden sind zu hoch. Manche Menschen haben die Staatsbürgerschaft nur deshalb nicht, weil sie sich die Gebühren nicht leisten können, darunter viele, die in der Pflege arbeiten. Die Staatsbürgerschaft darf kein Privileg der Reichen sein.

STANDARD: Der SPÖ-Klub war bei der Rede des ukrainischen Präsidenten nur zur Hälfte anwesend – teils mit abstrusen Begründungen. Haben Sie sich da für Ihre Partei geniert, Herr Häupl?

Häupl: Es ist ein lächerliches Narrativ aus den Parteisekretariaten von FPÖ und ÖVP, dass die SPÖ da keine klare Position hätte.

Rendi-Wagner: Wir haben eine klare Resolution beschlossen. Es ist alles gesagt.

STANDARD: Der Schwechater SPÖ-Chef musste gerade zurücktreten, weil er sich in der Uniform des sowjetischen Geheimdienstes ablichten ließ. Was tun Sie gegen die Sowjetnostalgie Ihrer Partei?

Häupl: Die gibt es nicht. Nach bald 50 Jahren Mitgliedschaft in dieser Partei kann ich Ihnen sagen: Es gibt nichts Antikommunistischeres als die SPÖ. Wenn man sich in der Geschichte vertieft, sieht man, dass die Ablehnung der SPÖ gegenüber der kommunistischen Diktatur viel deutlicher ausgefallen ist als bei vielen anderen. Und was den Herrn aus Schwechat betrifft: Deppen gibt’s überall.

STANDARD:Jedenfalls müssen Sie Ihren Parlamentsklub wieder in den Griff bekommen, sollten Sie Parteichefin bleiben, Frau Rendi-Wagner. Es haben sich auch mehrere Ihrer Mandatare als Anhänger Ihrer Konkurrenz deklariert.

Rendi-Wagner: Ich werde tun, was ich schon immer gemacht habe: meine Hand zur Mitarbeit ausstrecken, alle mitnehmen und niemanden ausschließen. Es wird funktionieren, wenn alle bereit sind.

STANDARD: Doskozil hat sich für eine Ampel ausgesprochen. Welche Koalition erhält man mit Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin?

Rendi-Wagner: Wenn sich nicht einmal der Grünen-Chef Werner Kogler auf die Ampel festlegt, sehe ich den Sinn nicht, warum sich die SPÖ auf eine Koalitionsform festlegen soll.

Wenn sich Grünen-Chef Werner Kogler nicht für die Ampel-Koalition ausspricht, will es Pamela Rendi-Wagner auch nicht tun.
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STANDARD: Was wäre Ihre Wunschkoalition?

Häupl: Die nächsten Wahlen finden ja nicht zu Weihnachten statt! In Niederösterreich findet der Probelauf für Schwarz-Blau im Bund statt. Wenn es keine Mehrheit für eine Ampel gibt, gibt es eine Mehrheit für FPÖ und ÖVP – und dagegen muss die Sozialdemokratie mit einer gerechten, engagierten Politik ankämpfen.

Rendi-Wagner: Mit meinen Herausforderern kann es am Ende passieren, dass wir entweder wieder in der Opposition oder in einer Koalition mit der FPÖ landen. Der Anspruch der Sozialdemokratie muss aber sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Eine Koalition mit der FPÖ schließe ich aus.

STANDARD: Sonst nennen Sie keine roten Linien?

Rendi-Wagner: Mit einer menschenverachtenden, rechten Ideologie hat die SPÖ nichts am Hut. Das ist unverhandelbar.

STANDARD: Die SPÖ hat einen Wertekatalog als Leitlinie für Koalitionen beschlossen. Die ÖVP, der die SPÖ systematische Korruption vorwirft, wäre als Koalitionspartner gut genug?

Häupl: In der ÖVP gibt es solche und solche. Die Leute, die von Sebastian Kurz übrig geblieben sind und jetzt in der dritten Reihe herumrennen, sind das wirklich Böse. Christlich-Soziale, die die katholische Soziallehre anerkennen, sind uns als Partner aber willkommen.

STANDARD: Ist Kanzler Karl Nehammer so einer?

Rendi-Wagner: Wir wissen nicht einmal, ob der Spitzenkandidat wird.

Michael Häupl ist ein klarer Gegner von Rot-Blau – das richtete er einst auch dem Burgenland aus.
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STANDARD: Ungeklärt ist die Führungsfrage vor allem in der SPÖ. Bezeichnen Sie noch all Ihre Genossen als Parteifreunde?

Häupl: Wir strecken gerade die Hand aus, deshalb beantworten wir diese Frage jetzt nicht.

Rendi-Wagner: Jeder hat das Recht, Kritik zu üben, aber niemand hat das Recht, die Partei schlechtzumachen. Wenn ich jetzt Sachen höre vom "Kasperltheater" bis zur "elitären Blase", dann schadet das uns allen.

Häupl: Auch das Wien-Bashing halte ich für rückschrittlich und kindisch.

STANDARD: Verlieren Sie die Abstimmung, verlassen Sie die Politik. Was ist Ihr Plan B?

Rendi-Wagner: Ich will mit Herzblut und Leidenschaft weiterarbeiten. Deswegen mache ich mir keine Gedanken darüber.

STANDARD: Herr Häupl, planen Sie vielleicht ein Comeback?

Häupl: Also, ich werde nicht kandidieren. Keine Sorge, wir sind nicht hier für eine Doppelspitze. Meine politische Karriere ist beendet.

STANDARD: Kein Bundespräsidentschaftskandidat Michael Häupl 2028?

Häupl: Auch das nicht. Ehrlich gesagt, nach dem, was wir zuletzt erlebt haben, geht mir die Politik in keinster Weise ab.

(Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 14.4.2023)

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Pamela Rendi-Wagner (51) ist seit 2018 SPÖ-Bundesvorsitzende. Sie ist die erste Frau an der Spitze der österreichischen Sozialdemokratie. Bevor die Ärztin Gesundheitsministerin wurde war sie von 2011 bis 2017 Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit im Ressort.

Michael Häupl (73) war mehr als 23 Jahre lang Wiener Bürgermeister. Davor war er von 1988 bis 1994 Stadtrat und Landesrat für Umwelt und Sport. Der Biologe bekleidet seit 2018 kein politisches Amt mehr. Er ist seit 2020 Volkshilfe-Präsident, seit 2021 zudem Vorsitzender des Stiftungsrats des DÖW.