Michael Grabner, Miteigentümer der Dieter-von-Holtzbrinck-Medien von "Zeit" bis "Handelsblatt" und Eigentümervertreter bei der Mediaprint, ist besorgt über das geplante ORF-Gesetz.

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Das geplante ORF-Gesetz mit einer Haushaltsabgabe für alle, am Dienstag noch von ÖVP und Grünen verhandelt, bereitet Michael Grabner Sorgen. Der langjährige Kenner und Manager der österreichischen und deutschen Medienlandschaft sieht darin ein "langsames Todesurteil für private Bezahlmedien", sagt er im STANDARD-Interview. Er ruft zum Stopp des Gesetzesvorhabens und zum Neustart auf.

Medienberater Michael Grabner (74) war einer der Architekten und ersten Geschäftsführer des größten österreichischen Verlagskonzerns Mediaprint von "Krone" und "Kurier", er managte den deutschen Medienkonzern Georg von Holtzbrinck und ist inzwischen an dieser Mediengruppe mit "Die Zeit", "Handelsblatt", "Wirtschaftswoche" und Berliner "Tagesspiegel" beteiligt, sitzt in der Gruppe im Aufsichtrat und ist Vorsitzender im Gesellschafterausschuss der Mediaprint als Vertreter von "Kurier"-Mehrheitseigentümer Raiffeisen.

STANDARD: Österreichische Verleger sehen mit dem gerade verhandelten ORF-Gesetz eine "Katastrophe" auf die privaten Medien zukommen. Übertreiben sie?

Grabner: Kommt das ORF-Gesetz samt Digitalnovelle wie jetzt geplant, ist das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein sehr langsames Todesurteil für den Bezahlauftritt privater Medien.

STANDARD: Weil?

Grabner: Das exzellente, kostenlos zugängliche Angebot des ORF, das künftig durch eine Abgabe für alle finanziert werden soll, verengt den Spielraum für andere Medien so stark, dass man notwendige große Redaktionen nicht finanzieren kann. Vielleicht sind die Menschen noch bereit, 4,90 Euro im Monat oder vielleicht 9,90 Euro im Monat für private journalistische Angebote zu zahlen. Doch damit kann man keine Komplettredaktion finanzieren. Hier wird an einem ORF-Gesetz gearbeitet, ohne sich die langfristigen Auswirkungen zu überlegen.

STANDARD: Was müsste man bedenken?

Grabner: Zunächst einmal die Ausgangslage für die Medienbranche, die vor einer Vielzahl von Herausforderungen steht. Die früher sehr rentablen Printabonnements gehen zurück. Die Digitalabos sind, unter anderem durch den ORF, ganz, ganz schwer zu verkaufen. Und sie haben noch eine sehr kurze Lebensdauer, weil sich Medien noch nicht auf die Publikumswünsche einstellen konnten, das dauert noch eine Zeit, bis die Redaktionen und die Verlage lernen zu vermarkten. Die Medien sind konfrontiert mit internationalen Social-Media-Angebote, die sehr viel Aufmerksamkeit binden. Und zum vierten haben wir eine massive Teuerungswelle auf allen Ebenen – Papier, Löhne und Gehälter, Vertrieb. All das bedeutet eine sehr schwierige ökonomische Situation. Und in dieser Lage kommt ein simplifizierendes Gesetz, das nur die Finanzierung des ORF über eine Haushaltsabgabe im Blick hat. Das ist viel zu kurz gedacht. Was man da vorhat, zerstört die Medienvielfalt und damit demokratische Basisvoraussetzungen der nächsten zehn Jahre – und ist kaum noch umzukehren.

STANDARD: Was empfehlen Sie?

Grabner: Um diese Situation zu erkennen, empfehle ich Österreichs Medienpolitik zunächst einen Flug in die USA. Dort haben Sie in einem riesigen Markt von 330 Millionen Menschen mit dieser riesigen Wirtschaft und diesem riesigen Intelligenzpotenzial noch eine Handvoll großer privater Zeitungsunternehmen – die "New York Times", die "Washington Post", das "Wall Street Journal", die "Chicago Tribune" und an der Westküste nichts mehr.

STANDARD: Man könnte sagen: Die USA haben keinen relevanten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, TV und Streaming rein privat geprägt und eine sehr polarisierte Gesellschaft und Medienbranche.

Grabner: Mein Punkt im US-Beispiel ist: Wenn man Medienvielfalt nicht wirtschaftlich absichert oder ihr die Möglichkeit zur medienwirtschaftlichen Entfaltung gibt, dann wird es schwierig. Qualifizierte Recherche und journalistische Aufbereitung kostet sehr, sehr viel Geld. Und, ich komme da wieder nach Österreich: Wenn ich dem ORF mit hunderten Millionen Steuergeld ein sehr, sehr gutes Medium mit sehr, sehr vielen Möglichkeiten finanziere, dann mache ich es den anderen Medien besonders schwer. Ich habe große Sorge um den österreichischen Markt.

STANDARD: Problem erkannt. Was ist die Lösung?

Grabner: Man muss das gerade verhandelte Gesetz stoppen und neu überdenken. Sonst wird die Diskussion noch dümmer, als sie derzeit schon ist. Medienökonomen sind beizuziehen, die sagen können: Was kann man finanzieren – und was nicht? Bei der Gelegenheit sollte man auch diese österreichischen Blödheiten von öffentlichen Inseratenbuchungen als inoffizielle Medienförderung hinterfragen. Und weiters: Ein neues ORF-Gesetz kann nur für einen klar begrenzten Zeitraum gelten – für zwei Jahre als eine Art Probephase, und nach drei Jahren wird es neu überarbeitet. Die Medienbranche verändert sich so schnell und technologisch tiefgreifend, dass ein Gesetz für ein oder zwei Jahrzehnte völlig absurd wäre.

STANDARD: Und was wäre der Inhalt eines solchen ORF-Gesetzes? Braucht es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn er – aus der Sicht privater Medien – andere Medien existenziell und die Medienvielfalt im Land gefährdet?

Grabner: Ich bekenne mich klar zum ORF. Je kleiner ein Kulturraum ist, desto größer muss die Förderung von medialem Tun sein, sonst kann sich der Kulturraum nur schwer entwickeln. Aber man muss sich fragen: Was ist die Aufgabe des ORF? So schwammige Formulierungen wie heute im ORF-Gesetz sind nicht mehr zeitgemäß in einer digitalen Welt, es braucht eindeutige Vorgaben.

STANDARD: Zum Beispiel?

Grabner: Der ORF soll natürlich österreichische Inhalte produzieren und damit den Film- und Kreativstandort fördern. Aber wenn ich den ORF schon über Steuermittel finanzieren möchte, dann muss er auch anderen Medien seine Inhalte zur Verfügung stellen, Zugriff auf Interviews, auf Auslandskorrespondenten und so weiter. Meine Kritik richtet sich nicht gegen den ORF und nicht gegen Politiker. Ich vermisse schmerzlich ausreichend qualifizierte Fachleute, die in den Verhandlungen über eine so wichtige und demokratiepolitische Frage, wie sich das ORF-Gesetz auf die österreichische Medienlandschaft in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren auswirkt, entscheidend mitarbeiten.

STANDARD: Die Kritik privater Medien fokussiert sich stark auf ORF.at, auf Onlinenachrichten des ORF. Wie kann man den Punkt sinnvoll lösen?

Grabner: Man kann nicht Viktor Orbán kritisieren und dem ORF die Onlinenachrichten verbieten, das wäre auch weltfremd. Man könnte darüber nachdenken, ob der ORF nicht eine Art digitaler Nachrichtenagentur werden soll und damit auch andere Medien – kostenlos, weil steuerfinanziert – beliefern soll.

STANDARD: Noch ein Kritikpunkt: Soll der ORF für Social Media Inhalte produzieren dürfen?

Grabner: Da bin ich gespalten. Social Media insgesamt sind eine große Gefahr, weil sie der Verbreitung von Unwahrheiten dienen, die sich als "Nachrichten" ausgeben – ohne einer Kontrolle zu unterliegen. Hier kann sich eine Zigarettenmarke als "Philipp M. Institut für Lungenheilkunde" ausgeben und propagieren, Rauchen ist gesund. Es gibt keine Konsequenzen, wenn Sie hier Lügen verbreiten. Auch wenn es illusorisch ist: Man darf Social Media nicht noch fördern.

STANDARD: Das gängige Gegenargument lautet: Deshalb müssen Journalistinnen und Journalisten mit ihren recherchierten Inhalten auf Social Media dagegenhalten – und eben auch der ORF versuchen, junge Menschen dort damit zu erreichen.

Grabner: Diese Kanäle auch zu befüllen verringert den Unseriösitätsfaktor der sozialen Medien nur wenig. Wenn digital versierte Fachleute lang genug darüber nachdenken, könnte man die sozialen Medien zwingen, Nachrichten nur mit nachvollziehbarem Quellennachweis zu veröffentlichen. Das klingt vielleicht ein bisschen verrückt auf den ersten Blick, aber man müsste in diese Richtung denken. Social Media können unglaubliches Unheil verursachen, wie sich bei der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten zeigte.

STANDARD: Ihre Botschaft also: ORF-Gesetz zurückziehen, kundige Medienökonominnen und Medienökonomen beiziehen, um noch einmal gründlicher nachzudenken – und Rücksicht auf private Medien nehmen?

Grabner: Private Medien ist zu kurz gesprungen und negativ besetzt. Rücksicht nehmen auf die Notwendigkeit, dass Demokratie eine breite, vielfältige und verlässlich-nachvollziehbare Informations- und Meinungsbildungsbasis benötigt. Und davon ausgehend eine breite, vielfältige Medienlandschaft.

STANDARD: Nun könnte die Regierung einwenden: Wir haben in den vergangenen Jahren eine Menge neue Medienförderungen für private Medien aufgelegt. Die formellen Medienförderungen allerdings machen zusammen rund 75 Millionen aus, etwa ein Zehntel der öffentlichen Einnahmen des ORF. Die informelle Medienförderung über öffentliche Inserate noch einmal rund 200 Millionen laut Medientransparenz-Meldungen.

Grabner: Je kleiner der Kulturraum, desto größer ist die Förderungsnotwendigkeit, das ist unstrittig. Diese Förderungen müssen nach nachvollziehbaren Kriterien vergeben werden. Aber kein Mensch jenseits der Grenzen versteht, warum Österreichs öffentliche Stellen derart hohe Beträge in Form von Werbebuchungen vergeben. So eine Praxis entsteht an Heurigen- und Kaffeehaustischen und nicht aus medienwirtschaftlicher Intelligenz.

STANDARD: Wie käme solche medienwirtschaftliche Intelligenz zur Geltung?

Grabner: Solange es Menschen gibt, die lieber gedruckte Zeitungen als digitale konsumieren, sollte man eine ernsthafte Vertriebsförderung für eine Übergangszeit einführen. Für jede zugestellte Zeitung, von mir aus auch jedes zugestellte Magazin, mit einem gewissen Informationsniveau gibt es einen öffentlichen Zuschuss von, sagen wir, 50 Cent. Damit kann ich, etwa auf die nächsten zehn Jahre, gewährleisten, dass es auch in einem kleinen Seitental oder einer dünn besiedelten Gegend die Möglichkeit gibt, eine Zeitung zuzustellen. Das wäre ein sinnvoller Weg. Im Gegensatz zu einer ganzseitigen Anzeige, dass am Sonntag die Blasmusik auf dem Mistplatz des 18. Bezirks spielt – das ist grob fahrlässige Werbekrida.

STANDARD: Sie sind Eigentümervertreter beim "Kurier" und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Mediaprint. Nun wurden in den vergangenen Tagen deutliche Sparmaßnahmen bei der "Kleinen Zeitung" und beim "Kurier" bekannt. Ist das Ausfluss der sehr speziellen österreichischen Mediensituation?

Grabner: Wenn die Gehälter um 8,6 Prozent steigen, das Papier nach gewaltigen Preissteigerungen noch einmal um 15 Prozent und die Zustellung um zwölf Prozent teurer wird: Wo soll das Geld herkommen? Ich bin der Letzte, der an Redaktionen sparen will. Wir Medienkaufleute können nur das verkaufen, was den Journalisten einfällt. Aber es wurden bei den genannten Medien und wohl auch bei anderen Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht. Medien, die Verluste machen, sind immer abhängige Medien. Also muss man alles tun, um Verluste zu verhindern. Daher war dieser Schritt notwendig.

STANDARD: Und wenn die Medienpolitik auf Ihre Appelle nicht hören sollte?

Grabner: Das Wichtigste ist, dass der Politik und der Medienpolitik im Besonderen eines klar wird: Wenn sie jetzt einseitige Gesetze und Digitalverordnungen erlassen, für den ORF oder andere Medien, dann zerstören sie nachhaltig einen wesentlichen Grundpfeiler der Demokratie: die freie, unabhängig und vielfältig-digitale Medienlandschaft. Es kommt zum Duopol zwischen dem ORF und den ausländischen (Social-)Medien-Anbietern. (Harald Fidler, 19.4.2023)