E-Fuels werden uns kurzfristig nicht weiterhelfen, sagt der Agenda-Austria-Ökonom Jan Kluge in seinem Gastkommentar. Die ökonomische Effizienz regle deren Nachfrage bei Verbrenner-Fans. Außerdem plädiert Kluge für echte Technologieoffenheit.

Wie geht’s weiter in der Autoindustrie? Kanzler Karl Nehammer und Minister Martin Kocher beim Autogipfel.
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Bundeskanzler Karl Nehammer braucht ein Gewinnerthema. Seine leicht skurrile Rede zur Zukunft der Nation konnte den Dingen keinen rechten Schwung verleihen. Doch nun scheint die ÖVP ihren Treibstoff gefunden zu haben: E-Fuels. Schließlich ist Österreich eine Autonation, wie jeder weiß. Mehr als fünf Millionen zugelassene Pkws können nicht irren.

Keine Geistesblitze

Doch der österreichische Autogipfel kam zu spät, um noch Geistesblitze hervorzubringen, die unsere nördlichen Nachbarn nicht schon gehabt und wochenlang politisch vorgekostet hätten. Die Positionen sind bezogen: E-Fuels nein, weil teuer, und es gibt zu wenig. E-Fuels ja, weil Technologieoffenheit und so.

In klimapolitischen Diskussionen steht natürlich selten das Klima im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Lust an der eigenen Position. Die Fans des Verbrenners wischen die Prognose des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, die bis 2035 keine nennenswerten Produktionskapazitäten für E-Fuels sieht, lässig vom Tisch. Sie sind zuversichtlich, dass die Mengen schon irgendwo herkommen werden, und wittern endlich eine schnurrende Alternative zum verhassten Elektromotor. Ein richtiger Österreicher wird ja wohl noch ein richtiges Auto fahren dürfen.

Steile Lernkurveneffekte

Um die technischen Aspekte kommt man aber leider nicht herum. E-Fuels sind in der Tat teuer und die benötigten Mengen erst einmal nicht da. Zwar gibt es bei neuen Technologien oft beeindruckende Lernkurveneffekte: Lithium-Ionen-Akkus sind seit ihrer Markteinführung um über 90 Prozent billiger geworden; auch bei Solarmodulen war das zu beobachten. Solche Effekte entstehen nicht durch intensives Nachgrübeln im Labor oder bei politischen Gipfeltreffen, sondern während Unternehmen ihre neuen Produkte in den Markt prügeln und um Kundinnen und Kunden ringen. Doch Hand aufs Herz: Die genannten Lernkurveneffekte haben Jahrzehnte gebraucht. Zeit, die wir jetzt nicht mehr haben. Für eine Anlage, die im Jahr 2035 relevante Mengen herstellen soll, müsste der erste Spatenstich bald gemacht werden.

Die Preisfrage

Aber als Totschlagargument für ein Verbrennerverbot reicht diese technische Betrachtung nicht. Mag sein, dass Ingenieure angesichts des Wirkungsgrads von E-Fuels Lachkrämpfe bekommen. Aber dabei wird regelmäßig auf ökonomische Effizienz vergessen: Wer Ladesäulen nur aus dem Fernsehen kennt und deshalb kein Elektroauto möchte, könnte doch bereit sein, den höheren Preis für E-Fuels zu zahlen. Und wenn nicht, dann erledigt sich die Sache von selbst. Es ist ja rührend, wie sich nun alle um Reedereien und Airlines sorgen, weil ihnen die Autofahrerinnen und Autofahrer die E-Fuel-Preise nach oben treiben könnten. Was wäre daran eigentlich falsch? Als Verteilungsmechanismus für eine knappe Ressource haben sich Preise noch immer bewährt. Gerade weil E-Fuels so knapp sind, können sie für niemanden von vornherein reserviert sein. Die Haselnussernte des Jahres 2035 ist übrigens auch noch niemandem versprochen.

"Wenn es der britischen Beamtenschaft damals oblegen hätte, vorab über die Zukunftsfähigkeit der Dampfmaschine zu befinden, dann würden wohl auch an österreichischen Flüssen heute noch die Wasserräder knattern."

Als James Watt seine verbesserte Dampfmaschine patentieren ließ, verstand es die Politik zum Glück noch nicht als ihre Aufgabe, neue Ideen in traumwandlerischer Sicherheit "auf-" und "zuzudrehen". Es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis das kohlefressende Ungetüm wirklich marktfähig war. Wenn es der britischen Beamtenschaft damals oblegen hätte, vorab über die Zukunftsfähigkeit der Dampfmaschine zu befinden, dann würden wohl auch an österreichischen Flüssen heute noch die Wasserräder knattern. Selbst ausgewiesene Technikexperten lagen mit ihrer Prophetie oft drastisch daneben. Telefon, Computer, Internet. Alle hundertfach totgesagt, bevor sie sich anschickten, die Welt aus den Angeln zu heben. Und manchmal lief es eben umgekehrt. In den Archiven der Patentämter schlummert auch so manche Schnapsidee, auf die die Welt nicht gewartet hatte. Na und?

Leere Hülse

Das bringt uns zurück zum Begriff der Technologieoffenheit. Zu oft wird das Wort als leere Hülse für alles und nichts missbraucht. Auch beim Autogipfel war das so. Viele Teilnehmer schienen für bestimmte Technologien weit offener als für andere und waren wahrscheinlich genau deshalb eingeladen. Um glaubwürdig zu sein, hätte das Framing des Gipfels schärfer sein müssen: "Willkommen im Möglichkeitsraum, liebe E-Fuels! Ob wir glauben, dass ihr die neuen Wunderwuzzis des motorisierten Individualverkehrs seid? Dass ihr die neuen Konzepte in der Batterieentwicklung schlagen könnt? Wichtig ist, dass ihr daran glaubt. Je mehr Ideen für emissionsfreien Verkehr zur Marktreife gelangen, desto besser. Aber erwartet nicht, dass wir jeden mit Steuergeld mästen, der uns das Blaue vom Himmel verspricht."

E-Fuels werden uns kurzfristig nicht weiterhelfen. Die Industrie weiß das. Aber ihre Nutzung in Pkws zu unterbinden hätte uns langfristig auf die Füße fallen können und viel stärker begründet werden müssen. Zum Glück ist das Verbot in Brüssel schon seit Wochen vom Tisch. Was erneut die Frage aufwirft: Warum jetzt noch ein österreichischer Autogipfel? Hängengeblieben ist nur: Die ÖVP mag E-Fuels. Ob das als Gewinnerthema trägt? Es bleibt offen. (Jan Kluge, 21.4.2023)