Die Bundesregierung hat die Energiekosten als ursächlich für die – wie Kanzler Nehammer es ausdrückt – "hartnäckige" Inflation erkannt. Die Lebensmittelpreissteigerungen wiederum will sie durch regelmäßige Veröffentlichung einer Auswahl von Preisen zumindest transparenter machen. Beides wird einer großen Gruppe von Menschen in Österreich nicht helfen: jenen rund eineinhalb Millionen Personen, die unter der Armutsgefährdungsschwelle leben. Diese liegt derzeit bei einem Einkommen von 1392 Euro netto im Monat.

Damit die Teuerung nicht in den Himmel wächst, sind auch die Energiepreise im Fokus der Regierung.
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Für diese Mitbürgerinnen und Mitbürger haben Türkis und Grün bis dato nur völlig unzureichende Maßnahmen angekündigt; nichts, was sie wirklich befähigen würde, das teurer werdende Leben zu bewältigen. Zwar wurden mit Jänner Familienbeihilfe und Kindergeld erhöht – nicht aber die zentralen Leistungen der Arbeitslosenversicherung.

Laut Nehammer und Sozialminister Johannes Rauch laufen diesbezüglich nun Gespräche. Das ist gut, doch gerade hier drängt die Zeit. Beim Arbeitslosengeld, weil die 55 Prozent des monatlichen Einkommens, die ausbezahlt werden, im europäischen Vergleich sehr niedrig sind – und auch die zuletzt ausgehandelten Lohnerhöhungen aktuell nichts verbessern: Die Höhe der Leistung bezieht sich auf die Einkünfte von vor einem Jahr. Bei der Sozialhilfe, weil laut der geltenden Regelung nicht mehr als bestimmte Höchstsätze ausbezahlt werden dürfen, was individuelle Hilfe in akuten Notlagen vielfach verhindert.

Das aber kann einen sozialen Absturz nach sich ziehen: Armut hat die unangenehme Eigenschaft, unentrinnbar zu werden, wenn sie länger andauert. Um einen solchen leidvollen Weg möglichst vielen Menschen im Land zu ersparen, müssen die Sozialleistungserhöhungen jetzt ernsthaft angegangen werden – über die ideologischen Grenzen hinweg, die die Koalitionspartner hier trennen. (Irene Brickner, 11.5.2023)