Demonstrierende Freizeitpädagoginnen und - pädagogen in Warnwesten, die Schilder in die Hand halten
Die Freizeitpädagoginnen und -pädagogen haben vor zwei Wochen schon demonstriert – am Donnerstag streiken sie. Die 67 Bildungsinitiativen haben hingegen zum Aktionstag aufgerufen.
Regine Hendrich

Das Schuljahr zählt zwar nur mehr wenige Tage. Doch Urlaubsstimmung gibt es in den Klassen, Horten und Lehrerzimmern noch nicht. Ganz im Gegenteil. Dem Bildungspersonal reicht es: Zu wenige Pädagoginnen, Lehrer und Geld, zu viel Arbeit und soziale Herausforderungen, die seit Corona nicht mehr zu ignorieren sind. Die unabhängige Lehrergewerkschaft Öli-UG sprach zuletzt sogar von der "schwersten Bildungskrise der Nachkriegsgeschichte".

Am Donnerstag findet deshalb der "Aktionstag Bildung" statt, zu dem ein großes Bündnis an Gewerkschaften und Bildungsorganisationen aufgerufen hat. Sie fordern im STANDARD-Interview eine "gemeinsame Bildung, die niemanden ausgrenzt und zurücklässt", sowie "bessere Lern-, Studier- und Arbeitsbedingungen im gesamten Bildungsbereich". Weiter gehen die Freizeitpädagogen, die etwa in der Nachmittagsbetreuung tätig sind. In Wien legen sie ganztätig die Arbeit nieder. In der Steiermark und Kärnten sind laut Gewerkschaft GPA Betriebsversammlungen geplant. Dem vorausgegangen war ein geleakter Gesetzesentwurf, wonach Freizeit- künftig als Assistenzpädagogen im Einsatz sein sollen. Der STANDARD berichtete.

Nicht nur Personalfragen drängen im Bildungswesen – auch bei der Chancengleichheit, Inklusion und Verwaltung gibt es Reformbedarf.

Starre Strukturen

Volksschule, Mittelschule, AHS, berufsbildende Schulen: Das dreiteilige Schulsystem gibt es, grob gesagt, seit es Maria Theresia 1774 reformierte. Was damals dem Stand der Forschung entsprach, ist 250 Jahre später längst überholt. Viele Forschende sprechen sich für eine gemeinsame Schule aus. Doch bei der Gesamtschule tut sich wenig, seit Jahren ist sie ein Politikum. Einige Experten finden, dass über Bildungspolitik selten auf Basis der Forschung entschieden würde. So wurden die zuletzt überarbeiteten Lehrpläne kritisiert. Sie seien "überfrachtet", nicht zeitgemäß, sagte Bildungsexperte Stefan Hopmann damals.

Ohnehin gehen Reformen nur schleppend voran. Das liegt für Kritiker auch am Föderalismus. So ist das Ministerium für Bundesschulen wie AHS oder HTL zuständig, die Länder für Pflichtschulen. Dazwischen stehen die Bildungsdirektionen als "Mischbehörde". Mit der Einführung 2018 sollten auch die Zuständigkeiten in der Verwaltung vereinheitlicht werden. Laut Rechnungshofbericht wurden sie aber komplexer.

Arbeitsbedingungen

Studiert ja nicht Lehramt", riet 2001 die damalige Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP), die einen Lehrerüberfluss prophezeite. Eine Fehleinschätzung: Heute ist der Lehrermangel das zentrale Thema der Bildungspolitik. Quereinsteiger, Pensionistinnen und sogar Studierende, teils im zweiten Semester, stopfen Personallöcher. Lehrkräfte verzeichnen ein massives Plus an Überstunden – gerade an Pflichtschulen. Die Arbeitslast lässt sich nur zum Teil mit der Personalnot erklären oder mit mehr Bürokratie und weniger Zeit: Viele Lehrende beklagen, dass sie etwa Blackout-Konzepte erstellen müssen, was nicht ihre Aufgabe sei. Ob der Bürokratie können sich nur die wenigsten vorstellen, eine Schule zu leiten.

Dazu kommen multiple Krisen bei Schülern, die Rufe nach mehr Unterstützungspersonal laut werden lassen – eine spürbare Aufstockung lässt auf sich warten. Viele Junglehrer müssen letztlich mehr unterrichten, erhalten aber weniger Hilfe. Das Burnout-Risiko im Job ist hoch, einige sind schon kurz nach dem Einstieg ausgebrannt.

Letzte Vorbereitungen für den Aktionstag Bildung: Neben Schildern werden auch Buttons gebastelt.
Regine Hendrich

Spitze der Ungleichheit

Bildung wird in Österreich so stark vererbt wie in kaum einem anderen europäischen Land. Kinder aus Akademikerhaushalten gehen eher ins Gymnasium, maturieren und studieren öfter als Kinder aus Arbeiterfamilien. Sie bekommen zu Hause auch viele nötige Skills mit, wenn ihnen beispielsweise vorgelesen wird, während es bei den anderen gar kein Bücherregal gibt.

Die frühe Trennung nach der Volksschule verstärke laut Fachleuten die Bildungsungerechtigkeit. Überhaupt ist die vorwiegende Ausrichtung auf die Halbtagsschule auf die Unterstützung von zu Hause ausgelegt. Über den Lernerfolg entscheidet also, ob Eltern Zeit, Bildung oder Geld haben, um den Nachwuchs zu unterstützen. Jede fünfte Familie kann sich aber laut Nachhilfebarometer der Arbeiterkammer keine Nachhilfe leisten. In der Volksschule zementiere sich daher bereits die Ungleichheit, sagt IHS-Bildungsexperte Mario Steiner. "Die Ganztagsschule wäre hier eine Lösung", sagt er.

Exklusion statt Inklusion

Das Bildungssystem ist wahrlich kein Meister im Abbau von Bildungsbarrieren. Ein Beispiel: Eigentlich hätten bis 2020 die Sonderschulen für Kinder mit Behinderung laut Nationalem Aktionsplan der Vergangenheit angehören sollen. Das scheiterte. Selbst der Ausbildungspflicht, die bis 18 Jahre dauert, kommt man nicht nach: Etwa 100 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf wurde 2022 ein elftes und zwölftes Schuljahr verwehrt.

Abgesondert sind auch Kinder, die kaum Deutsch können: Sie müssen getrennt von Gleichaltrigen Deutschförderklassen besuchen, die laut Studien dem Namen nicht gerecht werden. "Oft stehen Schülerinnen und Schüler nach der Pflichtschule ohne Abschluss da, weil sie Jahre verloren haben", sagt Bildungswissenschafterin Susanne Schwab. Beiden Gruppen werde durch solche politische Entscheidungen, die nicht evidenzbasiert sind, gute Bildungs- und Jobchancen verwehrt.
(Selina Thaler, Elisa Tomaselli, 15.6.2023)