Karin Riebenbauer kämpft mit der überparteilichen Initiative Ich will Schule für einen Rechtsanspruch auf mehr Schuljahre auch für Kinder mit Behinderung. Im Gastkommentar schreibt sie darüber – und wie die Politik dabei bremst.

Alles begann im Jahr 2006. Mit der Geburt unseres ersten Kindes Anton und der vorangegangenen Toxoplasmoseinfektion während meiner Schwangerschaft. Heute ist Anton 14 Jahre alt und hat eine elfjährige Schwester. In den ersten Jahren stand das Überleben im Vordergrund, heute steht die Förderung im Mittelpunkt. Mit einem großen Ziel: Anton ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Mit all den schlimmen Erfahrungen habe ich gelernt zu kämpfen – Situationen und Regelungen nicht einfach hinzunehmen.

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Wie hält es Österreich mit der Inklusion in den Schulen?
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Anton ist sozial sehr kompetent, motorisch super unterwegs, aber er kann noch nicht gut lesen und schreiben. Als klar war, dass die Schulbildung für ihn bald zu Ende sein könnte, wollte ich das nicht hinnehmen. Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern habe ich eine Verfassungsklage und eine Bürgerinitiative für ein Recht auf ein elftes und zwölftes Schuljahr für Kinder mit Behinderung initiiert. Derzeit dürfen diese nur insgesamt zehn Jahre im Bildungssystem bleiben. Ein elftes und zwölftes Schuljahr muss bei der Bildungsdirektion extra beantragt werden – ein Recht darauf gibt es nicht. Noch nicht.

"Es ist verrückt, dass ein Parteien-Hickhack über das Leben unserer Kinder bestimmt. Bildung und Teilhabe am täglichen Leben sind ein Menschenrecht."

Die Bürgerinitiative hat es bis in den Unterrichtsausschuss geschafft, der am Donnerstag tagt. Bisher ist eine Zustimmung für diese Gesetzesänderung an den Regierungsparteien gescheitert. An der ÖVP, weil sie diese Kinder einfach nicht sichtbar haben will, und an den Grünen, weil sie sich nicht gegen die Koalition stellen wollen. Es ist verrückt, dass ein Parteien-Hickhack über das Leben unserer Kinder bestimmt. Bildung und Teilhabe am täglichen Leben sind ein Menschenrecht, keine Partei sollte dieses einfach abdrehen können! Seit Monaten führen wir Gespräche mit Politikerinnen und Politikern und rennen offene Türen ein, die aber immer ins Nirgendwo führen.

Das Ministerium, die Bildungsdirektion, die Abgeordneten erzählen uns, wie sehr sie für Inklusion sind – sogar die ÖVP –, doch zuerst soll evaluiert werden, heißt es immer. Was mich persönlich bei den Gesprächen mit den Verantwortlichen am meisten trifft, ist der Unterton, der ständig mitschwingt: Was bringt denn ein Jahr mehr oder weniger für "diese" Kinder? Aus denen wird eh nichts. Außerdem gebe es kein Personal, also können sie dem Wunsch nach mehr Inklusion gar nicht nachkommen. Denn am Geld liegt es ja nicht. Die Gymnasien für Kinder mit Behinderung zu öffnen ist für sie offenbar unvorstellbar. Statt die Jugendlichen mit 15 oder 16 gemeinsam mit anderen in die Schule gehen zu lassen, schmeißen sie sie lieber aus dem System und geben ihnen einen Platz in einer Tageswerkstätte und ein bisserl Taschengeld. Am liebsten wäre ihnen wohl, wenn sie ganz zu Hause bleiben würden – Plätze in den Werkstätten gibt es ja auch nicht genug. In Oberösterreich haben vergangene Woche alle Parteien einstimmig einen Antrag auf ein Recht auf ein elftes und zwölftes Schuljahr für Kinder mit Behinderung und entsprechende Ressourcen in der Sonderpädagogik an den Bund gestellt. Ich hoffe, die anderen Bundesländer machen es ihnen nach.

Die Schule ist für Anton neben seinem Zuhause der wichtigste Ort – eine Art Safe Place. Dort kennt er alle, alle kennen ihn und nehmen ihn so, wie er ist. Dort sind seine Freunde. Außerhalb der Schule kann er sie nicht treffen, weil die meisten nach der Schule mit dem Fahrtendienst direkt nach Hause fahren. Und die Epilepsie macht es ihm unmöglich, ohne Betreuung unterwegs zu sein. Anton ist ziemlich cool, fährt gerne mit dem Roller, und aus seinem Zimmer dröhnen Technobeats. Er ist auf dem besten Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Und daher geht es mir heute nicht mehr nur um ihn.

Rück- statt Fortschritte

Es geht um einen echten Perspektiven- und Paradigmenwechsel hin zu einer diversen und inklusiven Gesellschaft – weg vom Auslesefetisch einer Partei, weg vom Weltbild des letzten Jahrhunderts. Heute gilt mein Kampf den Widerständen, die eine solche Veränderung auf politischer, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene erzeugt. Widerstände, die selten rational, sondern vielmehr politisch motiviert sind. Die in einer modernen und europäisch geprägten Demokratie eigentlich keinen Platz mehr haben sollten. Inklusion muss es in allen Schulstufen geben, natürlich auch in den Kindergärten. Noch besser wäre es, wenn es keine Schulstufen, keine Unter- und Oberstufe gäbe, sondern jedes Kind so lange lernen kann, wie es eben braucht. Ein Kind wie Anton sollte die Möglichkeit haben, bis 25 in die Schule zu gehen, weil er schlichtweg länger braucht. Dann ist er vielleicht reif für den Arbeitsmarkt und reif für ein selbstbestimmtes Leben. Gut für Anton, gut für den Staat, gut für die Volkswirtschaft.

Am Aktionstag Bildung, der vergangenen Donnerstag stattgefunden hat, waren 10.000 Menschen aus allen Bereichen der Bildung in ganz Österreich für eine inklusive, gemeinsame Schule auf der Straße. Erst am Montag hat der Monitoringausschuss, der die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention überwacht, berichtet, dass es zu Rückschritten in der Inklusion im Bildungsbereich kommt statt zu Fortschritten und dass die Bildungspolitik nicht genug Anstrengungen unternimmt, um das System zu ändern.

Die Zeit der Verhinderer ist abgelaufen. Eine gesetzliche Verankerung des elften und zwölften Schuljahres ist nicht mehr aufzuhalten. Ein voll inklusives Schulsystem ist nicht mehr aufzuhalten. Die Politik hat die Verpflichtung, dafür die gesetzlichen Regelungen zu schaffen und die finanziellen Mittel bereitzustellen. Sie hat allen Menschen zu dienen – und zwar ohne Ausnahme!