Daphne Hahn, Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung an der Universität Fulda, schreibt in ihrem Gastkommentar darüber, dass es durchaus sinnvoll ist, Daten über Schwangerschaftsabbrüche zu sammeln. Henrike Brandstötter, Neos-Frauensprecherin, sieht dies in ihrem Gastkommentar anders.

Die Erhebung von Daten zum Schwangerschaftsabbruch kann verschiedene Zwecke erfüllen. Sie kann zum Beispiel regelmäßig erfolgen, um Trends zu erkennen. Wie ist die Situation in Deutschland? Statistische Daten zum Schwangerschaftsabbruch entstehen auf der Basis der gesetzlich festgelegten Meldepflicht, die jeden Arzt / jede Ärztin in Deutschland dazu verpflichtet, durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche an das Statistische Bundesamt zu melden, das daraus jährlich die Schwangerschaftsabbruchstatistik erstellt. Die gemeldeten können den durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen entsprechen. Aber widerlegen lässt sich damit auch nicht die Behauptung, dass viele Abbrüche nicht gemeldet werden, es also eine hohe Dunkelziffer geben könnte.

Warum werden mit relativ hohem Aufwand diese Daten erfasst? In einer jährlichen und oft schon heiß erwarteten Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts lassen sich Trends schon in der Überschrift erkennen. Für Deutschland hieß es im Frühjahr dieses Jahres: "9,9 Prozent mehr Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2022". Nachdem die Zahl der Abbrüche in den Jahren, in denen die Pandemie das Leben aller Menschen stark verändert hat, rückläufig war, ist sie postpandemisch angestiegen, und zwar von 94.600 Fällen 2021 auf 104.000 Fälle 2022.

Erfahren wir aus diesen Zahlen etwas über die Gründe für den Anstieg? Nein. Es kann aber von großem Interesse sein, die Gründe von Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch zu untersuchen wie auch andere Aspekte: Versorgungszugänge und -qualität, Stigmatisierung, Verhütung oder Kosten. Die Frage ist immer: Wofür will man was wissen?

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Zunächst ist wichtig, dass Datenerhebungen in Studien zum Schwangerschaftsabbruch sich nicht allein auf den Schwangerschaftsabbruch beziehen, sondern auf alle ungewollten Schwangerschaften, also die ausgetragenen ebenso wie die abgebrochenen. Will man Daten über die Gründe, also weshalb Frauen eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen oder nicht, dann kann man sich auf vielfältige internationale Studien beziehen, die erstens gute Daten zur Orientierung bieten und zweitens auf geprüften Methoden beruhen.

Finanzielle Unsicherheit

In Deutschland – und nicht nur hier – befinden sich Frauen mit ungewollten Schwangerschaften häufig in ungünstigen Lebenslagen. Die Studie "frauenleben3" nennt als häufigsten Grund für den Abbruch ungewollter Schwangerschaften eine schwierige Partnerschaftssituation. Danach folgen finanzielle Unsicherheit, gesundheitliche Bedenken, altersbezogene Gründe oder auch Ausbildung oder Studium. Das sind Gründe, die nicht überraschen und die die Familienplanungsnormen unserer Gesellschaft – eine stabile Partnerschaft, eine enge Altersspanne, eine abgeschlossene Ausbildung – widerspiegeln. Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass Frauen mit niedrigem Einkommen aus Kostengründen unsicherer verhüten, wodurch es häufiger zu ungewollten Schwangerschaften kommt.

In Deutschland wird seit Ende 2020 eine Studie zu ungewollten Schwangerschaften mit dem Titel "Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung" durchgeführt. Dabei handelt es sich um ein großes Projekt mit drei Forschungssträngen. Der erste soll zeigen, welchen Belastungen und Ressourcen Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft austragen oder abbrechen, ausgesetzt sind, sowie deren Entstehungsbedingungen dokumentieren und ob es Veränderungen im Zeitverlauf gibt. Dazu finden Standardisierte Befragungen von Frauen mit ungewollten ausgetragenen beziehungsweise abgebrochenen Schwangerschaften statt sowie vertiefende Interviews. Als besonders vulnerable Gruppen werden Frauen mit psychischen Belastungen, traumatisierte Frauen, Frauen mit Fluchterfahrungen- und Migrationserfahrungen, Frauen mit Schwangerschaften in Gewaltbeziehungen einbezogen, aber auch die Perspektiven der Männer.

Ein zweiter Forschungsstrang widmet sich den psychosozialen Unterstützungsangeboten. In einem dritten wird die medizinische Versorgungssituation in Deutschland untersucht.

Der Zweck und das Ziel dieser Studie ist, Schlussfolgerungen für die Verbesserung der gesundheitlichen und psychosozialen Versorgung ungewollt schwangerer Frauen auf der Basis wissenschaftlich-empirischer Erkenntnisse – also der erhobenen Daten – zu ziehen. Empirie und Schlussfolgerungen daraus sind Aufgabe der Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Umsetzen muss die Politik. (Daphne Hahn, 1.7.2023)