Gertraud Diendorfer, Vorstandsvorsitzende des Demokratiezentrums Wien, und Dirk Lange, Professor für Didaktik der Politischen Bildung an der Universität Wien und Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums, fordern in ihrem Gastkommentar mehr Unterstützung seitens der Politik für die zivilgesellschaftliche Demokratiebildung in Österreich.

Zwei von drei jungen Menschen in Österreich bezeichnen sich als politikinteressiert. Aber nur 15 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich von "der Politik" sehr oder ziemlich gut vertreten fühlen. Das sind zentrale Erkenntnisse der aktuellen Ö3-Jugendstudie.

Offenbar ist das Politische für die 16- bis 25-Jährigen nicht ausschließlich auf den Staat bezogen, und es wird für sie nicht nur durch die Parteiendemokratie vermittelt. Wir leben in einer selbstbewussten und politischen Zivilgesellschaft, die die großen Herausforderungen unserer Zeit selbst verhandelt. Migration und Diversität, digitale Partizipation und Fake News, antidemokratischer Populismus und Verschwörungsmythen. Die demokratiepolitischen Debatten, die uns heute bewegen, werden nicht mehr nur in Ausschüssen von Parlamenten und in Ortsverbänden politischer Parteien geführt.

Ob soziale Medien, Schule oder Wirtshaus: Politische Debatten finden nicht nur im Nationalrat statt.
Christian Fischer

Der digitale Raum ist längst ein politischer Raum geworden, in dem die Bürgerinnen und Bürger neue Formen der Artikulation und Partizipation jenseits der Parteienlandschaft praktizieren. Aber der Möglichkeitshorizont stellt zugleich einen Gefahrenbereich für die Demokratie dar. Weitet sich die Demokratie in das Internet aus, oder wird sie durch die Digitalisierung selbst umgeformt? Zurzeit sehen wir starke negative Auswirkungen durch Desinformation, Indoktrination und Radikalisierung. Das Demokratiebewusstsein der Menschen wird hier tagtäglich herausgefordert, denn die Entwicklung einer digitalen Demokratie basiert auf den Handlungen politisch mündiger Userinnen und User.

Notorisch unterfinanziert

Eine demokratische Zivilgesellschaft ist eine Bedingung für einen demokratischen Staat. Dieser trägt aber die Verantwortung dafür, dass sich die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger frei entfalten kann. Das zentrale Mittel hierfür ist eine qualitätsvolle und institutionalisierte Demokratiebildung, die vom Staat und von den politischen Parteien unabhängig ist. Diese zivilgesellschaftliche Demokratiebildung in Österreich ist jedoch notorisch unterfinanziert und von persönlichem Engagement sowie von erfolgreichen Projektanträgen abhängig.

Im "Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik" aus dem Jahr 1984 wird ausschließlich die "Förderung der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit der politischen Parteien" geregelt. Unabhängige und parteiübergreifende Einrichtungen werden von dem Gesetz ausgeschlossen, selbst wenn sie das Ziel des Gesetzes verfolgen, "die staatsbürgerliche Bildung im Sinne der Grundsätze der Bundesverfassung, die politische und kulturelle Bildung sowie die Einsichten in politische, wirtschaftliche, rechtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge (…) in gemeinnütziger Weise zu fördern". Der Ausschluss von der Förderung politischer Bildungsarbeit wird der gegenwärtigen demokratiepolitischen Bedeutung der Zivilgesellschaft nicht gerecht.

Demokratie lebt von engagierten Menschen, die ihre Interessen in den demokratischen Institutionen vertreten und sich in Initiativen, Vereinen und Organisationen für ein an demokratischen Grundwerten orientiertes Miteinander einsetzen. Der Staat muss daher auch das zivilgesellschaftliche Engagement im Bereich der Demokratiebildung ermöglichen.

Für die parteiunabhängige Demokratiebildung ist eine ähnliche Finanzierungsstruktur wie für parteipolitische Bildungsarbeit angemessen. Berechnungsgrundlage der Förderung der Parteiakademien ist das jeweilige Wahlergebnis der Nationalratswahl. Die Fördersumme für die politischen Parteiakademien bemisst sich danach, wie viele Wählerstimmen die Parteien jeweils bekommen. Das Fördervolumen sollte aliquot um die Anzahl der Nichtwählerinnen und Nichtwähler aufgestockt werden, sodass es sich an der Gesamtheit der Wahlberechtigten orientiert.

Mehr Anerkennung

Bei der Nationalratswahl 2019 gingen 24,4 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl. Gerade Bürgerinnen und Bürger, die keine Parteienpräferenz haben, nicht zur Wahl gehen oder sich als politikfern betrachten, haben Anspruch auf eine parteiunabhängige, aber professionelle Demokratiebildung. Die anteiligen Mittel sollten für eine dementsprechende "Akademie", für Anbieter parteiunabhängiger Demokratiebildung zur Verfügung stehen.

Der österreichische Gesetzgeber sollte seiner politischen Zivilgesellschaft mehr Anerkennung entgegenbringen. Sie ist das politisch-kulturelle Fundament der demokratischen Gesellschaftsordnung. Primäres Ziel müsste die institutionelle und planbare Absicherung einer unabhängigen Demokratiebildung sein, die ihre Qualität durch internationale fachdidaktische Standards absichert. Demokratie braucht Bildung. (Gertraud Diendorfer, Dirk Lange, 2.7.2023)