Adrijana Husić hat recht. Sie ist die schlechteste Verkäuferin der Welt: Sie beschönigt nichts. Die 38-jährige Montenegrinerin hat sich früher in NGOs für die Belange von Minderheiten in ihrer Heimat eingesetzt, nun verantwortet sie die Kommunikation für das Immobilienprojekt Portonovi an der Bucht von Kotor – und gibt offen zu: "In Montenegro standen wir immer unter dem Einfluss von Fremden."

Sogar die Währung ist fremdgesteuert. Offizielles Zahlungsmittel ist der Euro, obwohl der Staat nicht dem Euroraum angehört. Das Land ist einfach zu klein, um groß dazustehen. Die Steiermark hat mehr Fläche, Wien mehr Einwohner, doch die Sehnsucht nach der sonnenverwöhnten Küste des Balkanstaates wächst.

Die Insel Sveti Stefan ist ein klassisches Postkartenmotiv, das gerne aus dem Montenegro-Urlaub verschickt wird.
Die Insel Sveti Stefan ist ein klassisches Postkartenmotiv, das gerne aus dem Montenegro-Urlaub verschickt wird.
Getty Images/iStockphoto

Urlauber hoffen auf verbummelte Tage, Investoren auf zweistellige Renditen. Montenegro ist ein Spielball fremder Interessenten, deren Träume so hoch fliegen wie riesige Plastikschweine. 2006 hat ein kanadischer Investor an der Bucht von Kotor mit großem Erfolg einen Yacht­hafen errichten lassen, den Porto Montenegro. Auf der gegenüberliegenden Uferseite, in Portonovi, haben aserbaidschanische Geschäftsleute nun eine Marina mit Wohnviertel aus dem Boden gestampft und das dazugehörige Luxushotel an die arabische Kette One & Only verpachtet. Vor zwei Jahren war Eröffnung, seitdem schauen Adria-vernarrte Reisende aus Europa, Amerika und Asien vorbei.

Diese Anlage stellt kein Novum, eher eine Fortführung bisheriger Strategien dar. In einem Radius von etwa 30 Kilometer haben rund um die Bucht von Kotor diverse Luxushotels eröffnet – Aman, The Chedi, Regent –, während es beim viel größeren Nachbarn, dem beliebten Kroatien, an solchen Servicewunderorten mangelt. Demnächst folgt auf dem vorgelagerten Felsen Marmula ein Designhotel in der alten Festung. Gruseliges Detail am Rande: Die Insel diente Mussolini als Folterknast.

Reiche und schöne Bucht

Schlüssig erklären, warum es die Reichen und Schönen an die Bucht von Kotor zieht, können Montenegriner wie Adrijana Husić nicht. Simple Arbeitsthese: Es war das Meer, weswegen die Fremden kamen. Die Venezianer im Mittelalter, die an der Küste einen Handelsposten brauchten für ihre Flotte. Die Habsburger im 19. Jahrhundert, die einen Militärstützpunkt in der Bucht unterhielten, aus der die Jugo­slawen später eine U-Boot-Basis machten. Im neuen Jahrtausend kamen die Russen in die Bucht, die ihre großen Yachten an keinem Hafen des Mittelmeers so komfortabel parken konnten. Bis zu 60 Meter tief misst der Fjord, der diese Bucht in Schmetterlingsform bildet.

Die Insel Sveti Đorđe in der Bucht von Kotor beherbergt ein Kloster und einen Friedhof.
Die Insel Sveti Đorđe in der Bucht von Kotor beherbergt ein Kloster und einen Friedhof.
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Unvergessen die Schmach des großen Fußballklubeinkäufers Roman Abramowitsch, der im französischen Antibes mit seiner 133 Meter langen Yacht nicht am Hafen ankern konnte. Das hübsche Schiff war schlicht zu groß. Kein Problem für den Porto Montenegro. Jahrelang schipperte der Oligarch deshalb die Docks an, auch angelockt von günstigerem Treibstoff. Nach Ausbruch des Kriegs mit der Ukraine überführte er das Schiff nach Montenegro, nur um rasch wieder abzureisen. Der kleine Staat unterstützt die Sanktionen gegen Russland, möchte gern in die Europäische Union – ein politischer Cocktail, der Abramowitsch ein bisschen zu gefährlich für sein Vermögen schien.

Gar keinen Anstand

Dabei hatten die Macher des Porto Montenegro lange ein Herz für diese Minderheit mit ihren problematisch großen Superflitzern. Rund um den kleinen Hafen warteten ab Inbetriebnahme des Geländes Hotel, Wohnungen, Restaurants und extralange Kais auf vermögende Familienverbände.

Der südlichste Fjord Europas hatte den unschlagbaren Vorteil, tief genug für Kreuzfahrtschiffe und Megaboote zu sein. So schipperten im Unesco-Weltkulturerbe bald Costa Concordia und Aida durch jene Bucht, die eigentlich aus drei hinterein­anderliegenden Buchten besteht.

Zwischen zwei Lockdowns eröffnete das One & Only Resort in Portonovi.
Zwischen zwei Lockdowns eröffnete das One & Only Resort in Portonovi.
One & Only Resorts

In Portonovi steht alles für die neue Saison bereit. Aus der stillgelegten Militärbasis ist ein besenreiner Vergnügungshafen geworden. Jamiroquai, der britische Sänger, der in den 90er-Jahren für den Boom an behämmerten Mützen verantwortlich war, plätschert aus den Lautsprechern am Hauptplatz, es folgt eine Easy-Listening-Version des Rockschlagers "Under the Bridge". Als Zuhörer könnte man nun schlussfolgern, dieser Ort habe wirklich gar keinen Anstand.

Adrijana Husić weist auf die riesigen, mit dicker schwarzer Farbe überzogenen Anker hin, die überall auf dem Gelände wie Kunstwerke liegen. Sie stammen noch aus der alten Zeit, als Jugoslawien hier die Marine trainieren ließ. Um den Verdacht einer Einheitsarchitektur zu vermeiden, sind die Gebäude unterschiedlich angestrichen oder mit einer Steinfassade verziert. Gassen verbinden die Hauptwege miteinander, um bloß den Eindruck einer Retortenstadt zu vermeiden. Auf den Ferienzimmern liegt eine Einladung, um einen Termin mit dem Makler zu vereinbaren. Schnäppchenalarm: Bereits ab 500.000 Euro könne man sich hier den Blick aufs Wasser leisten.

Spiegelglatte See

"Wir nennen das einen Staat im Staat", sagt Pavle Pasković am darauffolgenden Morgen. Der Fremdenführer leitet Touristen seit Jahren durch die Bucht, Kreuzfahrtgruppen genauso wie Individualgäste aus dem One & Only, die mit ihm auf einem schnittigen Motorboot die Bucht erkunden. Das Wasser ist spiegelglatt, "bonaca" heißt dieses Wetter bei Einheimischen: spiegelglattes Wasser, ruhige See.

Der 35-Jährige ist stämmig, trägt einen Bart, spricht Englisch, Deutsch und Italienisch und relativiert seinen Einwurf mit einem schelmischen Lächeln. Man ist stolz auf diese Projekte, auch wenn sich die wenigsten Montenegriner den Aufenthalt in den Hotels leisten könnten. "Dressed to impress", lautet das Motto der Einheimischen, sagt Pasković. Man takelt sich auf, um zu beeindrucken, fährt an die Marinas mit den Yachten, fotografiert sich davor und trinkt vielleicht einen Kaffee.

Die Stadt Perast, zehn Minuten mit dem Boot entfernt, brüstet sich damit, den Ottomanen erfolgreich Widerstand geleistet zu haben. Das Heer konnte den mit dicken Steinmauern geschützten Ort am Hang nicht einnehmen. Noch heute zieren Steinpaläste die Promenade, ein Glockenturm überragt die Siedlung. Pasković zeigt auf eine Waschmaschinentrommel an der Mole. Darin werden Muscheln gereinigt. "Wir sind ein faules Volk", fügt er hinzu – ein Scherz. Unter Montenegrinern ist es üblich, zwei Jobs zu haben, um über die Runden zu kommen.

Kreuzfahrtschiff vor Kotor
Kreuzfahrtschiff vor Kotor.
REUTERS/Stevo Vasiljevic

Der nächste Halt, 30 Minuten Motorboot-Sprint entfernt, gilt Kotor, früher Stadtstaat unter Venedigs Gnaden, heute Kreuzfahrerziel ohne Erbarmen. Drei Ferientanker ankern vor dem kleinen Ort, ihre Passagiere fluten den Fußgängertunnel zur Altstadt. Die Corona-Krise hat dort Spuren hinterlassen. Viele Souvenirläden wurden mangels Kundschaft aufgegeben und an türkische Geschäftsmänner verkauft. Deshalb hängen nun türkische Lampen in den Shops, die Zehn-Stunden-Touristen für landestypisches Handwerk halten. Pavle Pasković schüttelt den Kopf. "Da haben wir 500 Jahre gegen die Ottomanen gekämpft, um am Ende türkischen Tand in den Läden zu haben."

Hotelluxus

Abends flitzt das Boot zurück zum One & Only. Das Fünfsternehotel hat zwischen zwei Lockdowns eröffnet. In der ersten Saison stellten noch Russen die meisten Gäste, nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und den damit verbundenen Einschränkungen haben Amerikaner und Briten die Hoheit übernommen. Der Hotelluxus hat unbestreitbare Vorteile: automatisch hochgehende Toilettensitze, sich auf Knopfdruck anzündende Kaminfeuer und sanft öffnende Vorhänge, sobald man den Schalter am Bettkopf findet.

Was in Montenegro passiert, ist ein Blick in die Zukunft des Tourismus. Asiatische Immobilieninvestoren, die an arabische oder amerikanische Hotelketten verpachten, um eine internationale Klientel einzufangen. Die Verschiebung der wirtschaftlichen Kraft zeigt sich in Montenegro wie unterm Brennglas. Das Land hat gelernt, mit Fremden umzugehen – egal, welchem Stamm sie angehören: Venezianern, Ottomanen, Weltenbummlern. (RONDO, Ulf Lippitz, 7.7.2023)