Deep-Field-Aufnahme des James-Webb-Weltraumteleskops: Zahlreiche weit entfernte Galaxien sind erkennbar.
Galaxien, so weit das Auge reicht: Das neue "Auge im All", das James-Webb-Teleskop, zeigte in seiner ersten Deep-Field-Aufnahme ungekannte Details im Galaxiencluster SMACS 0723. Auch der Gravitationslinseneffekt wurde so deutlich wie nie zuvor.
Nasa/IMAGO/UPI Photo

Vor einem Jahr hingen Astrophysikerinnen, Redakteure und viele andere Interessierte in einer nervenaufreibenden Warteschleife. In der Nacht auf den 12. Juli 2022 (nach mitteleuropäischer Zeit) wurde von US-Präsident Joe Biden das erste beeindruckende Bild des neuen James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) präsentiert. Nach etwa einstündiger Verzögerung, untermalt von einem Musikstück des Albums "Inspirational Pop Vol. 6", war es endlich so weit: Im Livestream wurde die Deep-Field-Aufnahme gezeigt, die einen weitaus detailreicheren Blick in die Weiten des Universums lieferte als das Hubble-Teleskop. Das Webb-Teleskop ist etwa 100-mal empfindlicher als das Hubble-Teleskop, das im Jahr 1990 startete.

Später am 12. Juli folgten weitere Bilder, nicht wenigen Menschen dürfte beim ersten Anblick für einen Moment der Atem weggeblieben sein. Die wohl schönsten Ansichten aus einem Jahr Webb-Teleskop sind hier versammelt. Die Bilder wurden nach wissenschaftlichen und künstlerischen Gesichtspunkten bearbeitet, da das Teleskop Daten im für Menschen nicht sichtbaren Infrarotbereich sammelt.

Doch die ersten mit der Öffentlichkeit geteilten Aufnahmen sind nicht nur wunderschön, sie läuteten auch eine Phase ganz neuer Möglichkeiten und Erkenntnisse für die Astrophysik ein, die nun ein Jahr anhält. Bereits das Deep-Field-Bild demonstriert etwa in neuer Deutlichkeit den Gravitationslinseneffekt. Manche kosmischen Objekte sind nämlich als rötliche Striche zu erkennen. Die Lichtstrahlen, die von ihnen bis zum Webb-Teleskop beim Lagrange-Punkt L2 gereist sind, werden durch die starke Gravitation von massiven Objekten, die dazwischenliegen, verzerrt. Einen solchen Effekt sagte bereits Albert Einstein voraus, kündigte aber an, dass er nie zu beobachten sei. Hier irrte er – glücklicherweise.

Anfänge des Universums

Eine der Besonderheiten des Webb-Teleskops ist, dass es besonders weit entfernte Himmelskörper betrachten kann. So lassen sich auch Strukturen analysieren, die sich kurz nach der Entstehung des Universums bildeten. Das Licht dieser Objekte ist teilweise seit 13,5 Milliarden Jahren auf dem Weg zu uns. Erst kürzlich wurde durch eine wissenschaftliche Veröffentlichung publik, dass mit dem Webb-Teleskop das bisher älteste bekannte supermassereiche Schwarze Loch entdeckt wurde. Es entstand Fachleuten zufolge 570 Millionen Jahre nach dem Beginn des Weltalls, was für kosmische Verhältnisse ein sehr kurzer Zeitraum ist. Darüber, wie sich dieses aktive Schwarze Loch bildete, diskutieren Expertinnen und Experten.

Spektroskopie mit den Lichtwellenlängen, die eingefangen werden konnten und Rückschluss auf das Schwarze Loch geben.
Das Spektrogramm des Schwarzen Lochs, das sich in der Galaxie CEERS 1019 befindet.
NASA, ESA, CSA, Leah Hustak (STScI)

Auch in anderen Bereichen brach das Weltraumteleskop bestehende Rekorde, und das quasi schon ab dem Beginn seiner Inbetriebnahme für Forschungszwecke. Tausende bis dahin unbekannte Galaxien wurden sichtbar. Die ältesten Galaxien, die es ausmachen konnte, stammen aus einer Zeit rund 300 Millionen Jahre nach dem Urknall, wie berichtet wurde.

Für Fachleute ist die Fülle an Datenmaterial und an extrem alten Galaxien überwältigend. Die uralten Galaxien beinhalten mehr Sterne als erwartet und sind damit wesentlich massereicher, als die bisherigen Modelle vermuten lassen. Die Beobachtungen und Beschreibungen solcher "'unmöglichen' Galaxien" und wie sie vorherrschende Bilder und Definitionen in der Astronomie verändern, wird noch viele Forschungsgruppen beschäftigen: Neben etlichen Antworten, die die Daten des Webb-Teleskops liefern, setzen sie auch etliche Fragezeichen hinter aktuelle Annahmen zu Entstehung und Verhalten von Himmelskörpern.

Weit entfernte Galaxien, aufgenommen vom Webb-Teleskop.
Eine Aufnahme des Webb-Teleskops im Rahmen des Programms Cosmic Evolution Early Release Science (CEERS).
NASA, ESA, CSA, S. Finklestein, M. Bagley, R. Larson (UT), and A. Pagan (STScI)

Licht und Moleküle analysieren

Während es den schönen Bildern gelingt, Laiinnen und Laien für Astronomie zu begeistern, stecken die revolutionären Erkenntnisse vor allem in Spektrogrammen. Sie zeigen beispielsweise, welche chemischen Verbindungen sich auf Exoplaneten – Planeten fern unseres Sonnensystems – nachweisen lassen. Unter anderem wurden Daten zum Gasriesen Wasp-39 b veröffentlicht, die auf Schwefeldioxid schließen lassen. An der Entdeckung waren auch Expertinnen und Experten vom Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beteiligt.

Spektroskopie mit den Lichtwellenlängen, die zeigen, welche chemischen Verbindungen sich in der Atmosphäre des Gasriesen befinden könnten, von Wasser über CO2 bis Schwefeldioxid.
Das Spektrum des Gasriesen Wasp-39 b. Dort befinden sich nicht nur Wasser und CO2, sondern auch Schwefeldioxid.
NASA, ESA, CSA, J. Olmsted (STScI)

Auch in der mehr als zwölf Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie SPT0418-47 wurden organische Substanzen (genauer: polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) entdeckt. Auf diese Weise können Fachleute Indikatoren für außerirdisches Leben finden, eine spektakuläre Aussicht.

Eeine verschwommen-bläuliche Kugel, umringt von einem orangefarbenen Ring.
Im Vordergrund befindet sich eine bläuliche Galaxie, dahinter die durch den Gravitationslinseneffekt verzerrte und vergrößerte Galaxie SPT0418-47. Orange eingefärbt sind die entdeckten organischen Moleküle.
J. Spilker/S. Doyle/NASA/ESA/CSA

Das Webb-Teleskop ist aktuell das einzige Teleskop in Betrieb, das die Atmosphäre von Exoplaneten in ungefährer Erdgröße charakterisieren kann. Die Existenz einiger Exoplaneten konnte es bereits bestätigen und selbst die Temperatur des erdähnlichen Planeten Trappist-1b messenZu den bestätigten Exoplaneten gehört auch LHS 475 b, der Anzeichen für verschiedene Atmosphärenmodelle verrät, Fachleute also noch rätseln lässt.

Durchbruch des Jahres

Dafür wurde eine mögliche Antwort auf die Frage gefunden, weshalb weite Teile des Universums durchsichtig und nicht von trübem Gasnebel ausgefüllt sind: Durch den Prozess der Re-Ionisierung wird rund um Galaxien quasi aufgeräumt und saubergemacht.

Veranschaulichung der Re-Ionisierung in vier Bildern, von trüber Umgebung, in der Sterne und Galaxien entstehen, hin zu einem klaren Universum.
Veranschaulichte Re-Ionisierung: So wurde wohl im Laufe von Jahrmillionen der klare Blick in die Weiten des Weltraums ermöglicht.
NASA, ESA, CSA, Joyce Kang (STScI)

Wenig überraschend kürte das renommierte Forschungsmagazin "Science" das Webb-Weltraumteleskop Ende 2022 zum Durchbruch des Jahres. Die bisherigen Daten erstaunten manch einen Astrophysiker, der dem Hype um das Webb-Teleskop zunächst misstrauisch gegenüberstand. "Ich sagte: 'Es wird schon viele wirklich coole Dinge tun, aber wird es wirklich komplett verändern, wie wir das Universum sehen?' Damit hätte ich nicht weiter danebenliegen können", sagte etwa Steve Finkelstein von der Universität Texas in Austin. "Lehrbücher werden umgeschrieben – allein auf der Grundlage der Daten, die wir in der ersten Woche erhalten haben." Dafür nahm die Fachwelt ab dem Raketenstart im Dezember 2021 auch monatelanges Warten, ob die Instrumente tatsächlich funktionierten, in Kauf – und eine überlange Livestream-Warteschleife. (Julia Sica, 12.7.2023)