Ein Arbeiter blickt auf sein Smartphone, während er vor einer Lithium-Mine in Simbabwe steht.
Nur wenige kritische Rohstoffe werden in großen Mengen in Europa gewonnen. Minen wie hier in Simbabwe findet man im Globalen Süden dafür umso mehr.
REUTERS/PHILIMON BULAWAYO

Lithiumerz von der Koralpe, ein positives Umweltgutachten für die größte Lithiummine Europas in Portugal: Die Berichte in den vergangenen Wochen legen die Vermutung nahe, dass der Abbau von kritischen Rohstoffen in Europa an Fahrt aufnehme. Auf der Überholspur befindet sich die EU aber noch lange nicht.

Bis 2030 wird sich der Bedarf an kritischen Rohstoffen vervielfachen, so viel steht fest. Für Lithium prognostiziert die Weltbank den Faktor 18, bis 2050 sei mit einer Versechzigfachung zu rechnen. Windkraftwerke, Elektromobilität und Co: Die Energiewende macht kritische Rohstoffe zu einem mächtigen Werkzeug in Weltwirtschaft und Geopolitik. Doch was fällt alles unter den Begriff der kritischen Rohstoffe? Und wie gut ist die EU aufgestellt?

Kritische Rohstoffe nicht unbedingt selten

Als "kritisch" gelten Rohstoffe, wenn sie wirtschaftlich bedeutsam und einem hohen Versorgungsrisiko ausgesetzt sind. Der monetäre Wert des Rohstoffs ist dabei vernachlässigbar. Wichtiger ist dessen strategische Bedeutung in der industriellen Anwendung – Stichwort Mikrochips und Batterien. Das Versorgungsrisiko hingegen wird durch den Grad der Diversifikation bestimmt.

Die aktuelle Liste der EU umfasst 34 derartige Rohstoffe. Die Pläne, bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren, legte die Kommission im März in Form des Critical Raw Materials Act vor. Demnach soll die EU bis 2030 von keinem Drittland zu mehr als 65 Prozent abhängig sein. Von den Rohstoffen auf der Liste liegt die Importabhängigkeit derzeit bei mindestens zehn Materialien über dem ausgewiesenen Ziel, wie ein jüngst veröffentlichter EU-Bericht zeigt. Das Herkunftsland, das bei sechs von zehn Rohstoffen auftaucht: China.

Generell ist es das "Reich der Mitte", in dem eifrig in die Energiewährung der Zukunft investiert wird. Viele Rohstoffe werden direkt in China abgebaut, andere importiert und im großen Stil weiterverarbeitet. Lithium etwa wird großteils in Australien und Chile gewonnen – doch 94 Prozent der australischen Produktion werden in China weiterverarbeitet. Viele Ökonomen erachten das als Problem. Die Denkfabrik Bruegel warnte erst kürzlich davor, die EU würde sich in eine neue Abhängigkeit begeben. War es bislang Russland mit seinen Öl- und Gasexporten, verlagere sich die Abhängigkeit in Zeiten der Dekarbonisierung verstärkt Richtung China.

Als besonders kritisch erweist sich dieser Umstand, wenn weniger exportiert wird. Und das passiert immer öfter, wie die OECD in einer Studie vom April festhält. Demnach gab es im vergangenen Jahrzehnt immer mehr Ausfuhrbeschränkungen, die die Verfügbarkeit und die Preise empfindlich beeinflussen. Die EU dürfte wohl gut beraten sein, Abhängigkeiten strategisch zu reduzieren und die Eigenproduktion anzukurbeln, sind sich Experten einig. An den Vorkommen in Europa scheitert es jedenfalls nicht.

Vorkommen in Europa theoretisch ausreichend

"Das Potenzial ist da. Es ist keine Frage der geologischen Verfügbarkeit, sondern eine der Wirtschaftlichkeit", erklärt Holger Paulick von der Geologischen Bundesanstalt. Die genaue Größe der Vorkommen zu bestimmen sei aber schwierig, schließlich sei die Suche danach stets auch eine Frage des Geldes. Doch genau diese Investitionsbereitschaft ist es, die große Projekte in der EU bislang verhindert hätte.

"Die Exploration ist ein riskantes Business", sagt Paulick, der auch an der Liste der kritischen Rohstoffe auf EU-Ebene mitgewirkt hat. "Im Zweifelsfall muss man einen längeren Atem haben und sich bewusst sein, dass die Eigenproduktion eine Zeitlang teurer als der Ertrag sein kann." Oft brauche es private Investoren mit hoher Risikobereitschaft; neben etablierten Konzernen seien es vor allem junge Start-ups, die sich am Abbau versuchten, aber knapp bei Kasse seien.

Die Herausforderungen in der EU machen hier aber noch lange nicht halt. Das zeigt etwa auch das Beispiel auf der Koralpe. Ursprünglich war auch die Verarbeitung des Lithiums aus dem abgebauten Erz in Kärnten geplant, daraus wurde jedoch nichts. Europas Industrie sei "zur Absicherung der Energiewende nicht wettbewerbsfähig", kommentierte Minenbetreiber Dietrich Wanke die hohen Kosten, die damit verbunden sind.

Gruppe von Protestierenden im portugiesischen Lissabon.
Immer wieder formieren sich Proteste gegen Abbaugebiete von Lithium und Co – so auch in Portugal.
REUTERS/Rafael Marchante

Hinzu kommt das Problem fehlender Fachkräfte. "Bei den fachlichen Kompetenzen macht es sich besonders stark bemerkbar, dass der Bergbau in den vergangenen vier Jahrzehnten zurückgefahren wurde", schildert Geologe Paulick. Da helfe auch nichts, dass es im Bergbau mittlerweile einen hohen Grad an Automatisierung gebe. "Damit haben wir auch höhere Sicherheits- und Umweltstandards in Europa", die Gefährdung der Arbeiter sei damit deutlich minimiert – im Gegensatz zu Ländern in weniger fortschrittlichen Gegenden, wo es immer wieder zu folgenschweren Unfällen kommt.

Und noch ein Problem zeigt sich immer wieder: Die Bevölkerung sieht den Abbau im eigenen Ort kritisch. Das zeigt sowohl das Beispiel in Kärnten, wo selbst der Bürgermeister der benachbarten Ortschaft Kritik übte, als auch der geplante Abbau in Portugal, wo sich eine ganze Bürgerinitiative dem Vorhaben in den Weg stellte. Letztlich wird die EU noch an vielen Stellschrauben drehen müssen, um in Sachen Energiewende autonomer zu werden – von Themen wie Recycling und Technologieoptimierung zur Senkung des Bedarfs noch ganz zu schweigen. (Nicolas Dworak, 18.7.2023)