Kickl
Die FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl steht unter Druck.
APA/EXPA/DOMINIK ANGERER

Normalerweise startet der Countdown bis zur Implosion der FPÖ erst, wenn sie in eine Regierung kommt: Anfang der 2000er-Jahre zerstritt man sich in Knittelfeld, später spaltete sich der wohl mächtigste Freiheitliche Jörg Haider mit dem BZÖ ab.

Unter Türkis-Blau währte die Regierung nicht einmal anderthalb Jahre. Angelobt wurde im Dezember 2017, das Ibiza-Video beendete die Koalition im Mai 2019. Es folgte ein bitterer Machtkampf samt Gründung des Team Strache und dem Absägen von Parteichef Norbert Hofer durch den damaligen Klubobmann Herbert Kickl.

Jetzt ist die FPÖ der Macht im Bund so nah wie schon lange nicht mehr. In den Umfragen hat sie ÖVP und SPÖ abgehängt. Die Themenlage begünstigt den Aufstieg der Kickl-Partei, die – wie es der Spiegel unlängst treffend über die blaue Schwesterpartei AfD formulierte – die vielen Probleme von Teuerung bis Ukraine-Krieg nicht lösen, sondern abschaffen will.

Probleme ignoriert

Man möchte meinen, die FPÖ müsste einfach nur die Nationalratswahl 2024 abwarten, um dann als stimmenstärkste Partei ins Kanzleramt am Ballhausplatz zu marschieren.

Doch auch innerhalb der Partei wurden Probleme nicht gelöst, sondern abgeschafft – nämlich ignoriert. Das zeigt sich derzeit gleich mehrfach. So sind namhafte FPÖ-Politiker wie der EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky oder der Wiener Parteichef Dominik Nepp in die blaue Spesenaffäre verwickelt und werden als Beschuldigte geführt. Derzeit nimmt die Staatsanwaltschaft Wien das "System Strache" unter die Lupe, da geht es vor allem um Malversationen innerhalb der Wiener Landespartei: um von der Partei bezahlte Wohnsitze, um falsch abgerechnete Spesen, der Familie zur Verfügung gestellte Dienstwagen genauso wie um Partys im Wiener Rathaus während des Corona-Lockdowns. Die aktuellen Spitzenkader bestreiten die Vorwürfe zwar vehement, sind aber hochnervös, was die Ermittlungen zutage fördern. Kickl würde dem am liebsten ein Ende machen und die Wiener Landespartei neu aufsetzen – dazu ist diese aber zu verfilzt.

Ähnlich ist die Situation in der Steiermark, wo sich Kickl im Finanzskandal rund um veruntreute Klubgelder in Graz allerdings auf die Seite des beschuldigten Landesparteichefs Mario Kunasek gestellt hat, der aufklärungswillige Parteikollegen aus der FPÖ schmiss.

Erweiterte Parteifamilie

Trotz alldem führt die FPÖ ihre mehr als fragwürdigen Praktiken fort: Recherchen des STANDARD zeigen, dass als Assistentinnen und Assistenten in Brüssel enge Verwandte von vier anderen (früheren) Spitzenpolitikern der FPÖ tätig sind. Das Image, die erweiterte Parteifamilie mit Steuergeld zu versorgen, kann Kickl gar nicht recht sein.

Und dann gibt es da noch die wichtigen Landesparteivorsitzenden, die bereits in einer Regierung mit der ÖVP sind. Dort fühlen sie sich recht wohl, die allzu scharfen Angriffe auf ihren eigenen Koalitionspartner durch Kickl werden zusehends nicht mehr goutiert – und man ist dort auch der Ansicht, der Parteichef würde die FPÖ mit seiner konfrontativen, Grenzen überschreitenden Art um die Kanzlerschaft bringen. Gerüchteweise soll schon ein "Manager" als potenzieller Kanzlerkandidat neben Kickl gesucht werden – was der nicht zulassen wird. Womöglich hat der Countdown bis zur nächsten Parteikrise also längst begonnen. (Fabian Schmid, 11.8.2023)