Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Ist sich auch keiner Schuld bewusst: Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
APA/HANS KLAUS TECHT

Der türkise Altkanzler Sebastian Kurz muss sich heuer ab 18. Oktober vor Gericht verantworten. Es geht um den Vorwurf der Falschaussage im Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre. Im Fall einer Verurteilung drohen Kurz bis zu drei Jahre Haft. Es gilt die Unschuldsvermutung. Aber wie ist die Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) argumentativ aufgebaut?

Im 108 Seiten dicken Strafantrag der Justizbehörde firmiert der Fall Kurz unter "Punkt B". Dort werden den Ausführungen des früheren ÖVP-Chefs die Recherchen der Korruptionsermittler gegenüberstellt. Die Details, mit denen sie Kurz Falschaussagen nachweisen wollen, sind zahlreich. Die Strategie lässt sich in drei Abschnitte einteilen.

Video: Sebastian Kurz muss sich ab 18. Oktober am Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten
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Die Vorstandsbestellung von Thomas Schmid

War Sebastian Kurz maßgeblich am Aufstieg des früheren Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag beteiligt? Am 24. Juni 2020 spielte Kurz seine vermeintliche Rolle in der Sache im Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre noch herunter. Der damalige Bundeskanzler gab in den Fragerunden der Abgeordneten den Unwissenden. Das sah beispielsweise so aus:

Strafantrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft
Strafantrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft

Schmid, ein ehemaliger Kurz-Intimus, der Kronzeuge werden will, erzählte die Geschichte in Einvernahmen anders. Demnach sei er von Kurz nicht nur damit beauftragt worden, die Strukturreform der Staatsholding vorzubereiten. Kurz habe ihn auch ersucht, nach getaner Arbeit die Leitung der Holding zu übernehmen. Das sei im Mai 2017 passiert. Da war Kurz noch Außenminister.

Anhand von Chats versuchen die Ermittler nachzuweisen, wie eng Kurz und Schmid dieses Projekt gemeinsam verfolgt haben könnten. So frohlockte Schmid schon während der türkis-blauen Regierungsverhandlungen im November 2017 in Richtung des baldigen Kanzlers Kurz: "ÖBIB neu (später Öbag Anm. Red) so wie wir sie wollen".

Ein Jahr später, knapp nach dem Gesetzesbeschluss für die neue Staatsholding, dürften Kurz und Schmid einander getroffen haben, um mutmaßlich Postenbesetzungen im Aufsichtsrat der Holding und in den Beteiligungsunternehmen zu besprechen. Davon gehen die Ermittler ebenso anhand von Chats aus. "Er meinte ob mir omv nicht zu zach ist", schrieb Schmid einer Ex-Kollegin im Finanzministerium im Anschluss an das angebliche Treffen. "Aber unterstützt es".

Dass Schmid den Altkanzler als "faktischen Entscheidungsträger seiner Vorstandsbesetzung sah", wird aus Sicht der Ermittler aber vor allem durch Schmids Bitte deutlich, dass dieser ihn "nicht zu einem Vorstand ohne Mandate" mache. Woraufhin ihm Kurz entgegnet hatte: "kriegst eh alles, was du willst" samt dreier Kuss-Emojis.

Die Besetzung des Aufsichtsrats

Wusste Kurz ganz allgemein, wie der Aufsichtsrat der Staatsholding beschickt wurde? Und war er in die Pläne eingebunden? Fragen wie diese richtete die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper im U-Ausschuss an Kurz und biss sich die Zähne aus. "Bei Aufsichichtsratsbestellungen wird man als Bundeskanzler - das ist von Minister zu Minister unterschiedlich und von Anlassfall zu Anlassfall unterschiedlich - manchmal mehr, manchmal weniger informiert", präsentierte sich Kurz als unbeteiligt. "Grundsätzlich treffen die Minister, die zuständig sind, ihre Entscheidungen. Im Regelfall werde ich danach informiert, manchmal werde ich vorher um die Meinung gefragt."

Krisper verwies darauf, dass drei Personen im Aufsichtsrat der Holding säßen, die für Wahlkämpfe entweder selbst große Summen an die ÖVP gespendet hatten oder - in einem Fall - der Vater. Auch hier kam Krisper nicht weiter. Kurz konnte sich "gut vorstellen", dass es "Brainstormingrunden" zwischen Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Schmid, dem Nominierungskomitee "und anderen" gegeben haben könnte. Darüber hinaus wollte sich Kurz an nichts erinnern:

Strafantrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft

Die Korruptionsermittler gehen hingegen davon aus, dass die Besetzung des Aufsichtsrates in der Staatsholding "Chefsache" war. So schrieb Schmid schon im Februar 2018 an einen damaligen Generalsekretär im Bundeskanzleramt: "AR macht Sebastian selber und hat 3000 Zusagen gemacht für 9 AR Jobs ;-)"

Kurz und Co. sollen sich lange vor dem damals formal zuständigen Finanzminister Löger mit den Besetzungen beschäftigt haben. Das machen die Ermittler erneut an etlichen Chats fest. "An dem ÖBIB Gesetz & AR sind wir dran, da melden wir uns sobald wir Entscheidungen haben", textete Kurz' ehemaliger Kabinettschef im Oktober 2018 an Schmid. Der hatte wiederum einige Wochen später eine Bitte an die Assistentin des Kanzlers: "Könnten wir bitte bald wegen des Aufsichtsrats dort reden. Ich werde auch nix wegen des AR Chefs sagen. Für mich erledigt."

"Mit Sebastian reflektieren", "Letztes Gespräch mit Kurz, "Wie besprochen mit Sebastian abgestimmt", "Die kennt Sebastian", "Wenn wir alle drei ein gutes Gefühl haben, machen für sie einen Termin mit Sebastian", in den darauffolgenden Wochen mehren sich die Hinweise, dass die Jobs im Aufsichtsrat der Staatsholding mit Kurz zumindest eng abgestimmt worden sein dürften.

Dass die "faktische Entscheidungsgewalt" bei Kurz gelegen sein soll, erklären die sich die Ermittler anhand eines anderen Beispiels: Als Schmid einen Vorschlag für den Aufsichtsrat machte, den er als "echt cool" ansah, quittierte das Kurz ohne weitere Diskussion mit "unmöglich".

"Die Schiefer-Schmid-Vereinbarung"

Wusste Kurz davon, dass Thomas Schmid und sein zu türkis-blauen Zeiten freiheitliches Pendant in Personalfragen, Arnold Schiefer, ein Personalpaket für den Aufsichtsrat der Staatsholding geschnürt hatten? Passierte das möglicherweise sogar in dessen Auftrag? Der frühere Kanzler hatte im U-Ausschuss angeblich "keine Ahnung":

Strafantrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft

Auch das glauben die Staatsanwälte Kurz nicht. Dem Ex-Kanzler sei die Vereinbarung aus Sicht der Strafverfolgungsbehörde sehr wohl bekannt gewesen - "wenn auch zunächst ohne Detailkenntnis".

Am 14. Jänner 2019 sei angeblich ein "Dissens" aufgetaucht. Und zwar zwischen dem, was Schmid und Schiefer vereinbart hatten und dem unterfertigen Sideletter zum türkis-blauen Koalitionsabkommen. Faktisch habe die "Schiefer-Schmid-Vereinbarung" für Kurz und die ÖVP "einen Verlust von zwei Plätzen im Öbag-Aufsichtsrat" bedeutet. Dieses "Abgehen" vom "Regierungspapier" sollen Kurz und einer seiner engsten Weggefährten am selben Tag bei einem Termin im Bundeskanzleramt mit Finanzminister Hartwig Löger kritisiert haben, heißt es im Strafantrag.

Wegen der Vereinbarung soll es innerhalb der türkis-blauen Koalition "ziemlichen Knatsch" gegeben haben. Die Ermittler glauben nicht zuletzt daran, dass Kurz davon wusste, weil sich Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im April 2019 nach einer Besprechung zum Thema in einer Nachricht wie folgt geärgert hatte: "Extravereinbarung mit Schmied (sic!) ist mit ihm nicht besprochen und gilt nicht." Hinter "ihm" wird Kurz vermutet. (Jan Michael Marchart, 20.8.2023)