Ein Inflationseffekt geht von einem Zinsdeckel in der jetzigen Situation sicher nicht aus, schreibt die Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbunds in ihrem Gastkommentar. Sie antwortet damit auf Ifo-Chef Clemens Fuest, der sich in seinem Gastkommentar gegen einen solchen aussprach.

Roter Topf auf einem Gasherd vor schwarzem Hintergrund, eine Hand hebt den Deckel auf, Dampf steigt auf
Deckel drauf oder doch eine andere Maßnahme, um Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer zu entlasten? Der Vorschlag der SPÖ, einen Zinspreisdeckel einzuführen, sorgt für hitzige Diskussionen.
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Zinsregulierungen sind Vorschriften, welche Zinssätze Banken ihren Kundinnen und Kunden abverlangen dürfen. Sie sind weltweit, auch in den EU-Ländern, gängige Praxis. Der staatliche Eingriff erfolgt zum Zweck des Konsumentenschutzes: Er bewahrt Verbraucherinnen und Verbraucher vor überbordenden Kreditzinszahlungen, etwa durch Zinsobergrenzen für Überziehungskredite. In Deutschland gilt die Daumenregel, dass Kreditzinssätze in individuellen Kreditverträgen nicht mehr als die Hälfte des durchschnittlichen Zinssatzes ausmachen dürfen. Die Finanzstabilitätswächter der EU achten penibel darauf, dass bei Zinsänderungen die Mehrbelastung nicht zu sehr von den Banken auf die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer überwälzt wird – insbesondere bei den Immobilienkrediten.

Die umfassende ökonomische Literatur zur Zinsregulierung trägt diesen Umständen Rechnung. Anders als Ifo-Chef Clemens Fuest im Gastkommentar (siehe "Ein Zinsdeckel wäre keine gute Idee", DER STANDARD, 17. 8. 2023) sagt sie nicht, dass ein staatlicher Eingriff in Zinsen zwingend schlecht ist. Sie zeichnet ein viel differenziertes Bild, in dem Zinsregulierung viele Vorteile bieten kann. Generell gilt: Nicht das Ob, sondern das Wie der Regulierung ist entscheidend.

Vorbild Frankreich

Auch bei den Bankeinlagen sind Regulierungen von Zinsen nichts Außergewöhnliches. Die Zinsvorschriften stellen einen Zinsertrag für Ersparnisse sicher. Damit wird verhindert, dass die Kaufkraft der Sparerinnen und Sparer bei hoher Inflation wegschmilzt. Ein Vorbild ist Frankreich mit zwei regulierten Sparprodukten, die jede Bank anbieten muss: das Sparbuch A (Livret A) bietet für Einlagen bis 22.950 Euro einen regulierten Zinssatz, der auf Empfehlung der französischen Notenbank festgelegt wird. Derzeit beträgt der Zinssatz drei Prozent. Das ist deutlich mehr, als die heimischen Banken geben.

Für Kleinsparerinnen und Kleinsparer mit wenig Einkommen gibt es zudem ein Volkssparbuch (Livret d’épargne populaire) bis zu 10.000 Euro. Der Zinssatz wurde zuletzt mit sechs Prozent festgelegt; die Inflationsrate liegt in Frankreich aktuell bei fünf Prozent. Der Notgroschen gewinnt damit sogar an Wert.

Rote Sparbücher mit der Aufschrift
Beim französischen Sparbuch Livret A ist der Zinssatz reguliert.
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Breite Kritik

Der Vorschlag eines Zinsdeckels hat unter manchen Ökonominnen und Ökonomen Entsetzen ausgelöst. Auch deutsche marktliberale Kolleginnen und Kollegen haben sich auf dem Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter, in die Debatte eingeschaltet. Fuest sprach dort gar von einem "kompletten Stuss".

"Ein zinsreguliertes Sparbuch nach dem französischen Vorbild konterkariert sicherlich nicht die Geldpolitik, sondern hilft ihr."

Wird die Wirkungsweise der Geldpolitik, wie Fuest argumentiert, tatsächlich durch Zinsregulierungen abgeschwächt? Hier muss man zwischen Einlagen und Krediten unterscheiden. Wenn die Anpassung der Einlagezinsen auf Leitzinsänderungen aus verschiedenen Gründen stark verzögert oder gar nicht erfolgt, wie das derzeit der Fall ist, dann ist auch die Wirkungsweise der Geldpolitik, die mehr Sparen und weniger Konsum intendiert, gestört – das wäre selbst in der Lehrbuchlogik ein mögliches Argument für Zinsregulierung. Ein zinsreguliertes Sparbuch nach dem französischen Vorbild konterkariert somit sicherlich nicht die Geldpolitik, sondern hilft ihr.

Die Wirkung der Geldpolitik ist grundsätzlich auch durch den Anteil der fixverzinsten an den gesamten Krediten beeinflusst. Je höher dieser Anteil, desto weniger rasch übertragen sich Leitzinsänderungen auf Kreditzinsen und desto langsamer wirkt die Geldpolitik über den Kreditkanal. In Österreich wirkt aufgrund des im europäischen Vergleich hohen Anteils variabel verzinster Kredite dieser Kanal vermutlich rascher – mit durchaus unangenehmen Wirkungen. Die Nachfrage nach Immobilienkrediten ist nach der Leitzinsanhebung aufgrund der stark gestiegenen Zinsbelastung eingebrochen. Die Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft wie in der gesamten Wirtschaft steigt. Die Inflation bleibt dennoch hoch.

Rigoroses Instrument

Die Geldpolitik mit der Zinsschraube ist in einer Situation, wo die Inflation wesentlich von Angebotsschocks und Profiten getrieben ist, ein sehr rigoroses, wenig zielgerichtetes und schmerzhaftes Instrument der Inflationsbekämpfung – es gäbe zahlreiche nicht genützte Alternativen wie direkt preissenkende Maßnahmen bei Lebensmitteln, Mieten oder dem gesamten Energiebereich.

Das bekommen nicht nur die Arbeitslosen zu spüren, sondern auch die vielen Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer, die während der Niedrigzinsphase einen variabel verzinsten Immobilienkredit aufgenommen haben und nun in die Schuldenfalle geraten. Weil alles andere – Lebensmittel, Energie – auch teurer wird, ist die Kreditbelastung oft kaum noch bewältigbar. Die Betroffenen schränken den Konsum ein, aufgrund des hohen Anteils der variabel verzinsten Kredite sicherlich stärker als in anderen Ländern. Das Gros der Häuslbauer hat übrigens mangels Verfügbarkeit sozialen Wohnbaus in den Bundesländern keine Alternative zum Eigenheim. Verlieren sie – im Extremfall – ihr Haus, stehen sie auf der Straße.

Politisches Ermessen

Ob hier zinsregulatorisch eingegriffen oder ein Schuldnerentlastungspaket geschnürt wird, wo Betroffene Anträge auf Unterstützung stellen, ist eine politische Ermessensfrage. Wählt man Ersteres, müsste der über eine Bankenabgabe oder Übergewinnsteuer subventionierte Zinsdeckel nicht nur bis zu einer gewissen Kreditbetragshöhe gelten. Es müsste auch eine Einkommensgrenze eingezogen werden. Dies wäre leicht administrierbar, da die Banken über Informationen zur Einkommenssituation der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer verfügen. Längst überfällig ist natürlich außerdem eine Begrenzung der Zinsen auf Überziehungskredite.

Aber – wie Fuest es tut – einen Inflationseffekt von Zinsdeckeln zu konstruieren, ist in der derzeitigen Situation reichlich absurd. Die Inflation ist – selbst im zweiten Quartal 2023 – seit nunmehr zwei Jahren überwiegend profitgetrieben, der Konsum stark rückläufig. Wenn Betroffene in den Genuss eines Zinsdeckels oder eines Schuldenentlastungspakets kommen, wird die Schuldenfalle verhindert, der Konsum bestenfalls etwas stabilisiert und eben nicht inflationsfördernder Konsum befeuert. (Helene Schuberth, 20.8.2023)