Die Sprachrohre ihrer Parteien bei den diesjährigen ORF-"Sommergesprächen" (v. li.): Beate Meinl-Reisinger (Neos), Werner Kogler (Grüne), Herbert Kickl (FPÖ), Andreas Babler (SPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Hochmut/Fohringer/Schlager/Manhart

Offiziell hat das Parlament keine Sommerpause. Zwischen Mitte Juli und Mitte September herrscht im Nationalrat aber tagungsfreie Zeit. Damit den Parteivorsitzenden nicht allzu langweilig wird, lädt der ORF jedes Jahr zu den sogenannten "Sommergesprächen".

Die Standortbestimmung fand heuer mit Beate Meinl-Reisinger (Neos), Werner Kogler (Grüne), Herbert Kickl (FPÖ), Andreas Babler (SPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP) in einem dämmrigen Besprechungszimmer des Hohen Hauses statt. Interviewerin Susanne Schnabl und ihre Gäste wurden vor einer vom Boden bis zur Decke mit Holzpaneelen verkleideten Kulisse inszeniert.

KI-Analyse als Draufgabe

Vielleicht sind Sie in den letzten Tagen schon auf das eine oder andere Resümee eines Politbeobachters oder einer Kommunikationsforscherin gestoßen. Dieser subjektive Blick auf die Performance der Interviewten verrät oft mehr darüber, wie ein Mensch das Verhalten eines anderen wahrnimmt, die Gestik und Mimik, den Tonfall. Möglich, dass es eine nicht ganz unparteiische Perspektive ist.

Als Draufgabe wollen wir Ihnen noch eine inhaltliche, computergestützte Analyse anbieten. Wir haben die offiziellen Transkripte, die auch als Untertitel ausgestrahlt wurden, durch das Sprachmodell GPT (Generative Pre-trained Transformer) geschickt. Die KI-Infrastruktur, bekannt vor allem aus der Anwendung ChatGPT, ist in der Lage, getroffene Aussagen als positiv, neutral oder negativ zu interpretieren.

Mithilfe einer solchen Sentiment-Analyse kann man annäherungsweise herausfinden, ob ein Gesprächspartner etwa bei einem persönlichen Reizthema zu besonders negativ konnotierten Formulierungen greift. Oder umgekehrt bei einem Leibthema trotz kritischer Interviewfrage zu einem Monolog aus Eigenlob ausholt.

In den folgenden Visualisierungen steht jeder vertikale Streifen für ein Gesprächssegment, der Struktur der Untertitel folgend. Meist handelt es sich dabei um zwei kurze Zeilen Text. Die Streifen sind, wie auch in der Legende ersichtlich, jeweils rot (negativ) bis grün (positiv) eingefärbt. Schnabls Fragen oder Unterbrechungen wurden weiß gelassen und Einspieler, bei denen Parlamentsbesucher befragt wurden, grau hinterlegt. Außerdem wurden Themenblöcke zu inhaltlichen Klammern zusammengefasst und ebenfalls nach ihren durchschnittlichen Sentiment-Scores farblich codiert. Mehr zur Methodik finden Sie in der Infobox am Ende des Artikels.

Beate Meinl-Reisinger

Mit der Neos-Chefin startet die Interviewserie Anfang August. Schon die ersten beiden Themenblöcke, Arbeitszeit und Steuern auf Arbeit, locken Meinl-Reisinger aus der Reserve. Die Auswertung ergibt jeweils leicht negative Sentiments, etwa wenn sie Anreize für die Teilzeitjobs kritisiert oder Lohnnebenkosten für "unerträglich" hoch hält.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs vermittelt Meinl-Reisinger eine positivere Grundstimmung, vor allem dort, wo es um die Neos und eine mögliche Koalitionsbeteiligung, die österreichische Neutralität oder Integration geht.

Werner Kogler

Werner Kogler ist der einzige Parteichef, der in keinem einzigen Themenbereich einen negativen Wert erreicht. Das zieht sich durch die ganze Sendung, immer wieder greift er zu Formulierungen wie "Wir brauchen mehr Zuversicht, Mut und Verstand", "Ich bin optimistisch, dass bei gutem Willen viel gelingen kann" oder "Deshalb sag ich immer, man muss die Chancen sehen".

Beim grünen Kernthema, dem Klima- und Bodenschutz, gerät er zunächst in die Defensive, muss erklären, warum es noch immer kein Klimaschutzgesetz gibt. Mit Fortdauer redet sich Kogler nahezu in einen Zustand der Verzückung, und es entlädt sich ein ganzer Cluster an positiven Affekten. Erst als Schnabl zum Thema Justiz überleitet, senkt sich seine Euphorie wieder.

Koglers buchstäblicher Redefluss lässt sich in diesem Fall auch durch die Textdaten belegen: Schnabl kam im Gespräch mit dem grünen Bundessprecher am seltensten zu Wort.

Herbert Kickl

Während es bei allen anderen höchstens in zwei Fällen zutrifft, ist Herbert Kickl der einzige Interviewgast, der bei gleich vier der vom ORF definierten Themenkomplexe einen negativen Score erhält: bei der Einstiegsfrage zu Corona, bei der Abhandlung der Rücktrittskultur in der Politik, bei der Klimapolitik und beim Thema Wahlen und Koalitionen (betitelt mit "Wäre Blau-Schwarz ohne Kickl denkbar?").

Den positivsten Wert erreicht Kickl beim kurzen Block "Verabschiedung", als er im Rahmen eines Abschlussgags seinen Politikstil als Buchtitel formulieren soll ("Bring es auf den Punkt! Hin zum Volk – Abkehr von den selbsternannten Eliten"). Möglich allerdings, dass in diesem nur einminütigen Segment das Sprachmodell die dahinterstehende Kampfansage nicht völlig verstanden hat.

Andreas Babler

Der Neo-SPÖ-Chef verfällt in eine leicht negative Rhetorik, wenn er über die hohen Lebensmittelpreise und außenpolitische Themen (vor allem den Russland-Ukraine-Krieg und die Europäische Union) spricht. Eher anerkennende Formulierungen findet Babler, wenn er über das Innenleben seiner Partei spricht: die Basisdemokratie, seinen Vorsitz und das Wahlprogramm.

Überraschenderweise bleibt der ehemalige Traiskirchner Bürgermeister bei jenem Thema verhältnismäßig neutral im Ton, das ihn in jüngster Zeit oft Kritik und Animositäten einbrachte, nämlich seinen Zustand zu radikaler linker Politik. Konkret befragte ihn Schnabl zur vielzitierten Lenin-Büste, eventuellen Jugendsünden in roten Vorfeldorganisationen und den Klassenkampf.

Karl Nehammer

Der Kanzler driftet nur bei einem Thema in negative Sentiments ab. Auf Nachfrage führt er wortreich aus, warum er Herbert Kickl im Juli als Sicherheitsrisiko für das Land bezeichnete – unter anderem wegen dessen Ablehnung des Raketenschutzschirms Sky Shield, der "Zerstörung des Verfassungsschutzes" und weil er, auch, aber nicht nur in der Pandemie, "die Ängste und Nöte der Menschen ausnutzt".

Bei allen anderen Sachfragen ist Karl Nehammer dafür weniger aus der Ruhe zu bringen und bleibt bei einer optimistischen Beschreibung der Lage in Österreich bezüglich Inflation, Gas und Infrastruktur. Der Kanzler verabschiedet sich in einem Stimmungshoch, denn "mit Pessimismus hat man keine Krise überwunden".

Nach fünf Wochen "Sommergesprächen" können wir also einen abschließenden Blick darauf werfen, in welchem Ausmaß die Gäste positiv über die ihnen vorgesetzten Themen gesprochen haben und in welchem Ausmaß sie negative Zugänge wählten.

Den höchsten positiven Gesamtscore haben mit Vizekanzler Werner Kogler und Kanzler Karl Nehammer die Regierungsspitzen. Das ist wenig überraschend, denn ihre Rolle liegt darin, die Performance der Koalition in ein gutes Licht zu rücken und die Ergebnisse ihrer Politik als dienlich zu verkaufen.

Die Opposition hingegen bedient sich öfter einer kritischen bis negativen Kommunikationsstrategie. Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger haben in Summe aber noch immer einen Score, bei dem die positiven Affekte überwiegen. Einzig bei Herbert Kickl scheint, vielleicht auch nur an diesem Tag, die schlechte Laune dominiert zu haben.

(Pauline Reitzer, Moritz Leidinger, Michael Matzenberger, 10.9.2023)