Dieser Mann soll wesentlich zum Verständnis für den ORF-Beitrag von allen beitragen, der ab 1. Jänner 2024 fällig wird: Michael Pauser hat mit 1. September die Führung von Ö3 übernommen, dem meistgenutzten unter den vielen ORF-Kanälen. Fast ein Drittel der Menschen ab zehn sagen, sie hören Ö3 täglich. Der größte Radiokanal des Landes liefert dem ORF zugleich rund ein Viertel seiner klassischen Werbeeinnahmen. "Insofern hilft Ö3, die Haushaltsabgabe für den ORF niedrig zu halten", sagt Pauser im sehr ausführlichen STANDARD-Interview.

Der großen Aufgabe gemäß, den ORF-Beitrag verständlich zu machen, verspricht Pauser im Interview: Ö3 und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden "so viel Nähe herstellen mit den Hörerinnen und Hörern wie noch nie". Etwa mit dem Format "Frag das ganze Land", das 2024 als Veranstaltungsreihe durch Österreich touren und im Herbst ins Fernsehen kommen soll. Von einem Wanderzirkus Ö3 oder Ö3 auf jedem Dorffest möchte Pauser da nicht hören.

Auf Social Media rüstet der Sender ebenfalls auf, und er will noch eine Stunde früher am Tag für die Menschen on air da sein. Denn eine Million Menschen stünden zwischen vier und fünf Uhr auf, die wolle man positiv in den Tag bringen. Wer will denn das? "Es sind ja nicht alle Österreicher grantig, das stimmt überhaupt nicht", sagt Pauser.

Was hat Pauser vor, und wie erklärt er den Sender im Interview? Das Wichtigste im Überblick:

Michael Pauser Ö3-Chef vor Ö3-Logo
"Das große Ziel ist: Ö3 ist nicht nur im Ohr, sondern im Herz." Der neue Ö3-Chef Michael Pauser über seine Ambitionen mit dem ORF-Popradio.
Regine Hendrich

"Das große Ziel ist: Ö3 ist nicht nur im Ohr, sondern im Herz"

STANDARD: Ö3 ist als Einzelsender klarer Marktführer, weitaus größter Sender in Österreich, Sie sind seit drei Wochen neuer Senderchef. Alles weiter wie bisher?

Pauser: Bei einem tagesaktuellen Medium ist immer etwas zu tun. Ö3 geht es prinzipiell gut. 2,5 Millionen Hörer täglich, über die Woche 4,8 Millionen. Das ist schon eine große Ehre und ein großer Auftrag. Das Besondere bei Ö3 ist, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne seine Identität zu verlieren. Das ist auch die Herausforderung für die nächste Zeit, die nächsten Jahre.

STANDARD: Und was erfinden Sie neu?

Pauser: Wir haben uns drei Themen vorgenommen: Trimedialität, wir müssen, über das lineare Radioprogramm hinaus, den Weg zur Plattform gehen. Starprinzip, das bedeutet, dass wir Marken, nicht unbedingt Menschen, in den Vordergrund stellen. Ich will, dass es soviel "Wecker" wie noch nie gibt, soviel "Frag das ganze Land" wie nie, weil wir soviel diskutieren und unterwegs sein werden wie noch nie. Und ich will drittens soviel Nähe herstellen mit den Hörerinnen und Hörern wie noch nie.

STANDARD: Wie machen Sie das?

Pauser: Wir werden aktiver, wo Hörerinnen und Hörer sind. Auf Social Media, im Internet, und wir sind in Österreich unterwegs, bei Veranstaltungen und allgemein. Ö3 möchte den Hörerinen und Hörern öfter begegnen, auch im echten Leben. Wir werden mit "Frag das ganze Land" nicht nur ins Fernsehen gehen, sondern auch versuchen, das als Off-Air-Veranstaltung zu etablieren. Wir wollen junge Diskussionen veranstalten über gesellschaftspolitisch relevante Themen.

STANDARD: In welchem Umfang kann man sich das vorstellen, wo?

Pauser: Ö3 macht ja schon sehr erfolgreich die Ö3-Jugendstudie, das tun wir auch in den nächsten Jahren. Mit den Themen aus der Studie, ähnlich wie wir das beim 4Gamechangers-Festival gemacht haben, mit einer Veranstaltungsreihe, gehen wir auf Tour, beginnend mit vier bis acht Veranstaltungen pro Jahr.

STANDARD: Wo trifft man auf dieses Format?

Pauser: Das Format ist noch in der Entwicklung, in meinen ersten drei Wochen in der Funktion ist noch nicht alles fertig. Zusätzliche Ö3-Komponenten werden noch entwickelt, über die rede ich noch nicht. Das sind eigenständige Veranstaltungen und zugleich Testlauf und Vorbereitung auf die Fernsehsendung.

STANDARD: Die kommt wann?

Pauser: Im Frühjahr werden wir unsere Events machen, danach die Sendung aufsetzen.

STANDARD: Ö3 ist in der Reichweitenstudie Radiotest hinter die in der Vermarktung RMS+ versammelten Radiosender zurückgefallen. Das war eine Zäsur für Ö3.

Pauser: Radio insgesamt hat zugelegt, das ist eine gute Nachricht, dem Radio geht es gut. Ö3 hat te im jüngsten Radiotest mehr Hörerinnen und Hörer als im Jahr davor.

STANDARD: Die Privatradios haben laut diesem Radiotest mehr Hörerinnen und Hörer dazugewonnen als Ö3. Ist das insgesamt ein realistisches Ergebnis? Im Jahr 2023 legt traditionelles Radio zu?

Pauser: Auch in Deutschland hören die jungen Menschen wieder mehr Radio.

STANDARD: Das war's wieder mit dem Streaming, oder wie?

Pauser: Natürlich nicht. Es wird mehr über neue Medien konsumiert, das ist ja kein Widerspruch.

"Dieses Geschäft ist das Geschäft der Erinnerung."

STANDARD: Beim Radiotest werden bestehende Ukw-Marken abgefragt und deren Nutzung über alle Kanäle. Nicht aber Streamingangebote wie Spotify und Co.

Pauser: Prinzipiell gibt es am Anfang eines Radiotest-Interviews eine Abfrage aller Marken. Wenn man sagt, man kennt diese Medienmarken, dann werden diese durch den Test durchgezogen. Natürlich zählt hier auch die Onlinenutzung dieser Radiomarken. Das ist ein Erinnerungsmarkt: Hast du gestern Ö3 gehört, über welchen Weg auch immer. Die meisten können auch nicht ganz klar unterscheiden: Es gibt Handys, die haben Radio-Empfangsteile, andere hören über Stream, über Apps. Die Menschen haben Radio gehört - das ist die wichtige Botschaft.

STANDARD: Man blendet damit aber ein wichtiges Segment aus, das gerade jüngere Hörerinnen und Hörer wesentlich nutzen: Streaming über Spotify, Youtube, Amazon Music, Apple Music abseits der klassischen Radiomarken. Im neuen Audio Online Monitor haben diese Streamingplattformen jedenfalls höhere Nutzungswerte als Webradio.

Pauser: Das sehe ich nicht so. Im Prinzip ist der Radiotest eine Erinnerungsstudie: Welche Medienmarken haben mich erreicht? Insofern ist es völlig egal, ob diese Erinnerung auf Ukw, DAB+, online zurückzuführen ist. Das macht keinen Unterschied. Der Radiotest ist eine der genauesten Studien mit mehr als 20.000 Interviews, er fragt jede Viertelstunde ab.

STANDARD: Ich weiß nicht, ob ich mit Bestimmtheit sagen könnte, welchen Radiosender ich gestern von 15.45 bis 16 Uhr gehört habe.

Pauser: Dieses Geschäft ist das Geschäft der Erinnerung. Andere Studien werten andere Dinge aus. Nur weil irgendwo ein Stream gelaufen ist, muss das nicht mit der Erinnerung zu tun haben. Das ist ähnlich wie bei Podcast-Studien: Wurde etwas gehört oder wurde etwas heruntergeladen? Das soll jeder selbst interpretieren. Wir stehen gemeinsam mit den Privatradios zum Radiotest.

STANDARD: Warum traut man sich nicht, den Markt des Audiokonsums mit vergleichbaren Daten für Radio und Streaming gesamthaft abzufragen und abzubilden? Spotify oder Youtube hören so viele Menschen in Österreich unter 50 oder auch unter 30 Jahren täglich so lange?

Pauser: Ich denke, dass der Radiotest den Radiomarkt sehr gut abdeckt.

"Ich kenne keine Studie, in der 2,5 Millionen sagen, sie hören Spotify oder Youtube Music." Pauser über den österreichischen Audiomarkt

STANDARD: Sie werden als hochprofessioneller, verantwortlicher Senderchef doch Daten darüber haben: Ist Youtube oder Spotify bei den Menschen unter 30 womöglich meistgenutztes Audioangebot, also vor Ö3 oder anderen Sendern?

Pauser: Beim Podcast etwa ist der Markt noch sehr klein im Verhältnis zum Radio.

STANDARD: Ich habe nicht Podcast gesprochen, sondern über Musikstreaming.

Pauser: 2,5 Millionen Menschen ab 10 Jahren sagen im Radiotest, sie hören täglich Ö3. Ich kenne keine Studie, in der 2,5 Millionen sagen, sie hören Spotify oder Youtube Music.

STANDARD: Weil es keine vergleichbare Studie gibt, und das wohl aus branchenpolitischen Überlegungen. Ö3 stützt die Erinnerung an seine Marke sehr stark mit Gewinnspielen und großen Werbekampagnen, die Privatsender regelmäßig massiv als Wettbewerbsverzerrung kritisieren.

Pauser: Für eine Marke sind möglichst viele Touchpoints wichtig und wesentlich.

STANDARD: Sie bleiben also dabei.

Pauser: Ich finde es aus Verantwortung einer groß geführten Marke heraus wichtig, dass es Sichtbarkeit auch außerhalb des linearen Programms gibt.

STANDARD: Wenn wir schon außerhalb des linearen Programms sind: Wie nutzt Ö3 mit die neuen Möglichkeiten des ORF-Gesetzes im Streaming?

Pauser: Es ist großartig, dass es neue Möglichkeiten gibt. Die sind beim Fernsehen größer als beim Radio.

STANDARD: Der ORF wollte zusätzliche Radiokanäle über seine traditionellen Marken hinaus streamen dürfen.

Pauser: Es war zwischendurch mehr Spielraum für den ORF in Diskussion, der schließlich doch nicht kam. Aber wir werden zum Jänner hin mehr anbieten, neue Podcastformate probieren, Spezialsendungen dafür designen, um auf ORF Sound auch anders vorzukommen. Die Audiostreamingplattform ist derzeit sehr getrieben durch Wortinhalte. Wir versuchen, auch auf andere Art dort vorzukommen und das anders aufzustellen.

STANDARD: Was kann man da erwarten?

Pauser: Wir werden zum Beispiel mit Robert Kratky eine Podcastreihe zum Thema Mental Health starten. Und wir werden schauen, dass wir mehr Bewegtbild machen - keine eigene Fernsehsendung, aber Radio besser bebildern, damit wir auch auf Social Media und im Player mit "Frag das ganze Land on tour" oder der Fernsehsendung anders vorkommen.

STANDARD: Wollte Robert Kratky nicht zwischendurch einmal 2024 aufhören?

Pauser: Meines Wissens hört er nicht nächstes Jahr auf, jedenfalls geht sein Vertrag noch drei Jahre. Insofern ist das massig Zeit. Und es sagt keiner, dass es nachher nicht weitergeht. Es sagt keiner, dass man nicht auch anders weitermachen könnte.

"Das heißt nicht, dass der Robert Kratky schon eine Stunde früher da sein muss."

STANDARD: Was meint eigentlich "so viel Wecker wie noch nie", "Starprinzip" für Marken, weniger für Menschen?

Pauser: Ich werde noch in diesem Jahr einige Maßnahmen umsetzen. Eine der Maßnahmen wird sein: Wir fangen schon um vier Uhr mit dem "Wecker" an.

STANDARD: Für wen?

Pauser: Zwischen vier und fünf Uhr früh stehen in Österreich schon eine Million Menschen auf. Das ist eine Menge. Für die wollen wir früher mit dem Wecker da sein.

STANDARD: Da wird sich der Kratky aber freuen.

Pauser: Das heißt nicht, dass der Robert schon eine Stunde früher da sein muss. Aber er wird in der Stunde auch eine Rolle spielen. Da geht es in erster Linie um die Ansprechhaltung. Es ist nicht: Ich bin mit der Nachtschicht gleich fertig, alle gehen jetzt schlafen, sondern: Wenn eine Million aufstehen, dann startet Ö3 mit ihnen in den Tag. Ich will, dass wir uns um jeden einzelnen Hörer, jede einzelne Hörerin kümmern. Wir wollen mit all unserer Motivationskraft in den Tag starten, wir sind mit Info, Service, Unterhaltung für euch da. Wie du anfängst, wird der ganze Rest vom Tag. Also gibt es den "Ö3 Wecker Frühstart" ab vier Uhr. Danach geht es von fünf bis neun normal weiter.

STANDARD: Die Comedy im "Wecker" war einmal recht politisch und regte dort auch auf.

Pauser: Von aktuellen Aufregungen wüsste ich nicht. Wir gestalten unterhaltsame Morgensendungen. Uns geht es darum, motivierend und positiv zu sein. Mir ist ganz wichtig, dass wir eine positive Future-Brand sind, nicht nur ein Lifestye- und Entertainmentmedium.

STANDARD: Wie wird man eine "positive Future-Brand"?

Pauser: Indem wir sehr lebensbejahend, sehr klar sagen: Wir sind für die Menschen da, die sich fürs Leben interessieren, die aktiv am Leben teilhaben wollen. Die miteinander in Diskussion gehen wollen. Das ist eine Grundhaltung, in der man einander zuhört, diskutiert, aufeinander aufpasst. Dazu passt Unterhaltung wahnsinnig gut.

"Es sind ja nicht alle Österreicher grantig, das stimmt überhaupt nicht."

STANDARD: Wird das jetzt ein großes Motivationsprogramm für Österreich? Ich stelle mir etwas schwierig vor, Österreicherinnen und Österreicher um vier Uhr früh positiv abzuholen.

Pauser: Es sind ja nicht alle Österreicher grantig, das stimmt überhaupt nicht.

STANDARD: Nein?

Pauser: Nein!

STANDARD: Woher wissen Sie das?

Pauser: Wir hatten vorhin die erste Sitzung zum "Ö3 Wecker Frühstart". Da gibt es am Samstag eine Rubrik, den "Frühaufsteher-Club". Da geht es darum: Wer seid ihr, was macht ihr, warum seid ihr schon unterwegs? Da geht es darum, das Land zu spüren. Sie wollen auf einen Berg gehen, bringen ihre Kinder zu einem Wettbewerb… Das ist eines der großen Dinge, um die es geht. Stimmt das: Der ORF sitzt in Wien, spürt er das Land genug, spürt er die Menschen genug - oder beschäftigt er sich nur mit sich selbst? Nein, er beschäftigt sich nicht mit sich selbst. Wir beschäftigen uns mit den Hörerinnen und Hörern, wir wollen sie sichtbar machen, zeigen, wie es ihnen geht, was sie gut finden und was schlecht, was macht sie glücklich oder unglücklich. Dazu gehört, sehr aktiv in Kommunikation mit den Hörerinnen und Hörern zu gehen. Da spürst du: Es gibt so unglaublich viel positive Motivation in diesem Land. Die ein bisschen hörbar zu machen, darum geht es.

STANDARD: Die werden dann aufgerufen, auf Ö3 zu erzählen, was sie gerade tun?

Pauser: Auch, ja. Es gibt überall ganz wunderbare, nach vorne gehende, motivierte Menschen, die kreativ Dinge umsetzen wollen. Ob im Haus ORF, bei Ö3 oder da draußen.

STANDARD: Wenn Sie das schaffen, dass die große Ö3-Gemeinde lustig und lachend aufsteht.

Pauser: Es geht nicht alleine um lustig und lachend. Die Ö3-Gemeinde ist groß und kommt beim Weihnachtswunder zusammen und hilft einander. Sie schafft Aktionen und ja, ruft auch einmal an und will einen Euro Jahreseinkauf gewinnen. Und die kann aber auch bei "Frag das ganze Land" sagen: Mir geht das auf die Nerven, wenn ich das Auto stehen lassen soll, ich habe nicht die Möglichkeit, geht mir nicht alle auf die Nerven damit! Das ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, dass man sich an den Händen hält und miteinander tanzt. Man muss auch über Probleme und Konflikte normal miteinander reden können, ohne Schaum vor dem Mund zu haben.

"Das große Ziel ist: Ö3 ist nicht nur im Ohr, sondern im Herz."

STANDARD: Für den ORF müssen künftig alle zahlen, unabhängig vom Empfang. Der ORF bemüht sich nun, ein "ORF für alle" zu sein. Ö3 spielt da offenkundig eine zentrale Rolle.

Pauser: Wir machen so viel "Wecker" wie noch nie, diskutieren s oviel wie noch nie und sind mehr im Land unterwegs.

STANDARD: Muss Ö3 den Grant all jener kanalisieren, die künftig ORF-Beitrag zahlen müssen, aber nicht wollen? Gibt es in "Frag das ganze Land" auch eine Rubrik zum ORF-Beitrag?

Pauser: Den Auftrag habe ich nicht. Aber aktiv auf die Menschen zuzugehen, ist schon in meiner Bewerbung gestanden. Zu dem Schluss bin ich sehr unbeeinflusst von den Entwicklungen des ORF-Gesetzes gekommen. Ich halte das für die Marke Ö3 für sehr wichtig. Das will ich gerne umsetzen.

STANDARD: Sie sind drei Wochen Ö3-Chef. Wo wird Ö3 in drei Jahren stehen?

Pauser: Das große Ziel ist: Ö3 ist nicht nur im Ohr, sondern im Herz. Also eine engere Bindung, eine engere Beziehung zur Marke. Dass Ö3 nicht nur als Radiosender, als Nebenbeimedium im Hintergrund wahrgenommen wird, sondern im Leben der Menschen eine wichtige Rolle spielt. Damit die Menschen empfinden: Ö3 tut mir gut, gut, dass es Ö3 gibt. Durch mehr persönliche Kontakte zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, durch mehr Veranstaltungen.

STANDARD: Wird Ö3 die deutliche Marktführerschaft als Einzelsender halten können, seine 32 Prozent Marktanteil beim Publikum zwischen 14 und 49?

Pauser: Derzeit wird der Einzelsender Ö3 mit 68 privaten Radiosendern verglichen. Das große Ziel ist, dass Ö3 die relevanteste Radiomarke bleibt.

STANDARD: Die Privatsender haben möglicherweise im Radiotest deutlicher zugelegt als Ö3, weil viele auch via DAB+ senden, im Gegensatz zum ORF. Wie lange werden sich die ORF-Radios noch zieren? Nur weil Sie auf DAB+ keine zusätzlichen Kanäle machen dürften.

Pauser: DAB+ ist per se spannend. Aber wir haben eine finanzielle Verantwortung. Aus Ö3-Sicht können wir den Hörerinnen und Hörern keinen Mehrwert gegenüber Ukw bieten. Wir müssten deutlich mehr ausgeben für den Aufbau des DAB+-Sendernetzes und den Betrieb für etwas, das wir schon machen. Das würde den ORF-Beitrag belasten. Zum jetzigen Zeitpunkt macht das wirtschaftlich keinen Sinn.

"Ich würde von einem zweistelligen Millionenbetrag ausgehen." Pauser über Werbezeitbeschränkungen für ORF-Radios.

STANDARD: Das neue ORF-Gesetz reduziert die täglichen Werbeminuten im Radio von 172 auf 155. Sehr sachkundige Mediaexperten sagen in einer Studie für die Privatsender, das wird den ORF kaum Einnahmen kosten. Stimmt das?

Pauser: Man kann sich das einfach ausrechnen: Wenn man von einer durchschnittlichen Auslastung von fast 90 Prozent ausgeht …

STANDARD: … kostet diese Einschränkung fast nichts?

Pauser: Im Gegenteil. Ich nenne jetzt keine Zahl, aber: Ich würde da von einem zweistelligen Millionenbetrag ausgehen.

STANDARD: Ö3 spielt – grob – gut viermal mehr mit Werbung ein, als es kostet. Und es wird wohl auch in Zukunft wesentlich zu den ORF-Einnahmen beitragen.

Pauser (lächelt): Ö3 hilft insofern, die Haushaltsabgabe niedrig zu halten.

"Ö3 in seiner Gesamtheit ist öffentlich-rechtlich, mit allem, was wir tun."

STANDARD: Erklärt das schon, warum ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmen einen Sender wie Ö3 betreibt? Ö3 ist ein sehr kommerzielles Unterfangen.

Pauser: Nur weil es groß ist und viele Menschen erreicht?

STANDARD: Ich höre auf Ö3 zum Beispiel üblicherweise kein Musikprogramm, das sich wesentlich von kommerziellen Angebote unterscheidet. Warum braucht man ein solches Programm, wenn sie vom Markt auch angeboten werden? Warum muss es ein öffentlich-rechtliches Ö3 geben?

Pauser: Die Antwort findet man am leichtesten, wenn man den Blickwinkel ein wenig ändert. Das Gesetz gibt uns die Möglichkeit und den Auftrag, mit Info, Service, Sport und auch Unterhaltung. Das gibt uns die Chance, eine breite Masse mit öffentlich-rechtlichen Inhalten zu erreichen.

STANDARD: Mit welchen öffentlich-rechtlichen Inhalten denn? Verkehrsfunk, Wetter, Nachrichten …

Pauser: Da kann ich meinen Vorgänger zitieren: Alles, was Ö3 macht, ist öffentlich-rechtlich. Weil es aus einer anderen Perspektive gemacht wird. Weil wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln die meisten Menschen in diesem Land mit öffentlich-rechtlichen Inhalten erreichen wollen. Weil wir die Verlässlichkeit haben, die Qualität.

STANDARD: Das dreht sich ein bisschen im Kreis: Was wir machen, ist öffentlich-rechtlich, weil wir öffentlich-rechtliche Inhalte transportieren. Welche?

Pauser: Das ist die Gesamtheit und nicht ein einzelnes Ding. Ö3 in seiner Gesamtheit ist öffentlich-rechtlich, mit allem, was wir tun.

STANDARD: Österreichische Musik auf Ö3 ist ein beliebtes Thema und wird von Musikschaffenden meist als zu wenig empfunden.

Pauser: Wir halten uns an unsere Selbstverpflichtung, dass wir in der Kernzeit 15 Prozent und rund um die Uhr 18 Prozent spielen. Im August haben wir das übertroffen. Wir werden das auch weiterhin machen, weil wir finden, dass österreichische Musik großartig ist. Wir werden für die österreichische Musik häufiger unsere Ö3-Studiosessions machen, jede zweite Woche, um österreichischen Künstlerinnen und Künstlern mehr Fläche zu bieten.

"Für die Gesamtflotte des ORF wäre es vor vielen Jahren sinnvoll gewesen, das anders aufzustellen." Pauser zur Positionierung von FM4.

STANDARD: Sie lagern das Thema also österreichische Musik nicht weiter auf FM4 aus, das sich laut letztem Stand aus der ORF-Flottenstrategie ja noch mehr darauf konzentrieren soll? Apropos: Über Jahre wünschte sich Ö3 Flankenschutz durch ein zweites, jüngeres Ö3-Programm. Zwischendurch wurde, wie Radiodirektorin Ingrid Thurnher bestätigt hat, überlegt, aus FM4 so ein jüngeres Ö3 zu machen, was offenbar so kein Thema mehr ist. Braucht Ö3 nun plötzlich kein jüngeres Beiboot mehr?

Pauser: Für die Gesamtflotte des ORF wäre es vor vielen Jahren sinnvoll gewesen, das anders aufzustellen.

STANDARD: Jetzt ist das Beiboot abgefahren?

Pauser: Es gibt weit intensivere Zusammenarbeit, als Ihre Frage erweckt. Und es wird noch viel intensivere Zusammenarbeit mit den anderen Sendern geben. Wir werden das gemeinsam schon gut hinkriegen.

"Es gibt ein offensichtliches Bedürfnis nach dem Thema Rock im Radio."

STANDARD: Sie haben die Idee entwickelt, Radio Wien neu als Rocksender zu positionieren.

Pauser: Wer sagt das?

STANDARD: Ich. Ist das ein ernsthafter Gedanke? Fehlt dem ORF in seinem Gesamtangebot ein Rocksender?

Pauser: Aus der Perspektive eines "ORF für alle" sollte man sich ansehen, welche Bedürfnisse es gibt. Dann muss man entscheiden, was die beste Aufstellung für die ORF-Radios ist. Dass es ein offensichtliches Bedürfnis nach dem Thema Rock im Radio gibt…

STANDARD: … zeigt schon 88.6. In Deutschland experimentiert etwa ein Webradio mit Künstlicher Intelligenz als Moderator. Worauf darf man sich im ORF, bei Ö3 einstellen?

Pauser: Wir sind als ORF fleißig am ausprobieren. Immer mit der Grundregel: Womit KI arbeitet, kommt von Menschen oder wird von ihnen kontrolliert, und was die KI ausspuckt ebenso. Da geht es darum …

STANDARD: … Social-Media-Kanäle automatisiert mit Inhalten zu bespielen etwa?

Pauser: KI hilft zum Beispiel, Inhalte auf vielen Kanälen gleichzeitig auszuspielen.

STANDARD: Wann gibt es einen KI-Kratky?

Pauser: Wünscht sich das wer?

STANDARD: Wenn der Vertrag in drei Jahren ausläuft vielleicht.

Pauser: In meiner Bewerbung steht: Je mehr das Digitale auf dem Vormarsch ist, desto mehr sollten wir das Menschliche präsent halten. Daher kommt ja die Philosophie des Vor-Ort-Seins, persönliche Kontakte aufzubauen, "Knoll packt an" durchs Land schicken. Wenn man einander persönlich ins Gesicht geschaut hat, gibt es einen ganz anderen Markeneindruck.

STANDARD: Wo wird KI bei Ö3 eingesetzt?

Pauser: Im ersten Schritt werden wir weiter automatisieren, wo wir uns leicht in Prozessen etwas ersparen. Wir wollen menschliche Ressourcen nicht unnötig einsetzen und bekommen diese menschlichen Ressourcen frei für noch mehr Audio und Video für das Internet, für ORF Sound, für ORF On. Sound-Cloning und Übersetzungen sind Themen für einen späteren Zeitpunkt. (Harald Fidler, 29.9.2023)