Bei den vielen Regulierungen schläft Musk fast das Gesicht ein. Dennoch ist ein Abzug seiner Plattform aus Europa unwahrscheinlich.
AFP/ALAIN JOCARD

Elon Musk ist unzufrieden mit dem Digitalgesetz DSA. Gut, Musk ist mit vielen Dingen unzufrieden: Homeoffice, generell geregelten Arbeitszeiten und Vorschriften, die seinen Drang nach Selbstdarstellung eindämmen könnten. Das DSA-Gesetz (Digital Services Act) ist dem US-Unternehmer deshalb ein besonderer Dorn im Auge, schließlich verpflichtet es große Online-Plattformen, konsequent und schnell unter anderem gegen Hassrede und Fake News vorzugehen.

Genau jene Punkte, die bei Musk manchmal unter den Punkt "freie Meinungsäußerung" fallen. Es ist auch schwierig, das alles auszufiltern, wenn man bei der eigenen Firma, die einmal Twitter hieß, große Teile des Community-Managements entlassen und zusätzlich rechtsradikale Organisationen und Fake-News-Generatoren prominent zurück auf die Plattform geholt hat.

Nun stand kurz im Raum, dass sich Musk samt seiner Plattform X aus Europa zurückziehen will, weil ein von der EU-Kommission zugeschickter Fragenkatalog für Unmut beim Multimilliardär sorgt. Die Kommission will nämlich wissen, wie X seinen Verpflichtungen nachkommt, gegen Hassrede vorzugehen. Grund waren zuletzt Hinweise auf die Ausbreitung von Gewaltaufrufen und Falschinformationen nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel. Schlimmer noch: Die Kommission hat laut eigenen Angaben Hinweise darauf, dass X systematisch Auflagen ignoriert. EU-Kommissar Thierry Breton verwies unter anderem in einer Rede am Mittwoch auf Berichte über manipulierte Bilder und Mitschnitte von Videospielen, die für echte Aufnahmen ausgegeben worden seien.

Bis Mittwoch hatte Musks Unternehmen Zeit, erste Fragen zu beantworten. Der Rest des Katalogs muss ausgefüllt bis Monatsende bei der EU-Kommission vorliegen. Für unvollständige oder irreführende Antworten will die Behörde eine Strafe verhängen. Strafen, die viele US-Unternehmen nicht mehr zahlen wollen und deshalb regelmäßig mit solchen Drohungen an die Öffentlichkeit gehen. Aber was ist der DSA, und wie realistisch ist es wirklich, dass sich Musk mit X oder andere US-Unternehmen aus Europa zurückziehen?

Was ist der DSA?

Der Digital Service Act (DSA) muss meist zusammen mit dem Digital Markets Act (DMA) erwähnt werden. Das Gesetz über digitale Dienste (DSA) und das Gesetz über den digitalen Markt (DMA) bilden zusammen nämlich ein einheitliches Regelwerk, das in der gesamten EU gilt und zwei Hauptziele verfolgt: die Schaffung eines sichereren digitalen Raums, in dem die Grundrechte aller Nutzer digitaler Dienste geschützt werden, sowie die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die Förderung von Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sowohl im europäischen Binnenmarkt als auch weltweit.

Mit diesen digitalen Diensten sind sämtliche Onlinedienste gemeint, also auch Websites und Internet-Infrastrukturdienste. Eines der größten Ziele dieser Regulierungen sind aber die großen Online-Plattformen, also Facebook, Tiktok oder eben X. Mit dem DSA sollen diese Plattformen dazu gezwungen werden, sowohl gegen Hass im Netz als auch gegen Fake News rigoros vorzugehen. Der DMA soll vor allem den Austausch illegaler Waren und Dienstleistungen im Netz verhindern und auch hier mit hohen Strafen dafür sorgen, dass große Unternehmen nicht wegschauen. Auch der Missbrauch von Marktmacht ist in diesem Gesetz genauer definiert als noch in der Vergangenheit.

Wer hat damit ein Problem?

Menschen wie Musk wollen sich nicht vorschreiben lassen, was sie auf ihren Plattformen regulieren müssen und was nicht. Bereits im Mai stieg das damals noch Twitter genannte Unternehmen aus dem freiwilligen EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation aus. EU-Kommissar Breton warnte Musk damals schon, dass man weglaufen, sich aber "nicht verstecken" könne – auch weil ab August der DSA gelten werde, wie der Kommissar damals auf X schrieb.

X-Chefin Linda Yaccarino fühlte sich laut eigenen Aussagen in der Vorwoche von den Vorwürfen der Behörde nicht angesprochen. "Auf X gibt es keinen Platz für Terrororganisationen oder gewalttätige, extremistische Gruppen, und wir löschen solche Konten umgehend", ließ sie wissen. Man merkt, Vorschriften, die über den großen Teich verschickt werden, sorgen bei US-Unternehmen für heftige Abwehrreaktionen.

Auch Mark Zuckerberg dürften die neuen Regeln nicht schmecken. Sein X-Konkurrent Threads, der in den USA im Sommer gestartet ist, bleibt in Europa weiterhin offline. Eine offizielle Stellungnahme, warum das so ist, gab es bisher nicht. Zahlreiche Analysten gehen aber davon aus, dass die neuen EU-Gesetze, darunter auch der DSA und der DMA, für diese Zurückhaltung sorgen. Meta wurde von der EU, genau wie Google oder Tiktok, bereits auf den "Gatekeeper"-Status gehoben. Das bedeutet, dass hier eine zu große Marktmacht verhindert werden soll, etwa wenn neue Services gestartet werden.

Meta hat wohl keine Lust, noch mehr Strafen zu zahlen. Kein anderes US-Unternehmen hat in den letzten Jahren mehr Bußgelder von der EU kassiert als der Zuckerberg-Konzern. Zuletzt verhängte im Mai die irische Datenschutzkommission eine Strafe von 1,2 Milliarden Euro wegen der Weiterleitung von EU-Nutzerdaten in die USA.

Verschwinden jetzt alle Apps aus der EU?

Dass sich Apps wie X oder Instagram/Threads aufgrund der neuen Regulierungen ganz aus Europa zurückziehen, ist unwahrscheinlich. Die Strafen tun weh, aber der Verlust von Werbeeinnahmen aufgrund weniger Nutzerinnen und Nutzer würde wohl noch mehr schmerzen, schließlich ist die EU der größte digitale Markt der Welt.

Drohungen auszusprechen kann dennoch nicht schaden, denken sich offenbar die Zuckerbergs und Musks unserer Zeit. Schon im Februar 2022 stellte Meta den Abzug von Instagram und Facebook aus Europa in den Raum, weil auf dem alten Kontinent offen über schärfere Regulierungen nachgedacht wurde.

"Wenn wir Daten zwischen unseren verschiedenen Regionen nicht transferieren dürfen", wird Zuckerberg im Jahresbericht seiner Firma zitiert, "werden wir manche wichtigen Services in Europa nicht mehr zur Verfügung stellen können, etwa Facebook oder Instagram." Konsequenzen aus den Drohungen hat bisher keines der US-Unternehmen gezogen. Man ruderte nach ersten Medienberichten sogar zurück. "Meta droht absolut nicht damit, Europa zu verlassen", war in einem Blogbeitrag von Meta-Manager Markus Reinisch am 8. Februar 2022 zu lesen.

Seitdem ist man bemüht, die eigene Leistung in Sachen Community-Management zu betonen. Erst vor wenigen Tagen teilte ein Meta-Sprecher mit, man habe in nur drei Tagen knapp 800.000 Beiträge auf Arabisch und Hebräisch von den eigenen Plattformen entfernt, die möglicherweise irreführende Inhalte zum aktuellen Krieg in Israel und Gaza betrafen. Auch Tiktok betont immer häufiger, wie sehr man gegen Falschinformationen, lebensbedrohliche Challenges und ähnliche Beiträge vorgehe. Noch immer zu wenig für die EU, was Mitte Oktober erneut ein Verfahren gegen X, Meta und Tiktok ins Rollen gebracht hat.

Wie geht es weiter?

Selten sind sich Zuckerberg und Musk einig. Kurze Zeit drohten sie sogar, in einem Kolosseum gegeneinander zu kämpfen, wie Gladiatoren im alten Rom. Auch das blieb uns erspart, und so werden wohl auch die Apps der großen US-Unternehmen weiterhin in Europa abrufbar sein. Natürlich ist es mühsamer, in den mitteleuropäischen Breiten etwas zu veröffentlichen. Das fängt bei den vielen genutzten Sprachen an, geht über die "nervige" DSGVO und endet wohl auch nicht mit den Regulierungen der letzten Monate.

Musk dementierte nur wenige Stunden nach dem Bericht im "Business Insider", der den möglichen Rückzug der App aus Europa in den Raum gestellt hat, genau diesen Rückzug. "Ein weiterer völlig falscher Bericht von 'Business Insider'", schrieb der Milliardär auf Twitter. "Das ist keine echte Publikation."

Dass man ohnehin irgendwie miteinander reden muss, zeigen aktuellen Treffen zwischen EU-Kommission und Unternehmensvertretern wie Zuckerberg oder OpenAI-Chef Sam Altman. Seit Juni wird etwa verstärkt über KI-Regulierungen gesprochen. Ein Thema, das Altman kurz davor noch zu der Aussage veranlasste, man werde sich mit OpenAI und damit ChatGPT aus dem europäischen Markt zurückziehen. Im Rahmen eines Fototermins mit Thierry Breton waren dann aber schon mildere Töne angesagt: Man freue sich auf die Zusammenarbeit und sehe die Relevanz solcher Regulierungen. (Alexander Amon, 19.10.2023)