Ein Roboter, der Zeitung liest
Dieses Bild wurde mit der KI Midjourney erstellt. Der Prompt lautete: "illustration of a friendly looking robot, presenting newspapers, looking at the camera. --ar 3:2"
Midjourney/Der Standard

Vergangene Woche haben wir an dieser Stelle noch gebannt auf die vorerst finale Version des AI Act gewartet, kurz darauf war er nach tage- und nächtelangen Verhandlungen schließlich fertig – und Europapolitiker brüsteten sich rasch damit, die erste länderübergreifende KI-Regulierung der Welt geschaffen zu haben. Doch das umfangreichste KI-Gesetz dieses Planeten hat durchaus seine Lücken, wie mein Kollege Peter Zellinger am darauffolgenden Sonntag in einer Analyse zum AI Act schrieb.

Vor allem im Bereich der Massenüberwachung ist es letztlich zu einem Kompromiss gekommen, der Datenschützern nicht gefallen dürfte. Denn Strafverfolgungsbehörden dürfen laut aktuellem Stand sehr wohl auch auf KI-Systeme mit hohem Risiko zurückgreifen – selbst dann, wenn sie den Regeln des AI Act widersprechen. Im Regelwerk ist entsprechend von einem "Notfallverfahren" die Rede. Wenn die Behörden die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen ausreichend darlegen können, ist sogar biometrische Massenüberwachung erlaubt.

Begründet werden kann dies mit drohenden Terroranschlägen ebenso wie mit der Suche nach Personen, die schwerster Straftaten verdächtigt werden. Als "schwerste Straftaten" werden wiederum Verbrechen definiert, für die mindestens drei Jahre Haft drohen. Und darunter fallen in Österreich nicht nur Mörder und Terroristen, sondern auch Einbrecher, Diebe und Geldfälscher, schreibt Kollege Zellinger in seiner Analyse.

Was geht bei Gemini?

Ein anderes Highlight der Vorwoche war der Launch von Googles KI-Modell Gemini. Auch hier war die Begeisterung zunächst groß – doch dann wurden in diversen Medien Anschuldigungen laut, dass Google ein Video bewusst gefälscht habe, um das eigene Modell besser dastehen zu lassen.

Kollege Andreas Proschofsky erklärt in seiner Analyse, warum die Vorwürfe in dieser Form nicht stimmen – es wurde von Google nämlich offen kommuniziert, dass es sich bloß um einen Ausblick handelt –, das Unternehmen den Launch aber trotzdem versemmelt hat. So wirken viele Aspekte aus der Gemini-Präsentation so, als seien sie noch unfertig und als habe man sie hastig publizieren wollen. Unter anderem ist die Multimodalität noch nicht gegeben, selbst Gemini Pro ist vorerst auf Text beschränkt, und zwar ausschließlich auf Englisch.

Ernüchterung in der Wirtschaft

Ernüchterung gibt es auch in der Praxisanwendung, konkret in der freien Wirtschaft. So hat der aktuelle Leadership-Survey des Beraterhauses Deloitte ergeben, dass KI in österreichischen Unternehmen noch kaum im Einsatz ist. Auch in Deutschland nutzen 60 Prozent der Büroangestellten noch keine KI.

Anders im Medienhaus Axel Springer. Denn dieses gab diese Woche bekannt, eine KI-Partnerschaft mit OpenAI eingegangen zu sein. So sollen ChatGPT-Nutzer Zusammenfassungen ausgewählter Springer-Medien-Publikationen bekommen. Darunter finden sich Marken wie "Politico", "Business Insider", "Bild" oder "Welt" – und zwar "einschließlich sonst kostenpflichtiger Inhalte". Die Antworten von ChatGPT sollen Quellenangaben und Links zu den Springer-Medien enthalten.

Apropos ChatGPT: Dessen Macher hatten diese Woche dann doch wieder einen Grund zum Feiern, wurde der KI-Bot doch vom renommierten Fachjournal "Nature" für dessen Rolle in der Forschung zu einer der wichtigsten Figuren des Wissenschaftsjahres erkoren. ChatGPT habe wissenschaftliche Arbeiten mitverfasst – manchmal, ohne ausdrücklich genannt zu werden, wie die Beitragsautoren Richard Van Noorden und Richard Webb festhalten.

Mistral AI, ein europäisches Wunderkind

Thematisch zurück auf die europäische KI-Politik geschwenkt, präsentierten Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky und Medienministerin Susanne Raab (beide ÖVP) vergangene Woche die österreichische KI-Servicestelle, die Unternehmen und Medien beim Einsatz von künstlicher Intelligenz beraten soll – und in Zukunft auch Strafen verhängen darf.

Teil der Diskussionen über den AI Act war auch das Bestreben, europäischen KI-Unternehmen nicht die Grundlage zu entziehen. Eines dieser Unternehmen ist das französische Mistral AI, und dieses sorgte vergangene Woche gleich doppelt für Aufsehen: Zuerst sammelte man ein Investment in Höhe von 385 Millionen Euro ein, dann veröffentlichten die Franzosen ihr mächtiges Sprachmodell vollkommen unzeremoniell über einen Torrent-Link, den sie über ein X-Posting verbreiteten.

Falls Ihnen diese Ausgabe unseres Newsletters nun ein wenig zu sehr in die politische und wirtschaftliche Richtung ging, hier noch ein wenig leichte Kost zum Abschluss: Ein ukrainisches Start-up erweckt via KI die Stimme von Jimmy Stewart wieder zum Leben, um diesen in der Mediations-App Calm eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen zu lassen. Bekannt ist Stewart unter anderem für seine Rolle in "It's a Wonderful Life", der unter Weihnachtsfilmfans als Klassiker gilt. (Stefan Mey, 16.12.2023)