Am 7. Oktober greifen Terroristen der Hamas Israel an und ermorden rund 1.200 Menschen – die meisten von ihnen Zivilistinnen und Zivilisten. Sie vergewaltigen Frauen, zerstückeln sie lebend, verschleppen Geiseln, filmen ihre bestialischen Taten.

Am 14. Dezember bestreitet eine unbekannte Frau im Foyer der Wiener Universität für angewandte Kunst die Massaker der Hamas vom 7. Oktober. Sie ist Teil einer Kampagne, die eine öffentliche Kundgebung vor der Angewandten bei der Polizei angemeldet hat. Als ein Vertreter der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen versucht, ihren Auftritt mit seinem Handy zu filmen, wird er abgedrängt. Er veröffentlicht diese Szene auf Instagram und bringt damit den Vorfall an die Öffentlichkeit.

Wien Universität Israel Gaza Demonstration
Vergangene Woche sorgte eine Free-Palestine-Kundgebung an der Angewandten für Empörung.
Foto: IMAGO/viennaslide

Die Szene findet zwei Monate nach der Veröffentlichung einer Erklärung des Rektorats zu dem Anschlag der Hamas statt. "Wir sind entsetzt über den grauenhaften Angriff der Hamas auf Israel. Wir dulden keinen Terror, keine Form des Antisemitismus und keine Relativierung des Existenzrechts Israels. Unser tiefstes Mitgefühl gilt den Opfern des Angriffes, ihren Angehörigen, den Geiseln, und es gilt den Menschen, die infolge des Angriffs zu Opfern werden." Diese Erklärung wird seither von einer anonymen Instagram-Gruppe namens Free Palestine Angewandte attackiert, die auch zu der Kundgebung an der Angewandten aufgerufen hat. Eine eigene Erklärung zum Terroranschlag hat die Gruppe nicht formuliert. Sie fordert ihre Anhängerschaft stattdessen auf, von Genozid, Siedlerkolonialismus, Apartheid und ethnischer Säuberung zu sprechen. Alles ausschließlich in englischer Sprache – in einer Einsprachigkeit, die zu Vereinfachung und Entkontextualisierung führt.

Diskursverdrehung

"Condemn the mass murders of Queers" ist einer der Slogans, die nach der Kundgebung an die Tür des Rektorats geheftet werden und die Verdrehung des Diskurses zeigen. Denn Schwule, Lesben und alle anderen sich als queer definierenden Menschen werden von der Hamas und den mit ihr verbündeten Staaten und Terrororganisationen vertrieben, gefoltert und ermordet. Israel ist der einzige Staat in der Region, der Menschenrechte für queere Menschen gewährleistet. Und weiter: Die Free-Palestine-Aktivistinnen und -Aktivisten verbreiten ihre Parolen umfassend an der Universität und behaupten zugleich, man würde sie mundtot machen – obwohl sie alle anderen zum Verstummen zu bringen suchen. Durch die so und zudem anonym agierende Gruppe wird eine antiaufklärerische Polarisierung produziert: durch Täter-Opfer-Umkehr im Hinblick auf den Terroranschlag vom 7. Oktober, manipulative Diskursverdrehung, in der die laut Schreienden den leise Verzweifelten kundtun, sie würden mundtot gemacht werden, und durch die Verhinderung jeglicher argumentativer Verständigung über mögliche Zukünfte.

Das anonym verbreitete Narrativ der Verdrehung setzt die Nichtparteilichkeit für Palästina mit einer Parteinahme für Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus gleich. Wer sich nicht für die Free-Palestine-Bewegung einsetzt und wer sich für die Sicherheit Israels einsetzt, sei rassistisch, kolonialistisch und für die Toten im Gazastreifen verantwortlich. An der Angewandten will niemand rassistisch sein und niemand Kolonialismus unterstützen, und alle sind entsetzt über die humanitäre Katastrophe seit der Bombardierung von Gaza als einem dichtbesiedelten Gebiet ohne Fluchtmöglichkeit. Mit der manipulativen Unterstellung wird eine Polarisierung fortgesetzt, die auch Ziel der Massaker der Hamas war, nämlich die Verständigung Israels mit den arabischen Staaten und damit auch eine friedliche Zukunft für Palästina zu verunmöglichen. Doch so unwahrscheinlich es gerade ist: Es geht um den Frieden der Zukunft.

Fake-Strategien benennen

Das Einzige, was eine Kunstuniversität in Wien zum Ziel des Friedens zwischen Israel und den Palästinensern beitragen kann, ist: mit den Mitteln einer Universität den Diskursraum für alle offen halten, die für Gewaltlosigkeit stehen, und sowohl Manipulation wie auch Fake-Strategien als solche zu benennen. Das bedeutet, die Komplexität der Probleme und die nahezu unerträglichen Widersprüche und Dynamiken zum Thema zu machen: Die Hamas hat mit dem Anschlag die israelische Demokratiebewegung geschwächt und die rechte Regierung gestärkt, aber nur mit einer starken, liberalen Demokratie in Israel wird in Zukunft eine Verständigung mit den Palästinensern möglich sein.

Mit dem unvorstellbaren Leid der zivilen Opfer in Gaza lässt sich vonseiten der Hamas der Hass auf Israel schüren, und damit wird die Befreiung Gazas von der Hamas fast unmöglich. Entgegen der Unwahrscheinlichkeit von Frieden gilt es, die Möglichkeiten gewaltfreier Zukünfte zu explorieren. Das bedeutet, sich der Verzweiflung zu stellen und sich konsequent gegen eine Polarisierung von Israel und Palästina zu stellen. Seit es den Nahostkonflikt gibt, gibt es eben auch Menschen, die gegen Gewalt und für friedliche Koexistenz kämpfen.

In diesem Konflikt ist es die wichtigste Aufgabe der Universität, mit den Mitteln der Künste und der Wissenschaften diejenigen zu unterstützen, die trotz der aktuell eskalierenden Gewalt für eine Zukunft ohne Krieg und Gewalt eintreten – in Israel, im Westjordanland, in Gaza. (Petra Schaper Rinkel, 19.12.2023)