Pfeilgiftfrosch
Pfeilgiftfrösche zählen zu den giftigsten Tieren der Welt.
Getty Images

Ist von giftigen Tieren die Rede, denken viele Menschen an Spinnen und Skorpione, und tatsächlich verfügen alle Vertreter dieser Tiergruppen über Toxine. Sie brauchen sie in erster Linie, um Beute bewegungsunfähig machen und dann in Ruhe verzehren zu können, und nur in Notfällen zur Verteidigung. Davon abgesehen sind die meisten Spinnen harmlos: Von den mehr als 51.000 Arten weltweit sind nur rund 50 imstande, Menschen zu töten. Eine davon ist die Brasilianische Wanderspinne (Phoneutria nigriventer), besser bekannt als gefürchtete "Bananenspinne".

Panik im Supermarkt

Mit einer Körperlänge von vier Zentimetern ist sie sehr groß, außerdem sehr flink und ordentlich giftig: Je nach abgegebener Giftmenge kann ihr Biss Übelkeit, Schwindel und Herzrasen auslösen, bei Männern auch eine schmerzhafte Dauererektion. Im schlimmsten Fall kommt es zu Muskelkrämpfen, Lungenödem und zu einem Schock, der zum Tod führen kann. Es gibt jedoch auch einige ähnliche, deutlich harmlosere Spinnenarten, die gerne mit Bananenkisten reisen.

Zur sicheren Identifikation braucht es einen Experten wie Christoph Hörweg vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien. Beim Besuch in seinem Büro fällt sofort ein Schuhkarton-großes Plastikterrarium auf, in dem Streu und Zweige am Boden herumliegen. Die Bewohnerin kauert in einer Ecke des Deckels. In dieser Haltung sieht sie wenig beeindruckend aus, aber wenn sie sich ganz entfaltet, ist sie fast handtellergroß. Sie lebt seit vergangenem Oktober bei Hörweg, nachdem sie das Personal eines Lebensmittelmarktes im niederösterreichischen Wilhelmsburg in Angst und Schrecken versetzte. Nach eingehender Untersuchung konnte Hörweg Entwarnung geben: Es handelt sich um eine aus Asien stammende und harmlose Warmhaus-Riesenkrabbenspinne (Heteropoda venatoria).

Gifttiere
Pfeilgiftfrösche, Spinnen und Skorpione beschäftigen auch Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus Österreich. Oft steht dabei die Frage im Zentrum, wie gefährlich die Tiere sind.
Illustration: Fatih Aydogdu

Die Wahrscheinlichkeit, in der EU einer Brasilianischen Wanderspinne zu begegnen, geht gegen null, wie Hörweg vorrechnet: Die Art kommt ausschließlich in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay vor. Von diesen Ländern exportiert nur Brasilien Bananen nach Europa, und das in sehr geringem Maß: Von den fünf Millionen Tonnen krummer Früchte, die für die EU produziert werden, stammt nicht einmal ein Prozent von dort. Selbst in Brasilien, wo die Art häufig auch in Häusern gefunden wird, verlaufen die wenigsten Bisse schwer oder gar tödlich. "Überhaupt wird die Giftigkeit von Spinnentieren gewöhnlich massiv überschätzt", betont Hörweg. In den vergangenen 15 Jahren hat er rund 25 vermeintliche Fälle von Spinnenbissen untersucht, aber nur vier davon stellten sich wirklich als solche heraus. Nur eine Handvoll der heimischen Arten kommt dafür überhaupt infrage, etwa der vor allem im Sommer immer wieder durch die Medien geisternde Ammendornfinger (Cheiracanthium punctorium) oder die Nosferatu-Spinne (Zoropsis spinimana). Während der Dornfinger bei uns heimisch ist, stammt Zoropsis aus dem Mittelmeerraum.

Skorpione und die Pest

Die Nosferatu-Spinne breitet sich seit einiger Zeit in Mitteleuropa aus und ist seit 2015 auch in Wien beheimatet. Ihre Giftwirkung ist aber bescheiden: Der Biss des Dornfingers ist laut Hörweg mit einem Wespenstich vergleichbar; der der Nosferatu-Spinne eher mit dem einer Gelse. Führen schon Spinnen – mit seltenen Ausnahmen – ein von der Öffentlichkeit wenig beachtetes Leben, gilt das noch mehr für Skorpione. In Österreich sind drei Arten beheimatet, die einander sehr ähnlich sehen, maximal vier Zentimeter groß werden und allesamt harmlos sind. Als wärmeliebende Tiere sind sie in Kärnten eigentlich schon am nördlichen Rand ihres Verbreitungsgebietes, doch gibt es in Niederösterreich ein kleines Vorkommen des Triestiner Skorpions (Euscorpius tergestinus).

Seit dem 19. Jahrhundert ist in Krems ein etwa vier Hektar großes Gebiet dokumentiert, in dem die Tiere leben. Ein Citizen-Science-Projekt konnte jüngst nachweisen, dass die Population nach wie vor dort ansässig ist. Laut Hörweg kamen die Skorpione wahrscheinlich vor einigen Jahrhunderten dort an: Sie wurden zu Beginn der Neuzeit als Mittel etwa gegen die Pest massenhaft importiert; einige dürften entkommen sein und im neuen Lebensraum überdauert haben.

Mit potenziell viel giftigeren Tieren, nämlich Pfeilgiftfröschen, befasst sich Bibiana Rojas vom Konrad-Lorenz-Institut für Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Diese Tiergruppe enthält die giftigsten Wirbeltiere der Welt, doch der Färberfrosch (Dendrobates tinctorius), an dem Rojas und ihr Team forschen, ist eine recht harmlose Art. Seine Haut enthält aber Chemikalien, die ihm einen schlechten Geschmack geben und ihn als Beute unattraktiv machen. Das liegt in erster Linie an Alkaloiden, die die Frösche mit Ameisen und Milben aufnehmen, die sie fressen. Um herauszufinden, welche der mehr als 1200 bisher beschriebenen Alkaloide für die Vermeidungsreaktion froschfressender Vögel verantwortlich sind, bestimmte Rojas’ Gruppe das Alkaloidprofil zweier Färberfroschpopulationen in Französisch-Guayana, die nur 50 Kilometer voneinander entfernt leben.

Die Haut der Frösche einer Population enthielt 49 Alkaloide, die der anderen nur 46; 15 waren beiden gemeinsam. Anschließend tränkten die Forscher einzelne Haferflocken mit dem Hautextrakt der jeweiligen Population und boten sie Vögeln zum Fressen an. Dabei erzielten die Flocken mit dem Gemisch aus "nur" 46 Alkaloiden eine deutlich heftigere Vermeidungsreaktion als die mit 49. Offensichtlich sind nicht alle Alkaloide gleichermaßen an der Abwehr von Fressfeinden beteiligt, und in diesem Fall ist es nicht die Menge, die das Gift macht. (Susanne Strnadl, 30.12.2023)