Eine Reihe von Polizeibeamten am traditionellen Wiener Silvesterpfad.
Der traditionelle Wiener Silvesterpfad mit seinen acht Locations stand heuer aufgrund der Terrorwarnung unter besonderer polizeilicher Überwachung.
APA/EVA MANHART

Schon vor Mitternacht ging nichts mehr. Da drängten sich am vergangenen Sonntag etwa 800.000 feiernde Menschen in einem abgesperrten Areal in der Wiener Innenstadt: dem alljährlichen Silvesterpfad. Für weitere Gäste war kein Platz mehr. Der Einlass war fortan beendet. Dass die Feierlichkeiten heuer unter besonderer polizeilicher Beobachtung standen, schreckte hier niemanden ab.

Dabei wurden im Vorfeld drei Terrorverdächtige in einem Ottakringer Flüchtlingsheim festgenommen. Sie sollen angeblich einen Anschlag auf den Wiener Stephansdom geplant haben – immerhin eine der acht Locations des Silvesterpfads. Mit den Festnahmen schien die Gefahr aber noch nicht gebannt. Die heimischen Sicherheitsbehörden konnten nicht ausschließen, dass das Netzwerk der mutmaßlichen Jihadisten nicht doch noch größer sein könnte.

Das große Datenlöschen

Glücklicherweise gingen die Silvesterfeierlichkeiten ohne Zwischenfälle über die Bühne. Die drei Terrorverdächtigen – zwei Männer, eine Frau – befinden sich jedenfalls noch bis 8. Jänner in Untersuchungshaft. Dann wird die Situation neu bewertet. Derweil sind Österreichs Staatsschützer damit beschäftigt, unter Zeitdruck insgesamt 14 Mobiltelefone der vermuteten Zelle auszuwerten. Das wird kein leichtes Unterfangen.

Die Verdächtigen hatten zuvor offenbar eifrig Daten auf ihren Smartphones gelöscht, wie aus der Festnahmeanordnung hervorgeht. Genau wegen solcher Vorgangsweisen halten Ermittler die mutmaßliche Jihadistenzelle für ein professionelles Terrornetzwerk. Ohne klaren Tatverdacht dürfte eine Fortsetzung der Untersuchungshaft vermutlich schwierig werden.

Aber was bleibt bisher von alldem? Der Eindruck, dass es sich bei dem Gespann von mutmaßlichen Jihadisten um keine Anfänger gehandelt haben könnte. Das legt zumindest die Geschichte von Mukhammadrajab B. nahe. Der 30-jährige Tadschike wirkt wie der Drahtzieher hinter den Terrorplänen. Der in Deutschland lebende B. soll Anfang Dezember extra nach Wien gereist sein, um mit seinen möglichen Komplizen in der besagten Flüchtlingsunterkunft Kontakt aufzunehmen. B. soll auch den Wiener Stephansdom und den Wiener Prater als potenzielle Terrorziele genauestens ausgespäht haben – selbiges gilt für den Kölner Dom.

"Wann führen wir hier einen Anschlag durch?"

Denn B. spielt nicht nur in den Wiener Ermittlungen eine Rolle, sondern auch in jenen, die Deutschland betreffen. Zwischenzeitlich wurden dort fünf Terrorverdächtige festgenommen, die einen Anschlag auf den Kölner Dom geplant haben sollen – darunter der besagte Tadschike B. Drei der Verdächtigen sind seit Montagabend wieder auf freiem Fuß. Auf allen Handys waren keine Daten mehr, alles darauf sei gelöscht gewesen, wie die deutsche Boulevardzeitung "Bild" berichtete. B. bleibt vorerst aber noch in Gewahrsam.

Der 30-jährige B. dürfte eine gewichtige Rolle für den "Islamischen Staat Provinz Khorasan" (ISKP) innehaben, einen Ableger der jihadistischen Terrormiliz, die Zentralasien aktiv ist, unter anderem in Afghanistan. Sein Name taucht schon in Bezug auf eine neunköpfige Zelle des ISKP auf, die im Juli in Deutschland und den Niederlanden gefilzt wurde. Der Tadschike sei vor vielen Monaten bei einer Fahrzeugkontrolle als Beifahrer eines Opels erkannt worden, der meist von einem Helfer der Terrormiliz genutzt worden sei. Das berichtet das deutsche Nachrichtenmagazin "Focus".

Zuvor hatten sich zwei andere Verdächtige aus der besagten Gruppe auf Telegram deutlich über das weitere Vorgehen erkundigt: "Wann führen wir hier einen Anschlag durch?", fragte einer der Chatpartner. Ein mutmaßlicher Anführer, auf dessen Handy Ermittler später Bombenbaupläne fanden, habe schließlich seinen Mitstreiter von den Niederlanden aus vertröstet: Er müsse noch etwas abwarten.

Erfundene Fluchtgeschichten

Die mutmaßlichen Terroristen des ISKP sollen im Frühjahr 2022 nach Beginn des russischen Angriffskriegs über die Ukraine und Polen nach Deutschland eingereist sein. Mit erfundenen Geschichten über Folter und Gefängnis sollen sie sich laut dem Bericht einen Aufenthaltsstatus erschlichen haben.

Dem Vernehmen nach könnte Ähnliches auch auf die zwei der Verdächtigen aus dem Ottakringer Flüchtlingsheim in Wien zutreffen. Österreichs Staatsschützer glauben nicht, dass sie "bloß zufällig gemeinsam über denselben Flüchtlingsstrom nach Europa eingereist sind", wie aus der Festnahmeanordnung hervorgeht. Als Beleg dafür dient, dass der mutmaßliche Drahtzieher B. zwischen 8. und 20. Dezember persönliche Kontakte zu den Verdächtigen gepflegt haben dürfte. Sie gelten zudem als hoch radikalisiert. Auf dem Handy der verdächtigen Frau fanden Ermittler Audio- und Videodateien, in denen die Terrormiliz IS verherrlicht wird.

Am Ende steht ohnehin die Frage, wie klar sich der Tatverdacht der Ermittler erhärten lässt. Laut "Focus" reichen die Beweise deutschen Sicherheitskreisen zufolge dafür nicht aus. Es sei zudem noch völlig unklar, wie der angeblich koordiniert geplante Anschlag konkret hätte ablaufen sollen. Neben Wien und Köln galt auch Madrid als kolportiertes Ziel. (Jan Michael Marchart, 2.1.2024)