In der Nacht des 20. August 1942 wurde das Ghetto in Kielce vom "Sonderkommando Feucht" umstellt und im Morgengrauen gestürmt: "Es herrschte großer Lärm und Geschrei. Wir waren völlig überrascht und unvorbereitet. Das Chaos, das Jammern, Schreien und Weinen war fürchterlich, und man hörte ständig Schüsse. Die Mörder schlugen mit Peitschen auf die Menschen brutal ein und verwundeten manche schwer. Sie führten ihre Tätigkeit zynisch und kalten Blutes aus. Von Zeit zu Zeit griffen Gestapobeamte oder SS-Männer Alte und Kranke, unabhängig von ihrem Geschlecht, aus der Gruppe heraus und ermordeten die Opfer durch einen Schuss ins Gesicht. In der Zwischenzeit durchkämmten die Nazi-Verbrecher die Wohnungen nach Versteckten und Gehunfähigen. Sie zerrten sie brutal heraus und ermordeten sie mit einem Kopfschuss."

So beschrieb Adam Hefland, ein Überlebender, diese, von den Nazis als "Aktion" bezeichnete Ghettoliquidierung. Es lagen hunderte Leichen auf der Straße. Die Jüdinnen und Juden aus Kielce wurden im Laufschritt zur Bahnstation getrieben, in Viehwaggons gekarrt und nach Sobibor verschleppt, wo sie sofort in der Vergasungsanlage erstickt wurden. Die Räumung der mehr als 300 Ghettos, die es allein in Ostpolen gab, verlief immer nach dem gleichen Schema.

Gelehrige Schülerin

Die Hamas ist eine gelehrige Schülerin. Schon der Mufti von Jerusalem hatte den Holocaust tatkräftig unterstützt. Das Massaker vom 7. Oktober ist eine Kopie der Ghetto-Auflösungen in Polen. Die Nazis führten die "Aktionen" zynisch und kalten Blutes durch. Sie hatten sich nicht am Morden delektiert, sie hatten nicht vergewaltigt, nicht gejubelt, nicht gefilmt und ihre Taten nicht stolz und triumphierend in den Kinowochenschauen gezeigt.

Wenn die Hamas die Macht und die Mittel dazu hätte, würde sie nicht nur 1200, sondern alle israelischen Jüdinnen und Juden und zudem die 1,4 Millionen palästinensischen Israelis, die sie als Kollaborateure behandeln, ermorden. Es ist kaum zu ertragen, dass sich eine selbsternannte "unabhängige Linke" mit dieser Terror- und Mordtruppe Hamas solidarisiert.

Demonstrierende auf einer Straße
Anti-Israel-Demonstrierende in Barcelona stellen mit Picassos "Guernica" auf dem Transparent schiefe Vergleiche her.
Foto: AFP / Josep Lago

Wenn sie nicht gerade "From the River to the Sea, Palestine will be free" und "Intifada" brüllen, sind diese "Linken" mit Identitätspolitik beschäftigt. Ihre Sorge ist es, ob man beim Schreiben ein Binnen-I oder ein Gendersternchen verwendet. Sie können trefflich darüber diskutieren, ob man die Bezeichnung LGBT, LGBTQ oder LGBTQIAS+ verwenden muss und ob drei, vier oder doch fünf Toiletten in öffentlichen Räumen politisch korrekt sind. Dass in islamischen Ländern und bei der Hamas eine offene Zurschaustellung der Geschlechteridentität Nichtheterosexueller mit Peitschenhieben, im Gefängnis oder mit einem Todesurteil endet, scheint sie nicht weiter zu irritieren.

Die Hamas ist eine regionale Version des IS. Beide streben die Errichtung eines Kalifats, eines Gottesstaates, die Einführung der Scharia und die Ermordung aller "Ungläubigen" an. Als sich der IS immer stärker ausgebreitet hatte, kann ich mich nicht erinnern, dass linke Gruppierungen für den "antikolonialen" IS demonstriert hätten. Sehr wohl aber für die Hamas, die sie zu einer "antikolonialen Befreiungsbewegung" stilisieren. Bei einer antiisraelischen Demonstration in Spanien verglich eine ein Palästinensertuch tragende Sprecherin das Vorgehen des israelischen Militärs mit der Auslöschung der Stadt Guernica im Spanischen Bürgerkrieg durch die Luftwaffe der Nazis und der italienischen Faschisten.

Verwirrt und verblendet

Wie verwirrt sind diese "Antifaschisten"? Sie verstehen sich als Antifaschisten, die inbrünstig "Nie wieder" rufen, haben aber offensichtlich nicht einmal die "Charta der Hamas" gelesen, in der die Jüdinnen und Juden für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht werden, also letztlich für den Holocaust selbst verantwortlich sind.

Dass Studierende an der Universität für angewandte Kunst in Wien skandieren, das Massaker der Hamas am 7. Oktober sei keine Aggression gegen Israel gewesen, und die israelischen Jüdinnen und Juden selbst schuld an den mehr als 1200 abgeschlachteten, vergewaltigten und verstümmelten Menschen seien, ist deckungsgleich mit der Meinung der Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen. Bei einer Meinungsumfrage des als seriös geltenden palästinensischen Umfrageinstituts PSR gaben im Dezember 90 Prozent der Befragten an, dass die Hamas am 7. Oktober keine Gräueltaten verübt hätte.

Dieser weltweite, eruptiv hochgekochte linke Antisemitismus, auch an liberalen Spitzenuniversitäten der USA, ist mittlerweile Mainstream geworden. Und das macht fassungslos und verstört nachhaltig. Offensichtlich können die sich als antifaschistische, antikoloniale Linke Verstehenden nun mit gutem Gewissen endlich die antisemitische Sau rauslassen.

Politik der Hamas

Dass die israelische Politik in der Westbank völkerrechtswidrig ist, muss nicht extra betont werden. Keiner der mittlerweile fast 700.000 Siedler dürfte in der Westbank leben. Und jeder, der in den besetzten Gebieten gewesen ist, weiß, wie brutal die Armee und die Siedler täglich gegen die dort lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser vorgehen. Das kann man als Apartheidpolitik bezeichnen.

Nur der Hamas ist dieser Zustand egal, ganz im Gegenteil: Sie unterstützt diese israelische Politik, weil dadurch eine Zweistaatenlösung oder eine andere Form des friedlichen Zusammenlebens von Israelis und Palästinenserinnen und Palästinensern verhindert wird. Genauso wie Benjamin Netanjahu die Hamas in Gaza nicht nur geduldet, sondern als Antipoden zur Palästinensischen Autonomiebehörde in der Westbank gefördert hat. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Zu welcher Katastrophe das geführt hat, wissen wir seit dem 7. Oktober.

Die Hamas will dezidiert keine friedliche Lösung des Konflikts, die Hamas will die Auslöschung Israels. Das kann man in der "Charta der Hamas" nachlesen, die so eliminatorisch antisemitisch und schwachsinnig ist, dass es selbst einem Neonazi die Schamröte ins Gesicht triebe. (Walter Manoschek, 4.1.2024)