Wirtshaus, City, Vienna
Normalerweise trägt Kevin Sagstetter weißes Hemd, schwarze Krawatte und schwarze Weste. Wir haben ihn an einem freien Tag im Wirtshaus erwischt.
privat

„Ich bin seit 13 Jahren im Gasthaus Pöschl und somit der hier am längsten beschäftigte Kellner. Zuvor war ich auch schon ein bisschen in der Gastronomie tätig, neben der Schule. Damit hab' ich mir das Spritgeld für mein Moped verdient. Richtig begonnen hat es mit der Gastro, als ich Geld für mein Wirtschaftsstudium an der WU verdienen musste. Dieses habe ich übrigens bis heute nicht abgeschlossen. Das kommt aber noch. Egal, ob ich in Folge in die Wirtschaft gehe oder in der Gastwirtschaft bleibe. Ich bin einer, der Dinge gern zu Ende bringt. Ich möchte es einfach fertig haben. Ich kann mir, wie gesagt, durchaus vorstellen, auch weiterhin in der Branche zu bleiben.

Ich weiß nicht, ob man für die Arbeit in unserer Zunft geboren sein muss, aber eine gewisse grundliegende Menschliebe, Freude an der Kommunikation und Freude an den Gästen sollten schon vorhanden sein. Sonst funktioniert es wahrscheinlich nicht. Natürlich wird diese Freude öfters auf die Probe gestellt. Die Sache hängt auch von der Tagesverfassung ab. Manchmal kann man Ungutes einfach ignorieren und unten durchtauchen. Ein anderes Mal geht es wieder weniger gut. Vor allem, wenn es sehr stressig ist, kann eine Reaktion meinerseits an den Gast recht klar ausfallen.

Sie möchten ein Beispiel hören? Ich kann mich an einen deutschen Gast erinnern, der auf den ersten Blick sehr wohlhabend wirkte. Mit dem ging ich nicht gerade sanft ins Gericht. Er setzte sich mit seiner Gattin an einen der Hochtische und meinte, 'So Junge, du bringst uns jetzt zwei Veltliner, und wenn ein anderer Tisch frei wird, gibst du uns den Tisch.' Kein Hallo, kein nichts. Ich erwiderte, 'Ich grüße Sie auch, wir beide, Sie und ich, werden weder heute noch in Zukunft per Du sein. Sie haben einen Tisch, da können Sie gern sitzen bleiben, und Veltliner gibt es nur mit Bitte.' Er sagte dann, 'zwei Veltliner bitte'. Erstaunlicherweise entwickelte sich unser Verhältnis während des Abends durchaus positiv.

Schnitzel fotografieren

Manchen ist gar nicht bewusst, dass ihr Verhalten unangenehm ist. Da steckt vielleicht auch gar keine Absicht dahinter. Viele sind einfach nervös. Die Menschen sind generell viel gestresster als früher. Das merkt man deutlich. Es gibt zum Beispiel Touristen, die huschen derart schnell durch die Stadt, dass sie auf jeglichen Genuss vergessen. Die müssen hier ein Schnitzel essen, dieses fotografieren, dort eine Cremeschnitte probieren, dann weiter in die Hofreitschule et cetera. Es gilt, möglichst viel auf der To-do-Liste abzuhaken. Das macht manche nervös.

Dann gibt es wieder Tage, an denen nur nette Leute reinkommen. Gestern war ein solcher. Die unangenehmen Gäste hinterlassen einen relativ klaren Eindruck im Kopf, da kann es passieren, dass man wegen einem einzigen Ungustls das Gefühl hat, der gesamte Tag wäre nicht optimal verlaufen. Das ist wie ein schwarzer Tropfen in einem Glas klaren Wassers.

Wirtshaus, City, Vienna
Kellner Kevin Sagstetter am Eingang zum Gasthaus Pöschl, wo er seit 13 Jahren arbeitet.
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Ich mag es hier im Gasthaus Pöschl. Es kommen neben Touristen auch viele Stammgäste, alles ist sehr persönlich, und am Ende des Tages ist das Ganze mit sämtlichen Höhen und Tiefen ein Stück Heimat. Das Schönste ist, wenn sich das Verhältnis mit einem Gast derart entwickelt, dass man sich mit diesem auch einmal privat trifft. Das kommt durchaus vor. Da sind sogar Freundschaften entstanden.

Das Schöne an unserem Job ist ja auch, dass wir unser Feedback immer sofort kriegen. Wir arbeiten nicht wochenlang auf die Abgabe eines Projekte hin. Wir haben das täglich, stündlich, mitunter minütlich. Das kann sowohl stressig als auch sehr befriedigend sein. Ob ich mir vorstellen kann, eines Tages mein eigenes Gasthaus zu haben? Durchaus. Warum nicht? Aber schau' ma mal.

Küchenschluss

In den 13 Jahren meiner Tätigkeit hat sich einiges verändert. Die Verweildauer, die Genussmomente, die haben, wie bereits erwähnt, abgenommen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass das Essen mitunter reine Bedürfnisbefriedigung ist. Im Sinne von: 'Ich hab' Hunger, also gehe ich schnell ins Gasthaus und esse was.' Freunde treffen, in Ruhe essen und trinken, plaudern und genießen, all das wird weniger. Die Leute sind einfach mehr getrieben. Früher waren die Menschen weniger unruhig und dadurch ebenso aufmerksamer im Umgang miteinander.

Die Gäste kommen abends mittlerweile früher. Das gilt auch für das Verlassen des Lokals. Ich denke, das hat mit Covid und den damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen angefangen. Bei uns ist um 22 Uhr Küchenschluss, und es kommt vor, dass das Lokal um viertel nach zehn leer ist. Das hätte es früher nicht gegeben. Da hat man noch einen Wein getrunken und ist zusammengesessen. Auf die Sperrstunde hinzuweisen, kommt nur mehr vereinzelt vor. Vielleicht an einem Samstag. Diese Entwicklung hat für uns natürlich auch positive Seiten. Alle erwischen noch die U-Bahn, und keiner muss mit dem Taxi heimfahren.

Was das Trinkgeld betrifft, könnte ich nicht sagen, dass die Spendierfreudigkeit merklich abgenommen hat. Bei uns nicht. Was abgenommen hat, ist die Trinkfreudigkeit. Ich glaub, der Grund liegt in einer Mischung aus bewussterer Lebensführung, der eine oder die andere muss vielleicht schon auch mehr auf die Geldbörse achten.

Ich selbst gehe so gut wie gar nicht essen. Die viele Kommunikation hier reicht mir völlig. Mein Lieblingsgericht hier bei uns im Pöschl ist übrigens Brathendl mit Salat. Das gibt's aber nur am Wochenende und ist meist schnell ausverkauft." (Michael Hausenblas, 26.3.2024)