1. Kurz zu Politik und ORF

So als Privatperson – oder als Obmann einer Einmannpartei mit Aufnahmesperre – ließe sich nun besonders herrlich spekulieren, wer im ORF künftig das Sagen hat. Nicht diese Woche, aber sagen wir: in ein, zwei Jahren. Nach der Wahl ist vor der Wahl auf dem Küniglberg – auch wenn's im ORF formal ja nur eine Bestellung ist. Aber Bestellung klingt im Verhältnis von Politik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk einfach zu realistisch.

Spekulieren ließe sich da über eine schwarz-blaue Regierung, womöglich mit einem gewissen Richard Grasl als ORF-General, wenn der im Mediengeschäft bleiben will. Die übrigen üblichen Verdächtigen wie Helmut Brandstätter vom "Kurier" lasse ich hier einmal beiseite.

Richard Grasl am 9. August 2016 als damals zweitplatzierter Kandidat für die ORF-Führung.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ähnlich sähe es wohl in Blau-Schwarz aus, jedenfalls mit Thomas Prantner zumindest in Direktorenrang (wie oben). Wobei Sebastian Kurz in den vergangenen, recht spannungsgeladenen Wochen durchaus auch schon Verständnis für die Perspektive der "ZiB 2"-Mannschaft um Armin Wolf gezeigt haben soll. Nein, das war vor dem Filmtitel, der vorige Woche aus der nicht vorhandenen ORF-Version der "Late Show" in die "ZiB 2" geraten ist.

Es ließe sich natürlich auch über die sensationellen Selbstverteidigungskünste eines Alexander Wrabetz in der Position des ORF-Generals spekulieren. Eher nicht zu spekulieren braucht man für die Prognose: Es wird tendenziell keine Enquete von Medienminister Thomas Drozda über künftige Finanzierung, Führung und Programmauftrag des ORF vor der Nationalratswahl geben. Und wenn die SPÖ nach der nächsten Wahl wieder den Medienminister stellt und der Drozda heißt, dann wird er womöglich wirklich ins Regierungsübereinkommen reklamieren, dass sich die ORF-Gebühren in Richtung Haushaltsabgabe bewegen sollen. Angekündigt hat Drozda das jedenfalls schon lange, bevor die nächste Wahl so kurz bevorstand.

Aber nein, die Etat-Wochenschau legt eine kleine Spekulationspause ein und widmet sich dem Handfesten.

Dienstagabend zum Beispiel will der Wiener Management Club – laut Einladung mit einigen Rufzeichen – über den Medienstandort Österreich diskutieren lassen: "Heimische Medien in ausländischer Hand!" Anlass offenbar: Der Verkauf von ATV an ProSiebenSat1Puls4. Darüber diskutieren laut Einladung – Medienminster Thomas Drozda, ORF-General Alexander Wrabetz und "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand.

Update – von wegen handfest: Debatte abgesagt

Tja, so ist das mit den Prognoseformaten: Die Debatte im Management Club findet nicht statt, teilte der Verein am Montagabend mit – Medienminister Drozda habe seine Teilnahme aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung abgesagt. Ich kann als Alternative am Mittwoch um 18 Uhr im Wiener Presseclub Concordia eine Publikumsdiskussion zur Medienpolitik anbieten – eher ohne Medienminister, aber dafür fix, und wohl auch ohne Eva Dichand und Alexander Wrabetz. Aber mit Andy Kaltenbrunner, dem Publikum und mir. Aber weiter im – nur zart adaptierten Wochenschau-Text:

2. Alles eine Frage des Standorts

Wir hätten im Management Club wohl wieder von 300 oder mehr Millionen Euro gehört, die deutsche Fernsehkonzerne aus Österreich nach Deutschland absaugen. So medienpolitisch fies (und betriebswirtschaftlich klug) das Prinzip Werbefenster sein mag, gar solche ohne nationale Programmschöpfung: Ich komme – netto betrachtet, also in echtem Werbegeld und nicht Bruttowerbewerten– bisher schwer auf diese Zahl für's Fernsehen.

Die neue STANDARD-Übersicht der größten Medienhäuser ist noch in Arbeit, also nehmen wir jene des Vorjahres zur Hand, dazu noch der eine oder andere Blick ins Firmenbuch. Sky ist in der Übersicht mit 160 Millionen Euro Umsatz größter internationaler TV-Player in Österreich – Werbung dürfte bei der Aboplattform jedenfalls nicht die Hauptrolle spielen. Und zu TV-Abogebühren habe ich – jedenfalls bisher – kein großes Wehklagen über Abfluss nach Deutschland gehört. Aber ich überhör' auch gelegentlich was.

Wenn's um Werbung geht: ProSiebenSat1Puls4 kam, noch ohne ATV, 2016 geschätzt auf 140 Millionen Euro Umsatz. Es wurden laut Jahresabschluss 2016 doch 141,5 Millionen. Der Bilanzgewinn von 20 Millionen (EGT: stolze 26,6 Millionen) würde wohl jedenfalls nach Deutschland gegangen sein, wohl auch noch Vergütungen für die Programmnutzung oder ähnliche Posten. Der nächste Gewinn in Österreich wird vielleicht eher für ATV-Kauf und -Umbau eingesetzt.

Würden die gut 140 Millionen Umsatz gänzlich nach Deutschland gehen – womit würde etwa Puls 4 Programm machen, wer würde die Verkäufer bezahlen und die übrigen, insgesamt gut 250 Vollzeit-Stellen oder auch nur Satelliten- und Kabelkapazitäten für die Österreichversionen?

Bei RTL-Vermarkter IP Österreich kann man aus dem im Jahresabschluss ausgewiesenen Umsatz schließen, was RTL Deutschland als Vermarktungsprovision nach Österreich überweist – das war 2015 mit 21,9 Millionen (nach 17,7 und 14,7) ein bisheriger Höchstwert. Fakturiert werden die österreichischen Umsätze der IP offenbar in Deutschland – bei (sehr grob) geschätzten 110 Millionen Euro Nettoumsatz in Österreich würden da 88 Millionen in Deutschland verbucht.

Fehlt in der Abflussrechnung noch Goldbach Media, eher überschaubar im Vergleich mit N24, Dmax, Comedy Central, Nickelodeon, Viva. Und ATV mit 33 Millionen Umsatz und minus zwölf Millionen Millionen Ergebnis (EGT) – aber nach der da üblichen Auflösung von Kapitalrücklagen gar einer Million Bilanzgewinn 2015. Der bisherige ATV-Eigentümer und Wiener Herbert Kloiber ist übrigens mit seiner Tele München Gruppe Medienunternehmer in einer Stadt im südlichen Deutschland.

Aber wenn es ein künftiger (oder gar noch der amtierende) Medienminister schafft, Google, Facebook und Co national werbezubesteuern, dann gelingt womöglich auch noch eine besondere Besteuerung von TV-Werbefenstern.

Die ProSiebenSat1Puls4s und IPs dieser Welt haben übrigens – auch und vor allem – deshalb eine so überragende Marktposition im privaten Fernsehmarkt Österreichs, weil Österreichs Medien-Regierungspolitik und der ORF und die Zeitungsverleger im Dreiklang über Jahrzehnte die Zulassung österreichischen Privatfernsehens zum (vermeintlichen) Schutz eigener Reviere verhindert haben.

Die Einladung zur Diskussion am Dienstag über die ausländische Hand im Medienstandort Österreich erwähnt übrigens neben ProSiebenSat1Puls4ATV noch die – anscheinend recht verkaufsbereite – Funke-Gruppe bei"Krone" (und damit auch IP) und "Kurier" sowie Rupert Murdochs Sky.

Die 25,5 Prozent des Schweizer Verlagsriesen Tamedia an "Heute" und seine 51 Prozent an "heute.at" hebt sich der Management Club vielleicht für Eva Dichands Vorstellung am Dienstagabend auf. So wie ich die Lektüre des Geschäftsberichts 2016 der Tamedia. Dabei enthält der überaus lehrreiche Passagen – ein klarer Fall für die Wochenschau-Rubrik Mit Genuss oder Belehrung gelesen.

"Heute"-Macher, "heute.at"-Gesellschafter Eva Dichand und Wolfgang Jansky.
Foto: AHVV Verlags GmbH

3. Was heute wem wert ist

Wussten Sie, was "heute.at" wert ist? Wert ist ja immer sehr subjektiv, aber der Geschäftsbericht des neuen Mehrheitseigentümers Tamedia liefert recht konkrete Anhaltspunkte, was die Plattform den Schweizern 2016 wert war: 6,6 Millionen Franken, also gut sechs Millionen Euro zu aktuellem Kurs, bezahlte der Konzern laut Geschäftsbericht im Vorjahr "in bar" für 51 Prozent an der Plattform.

Das ist für "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand und "Heute"-Gründer und -Geschäftsführer Wolfgang Jansky auch insofern interessant, als die Eigentümer von "Heute" dessen "Digitalmedienteilbetrieb" – also "heute.at" – erst mit Kaufvertrag vom 1. Juli 2016 an die DJ Digitale Medien GmbH abgaben, die damals Eva Dichand und Wolfgang Jansky gehörte und ihre Initialen noch trägt.

Der im Firmenbuch abrufbare – sehr großflächig geweißte – Kaufvertrag über diesen Digitalmedienteilbetrieb zwischen dem "Heute"-Verlag AHVV und der DJ enthält leider keine Aussagen über den Kaufpreis, für den Tochterfirmen von Periodika Privatstiftung (Stiftungsvorstandsvorsitzender Wolfgang Jansky) und die von Eva Dichand und ihrem Bruder gestiftete Pluto Privatstiftung "heute.at" an die am 1. Juli 2016 gegründete Firma von Eva Dichand und Wolfgang Jansky abgetreten haben. Am 6. Juli 2016 tat heute.at den Einstieg der Schweizer kund, laut Geschäftsbericht vollzogen am 29. August 2016.

Großzügig geweißt: Beispielseite aus dem im Firmenbuch abrufbaren Kaufvertrag über "heute.at" an die DJ Digitale Medien GmbH, die Mitte 2016, vor dem Einstieg der Tamedia, frisch gegründet zu je 50 Prozent Wolfgang Jansky und Eva Dichand gehörte.
Foto: Kaufvertrag DJ AHVV

"heute.at" wurde bei der Erstkonsolidierung in die Tamedia mit Aktiva in Höhe von 7,5 Millionen Schweizer Franken und Verbindlichkeiten von 600.000 Franken übernommen. Die Aktiva umfassen laut Geschäftsbericht "neben flüssigen Mitteln von 0,1 Millionen Franken auch Goodwill in Höhe von 86 Prozent der Bilanzsumme oder total 6,4 Millionen Franken".

Von September bis Dezember 2016 beziffert der Geschäftsbericht den Betriebsertrag der DJ Digitale Medien mit einer Million Schweizer Franken, das Ergebnis seit Einstieg mit minus 300.000 Euro.

Über den Preis für 25,5 Prozent an der – vielleicht etwas wertvolleren – Zeitung "Heute" trifft der Geschäftsbericht keine Aussagen, weil eben nicht voll konsolidiert – oder ich habe sie übersehen. Sachdienliche Hinweise immer willkommen. Der zuständige Tamedia-Manager Marcel Kohler wollte sich dazu einst im STANDARD-Interview nicht äußern: "Tamedia versucht in solchen Fällen, aufgrund der wirtschaftlichen Fakten zu bewerten. Wirtschaftlich sind Heute und heute.at erfolgreich. Das hat sich im Kaufpreis niedergeschlagen. Aber ich bitte um Verständnis, dass die Parteien über die Einzelheiten der Transaktion Stillschweigen vereinbart haben."

Man könnte nun natürlich darüber spekulieren, dass längerfristig unter kundiger digitaler Führung der Tamedia der Wert und womöglich auch der Ertrag von "heute.at" (also der 2016 gegründeten DJ Digitale Medien) steigt, an der die Schweizer 51 Prozent und Eva Dichand sowie Wolfgang Jansky persönlich je 24,5 Prozent halten.

Bei Zeitungen, auch Gratiszeitungen, könnte die wirtschaftliche Perspektive etwas anders aussehen – auch wenn sich die Sektion Acht mit ihren Forderungen eher nicht durchsetzen könnte und selbst wenn das Kartellverfahren der Mediengruppe Österreich gegen die Wiener Linien wegen der Entnahmeboxen von "Heute" doch noch nach einem Jahrzehnt versanden sollte. Die Zeitung "Heute" – also der AHVV-Verlag – gehört den Stiftungen Periodika (50,1 Prozent) und Dichands Pluto (24,4) sowie der Tamedia zu 25,5 Prozent.

Aber die Etat-Wochenschau legt ja – siehe oben – gerade eine kleine Spekulationspause ein.

4. Belehrung und Wissen

Ich blättere also lieber für einen (endlich) versöhnlichen Schluss noch ein bisschen in der Wochenschau-Rubrik Mit Genuss oder Belehrung gelesen. Und stelle mit ehrlicher Überraschung fest: Es war mir bisher nicht klar, dass "die ganze Wolf-Diskussion besonders durch eine Veröffentlichung, nämlich meinem Leitartikel auf www.extradienst.at am 10. April 2017, ausgelöst wurde". "Meinem" meint in dem Fall "Extradienst"-Gründer Christian W. Mucha. Ich lese das in diesem "Offenen Brief" Muchas und gebe zu: Das wusste ich bisher wirklich nicht – und bin auch etwas unsicher, ob ich diese Belehrung unter Wissen einordnen soll. (Harald Fidler, 15.5.2017)