Sanktionen? Passiver Widerstand? Neutralität? Deren "Friedenspotenzial" ist überschaubar, sagt der Völkerrechtler Ralph Janík im Gastkommentar.

Die nordostukrainische Stadt Trostyanets wurde am ersten Kriegstag besetzt, nun ist sie wieder in ukrainischer Hand.
Foto: APA / AFP / Fadel Senna

Ist Frieden mit einem Aggressor möglich, der alles, was nach "westlichen Werten" riecht, zutiefst ablehnt? Die große Schlüsselfrage unserer Zeit, die schon Immanuel Kant verneint hat: Unter Republiken mag ein "demokratischer Frieden" möglich sein. Im Verhältnis zu Autokratien herrscht der zwischenstaatliche Naturzustand: Der Staat ist dem Staat ein Wolf.

Daraus folgt keine westliche Kriegsgeilheit, ganz im Gegenteil. Die EU-Mitglieder sind "postheroische Gesellschaften, in denen kriegerische Gewalt und die damit verbundenen Werte keine bedeutenden Werte spielen", wie es der deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler beschreibt.

Wenig Anlass zu Hoffnung

Dazu passen auch die unterschiedlichen Aufrufe in Richtung Ukraine, sich doch besser zu ergeben. Frieden schlägt Gerechtigkeit, man müsse der Realität eben ins Auge sehen: Waffenlieferungen an einen unterlegenen Staat ziehen den Krieg und das damit verbundene Leid nur unnötig in die Länge, wie der Philosoph Richard David Precht oder der Schriftsteller Franzobel kritisieren. Der deutsche Finanzminister hat dem ukrainischen Botschafter in Deutschland zu Beginn des russischen Angriffs überhaupt mitgeteilt, dass seinem Land ohnehin "nur wenige Stunden" bleiben würden und man daher nach vorne – in Richtung besetzte Ukraine mit Marionettenregierung – schauen müsse.

Franzobel bringt im Gastkommentar Lob der Feigheit passiven Widerstand und harte Wirtschaftssanktionen ins Spiel. Und räumt dabei ein, dass er nicht wisse, ob es eine gewaltfreie Lösung gibt. Als akademischer Schreibtischtäter kann ich aller eigenen Unkenntnis zum Trotz auch nur auf Empirie verweisen – und die gibt hier nur wenig Anlass zu Hoffnung: Autoritäre Staaten weisen eine hohe Sanktionsimmunität auf, allenfalls werden Diktatoren durch den gemeinsamen äußeren Feind – der "böse Westen" – sogar gestärkt.

Der russische Präsident Wladimir Putin konnte schon die westlichen Reaktionen auf die Annexion der Krim zur Ablenkung von eigenen Verfehlungen nützen und zeitgleich seine Gefolgsleute vor deren Auswirkungen abschirmen. Abgesehen davon stoßen Handelsembargos an ihre Grenzen, wenn Kriege ideologisch – also zwecks vorgeblicher "Entnazifizierung" – oder zum (abermals vorgeblichen) Schutz von (russischen) "Brüdern und Schwestern" geführt werden.

Kein Vergleich

Die Erfolgschancen passiven Widerstands scheinen auf den ersten Blick erfolgsversprechender. Allerdings fokussiert die dahingehende Forschung nicht auf Okkupationen, sondern auf Protestbewegungen gegen "eigene" Despoten.

Hier liegt die Crux: Ein entscheidender Erfolgsfaktor sind Überläufer aus den Reihen der Armee oder Polizei, die friedliche Proteste nicht gewaltsam niederschlagen wollen. Das lässt sich nicht 1:1 auf Besetzungen fremder Staaten ummünzen. Der russische Truppenabzug aus Afghanistan wurde jedenfalls nicht auf friedlichem Wege herbeigeführt.

Neutrale Ukraine?

Precht verweist wiederum auf eine biologische Lösung – das Ableben Putins – und einen neutralen Status für die Ukraine. Beides ist hochspekulativ: Aller Rhetorik von "Putins Krieg" zum Trotz darf man nicht vergessen, dass selbst der mächtigste Autokrat nicht alles im Alleingang entscheidet und der Krieg in der russischen Bevölkerung durchaus Unterstützung genießen dürfte. Ein Post-Putin’scher Frieden ist damit alles andere als gewiss.

Auch das Friedenspotenzial einer "Neutralisierung" der Ukraine scheint derzeit fragwürdig: Russland fordert schließlich zeitgleich ihre Entmilitarisierung. Damit könnte sie jederzeit erneut angegriffen werden. Echter Frieden sieht anders aus. Sie bräuchte also entweder ein starkes Militär oder (westliche) Sicherheitsgarantien – die sich wiederum nicht mit der geforderten Neutralität vertragen.

Viel Anlass zur Skepsis, wenig Hoffnung auf Frieden. Die Forderungen, aufzugeben, sagen wohl mehr über uns als über die tatsächlichen ukrainischen Handlungsoptionen. (Ralph Janík, 3.4.2022)