Die Regelungen für die Präsidentschaftswahl gehören erneuert, schreibt Kulturwissenschafter Christoph Landerer in seinem Gastkommentar – und er nennt mögliche Reformvorschläge.

Michael Brunner, Gerald Grosz, Walter Rosenkranz, Heinrich Staudinger, Alexander Van der Bellen, Tassilo Wallentin, Dominik Wlazny – so dürfte die Kandidatenliste auf dem Stimmzettel für die Bundespräsidentenwahl am 9. Oktober aussehen. Diese Wahl ist die erste der Zweiten Republik, in der kein Kandidat, keine Kandidatin der (ehemaligen) Großparteien ins Rennen geht – sieht man von Thomas Klestil und Heinz Fischer ab, die sich bei ihrem Wiederantritt zu "Unabhängigen" erklärten.

Der weitgehende Rückzug der Parteien aus der Wahl zum höchsten Staatsamt ist ein wiederkehrendes Phänomen; er betrifft regelmäßig die Wiederwahl eines amtierenden Präsidenten. In der Folge dünnt das Kandidatenfeld aus, die Wahl wird von teilweise obskuren Kandidaten zu Publicity-Zwecken genutzt, die Wahlbeteiligung sinkt. 2010, bei der Wiederwahl Fischers, lag sie bei bedenklichen 54 Prozent. 2004, bei der Erstwahl Fischers, waren es 72 Prozent, bei der Wahl Van der Bellens 2016 74 Prozent (Stichwahl). Als Volkswahl und Persönlichkeitswahl ist eine hohe Wahlbeteiligung zentral für die Legitimation des Staatsoberhaupts. Doch auch bei dieser Wahl wird die Wahlbeteiligung sinken.

Wer wird hinter dieser Tapetentür seinen Arbeitsplatz haben? Das Kandidatenfeld ist jedenfalls sehr groß.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Der wesentliche Grund für die Zurückhaltung der beiden "staatstragenden" Parteien bei einem neuerlichen Antreten ist ein höchst profaner: Anders als bei Listenwahlen winkt bei der Bundespräsidentenwahl keine Wahlkampfkostenrückerstattung. Die Wiederwahl des Amtsinhabers gilt als wahrscheinlich – sie ist es auch aufgrund der schwachen Konkurrenz –, die Kosten der Wahlkampagne sind damit verloren. Das jeweils erste Antreten eines neuen Kandidaten ist auch für ÖVP und SPÖ attraktiv. Sie hoffen auf gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten, nominieren eine Persönlichkeit und investieren in die Wahlkampagne. Ist dieser gewählt und steht zur Wiederwahl an, dann schwindet das Interesse.

Finanzielle Belastungen

Wie wäre das System zu reformieren? Eine mögliche Lösung hat die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Präsidentschaftskandidatin im Jahr 2016, Irmgard Griss, vorgeschlagen. Sie plädierte angesichts der enormen finanziellen Belastungen ihres eigenen Wahlkampfs für eine Wahlkampfkostenrückerstattung auch auf der Ebene der Bundespräsidentenwahl. Die eklatante Asymmetrie zwischen den durch das Parteiengesetz geregelten Listenwahlen und der Präsidentschaftswahl als Persönlichkeitswahl ist nicht von der Hand zu weisen. Während Parteien, die zu Nationalrats-, Landtags- oder Europawahlen antreten, im Erfolgsfall anteilig am Fördersystem teilhaben können – mit abgesenkten Beträgen selbst bei Ergebnissen über einem Prozent –, müssen Kandidierende für die Bundespräsidentschaftswahl sämtliche Kosten selbst tragen.

Eine Wahlkampfkostenrückerstattung würde unabhängigen Kandidatinnen oder Kandidaten helfen, die Kosten einer Wahlkampagne zu schultern. Aber sie würde auch weitere Interessenten anziehen, deren politische Seriosität und Ernsthaftigkeit sich – vorsichtig ausgedrückt – nicht ohne weiteres erschließt, und sie würde jenen Parteien, die sich aufgrund ökonomischer Überlegungen aus dem Spiel nehmen, zusätzliche Einkünfte verschaffen. Die in Österreich durchaus üppige allgemeine Parteienförderung kann jederzeit auch von ÖVP und SPÖ für die Hofburgwahl verwendet werden; dass sie sich lieber in Sparsamkeit üben, sollte nicht auf anderem Wege abgegolten werden.

Die einfachste Reform wäre eine Abschaffung der Wiederwahlmöglichkeit. Die aktuellen sechs Jahre der Amtsdauer könnten so etwa auf acht Jahre verlängert werden, wie bereits von Fischer angedacht, verbunden mit einem Wegfall der Wiederwahlmöglichkeit. Italien hat – ohne Direktwahl – eine Periode von sieben Jahren, bis zur erneuten Wahl Giorgio Napolitanos im Jahr 2013 wurden Wiederantritte vermieden. Das Problem des ausgedünnten Kandidatenfeldes bei Wiederwahlen wäre damit mit einem Schlag gelöst.

Anhebung der Hürde

Eine weitere Möglichkeit bestünde in der Anhebung der Hürde bei gleichzeitiger Absenkung der Wahlkampfkostenobergrenze. Für gut vernetzte Selbstvermarkter sind 6000 Unterstützungserklärungen, sie entsprechen 0,1 Prozent der Wahlberechtigten, keine echte Herausforderung – Tschechien etwa hat 2013 auf Direktwahl umgestellt und verlangt 50.000 Unterstützungen. Eine Absenkung der Wahlkampfkostenobergrenze wiederum würde den Parteien die Sorge vor einem ruinösen Rüstungswettlauf in der Wahlkampagne nehmen.

Die Wahlkampfkostenobergrenze liegt aktuell – wie bei Nationalratswahlen, das heißt Wahlen zum Parlament als Gesetzgeber – bei sieben Millionen Euro; ob die Bundespräsidentenwahl wirklich analog zu Listenwahlen mit völlig anders gelagerten politischen Einflussmöglichkeiten (und mit Rückvergütungsmöglichkeit) behandelt werden sollte, bedarf der Diskussion. Aktuell investiert die FPÖ drei Millionen Euro in den Wahlkampf ihres Kandidaten, 2016 unterstützten die Grünen Van der Bellen mit 4,8 Millionen. Das gegenwärtige Kostenlimit ist nicht nur für Parteien unattraktiv, es sorgt auch für eine gewaltige Disbalance zwischen unabhängigen Kandidaten und Parteikandidaten.

Zu irgendeiner Reform wird man sich mittelfristig bequemen müssen, denn die aktuelle Situation beschädigt auch das Amt. Der derzeitige Amtsinhaber will diesmal selbst TV-Duelle meiden. Es ist ihm nicht wirklich zu verdenken – soll er sich mit Grosz oder MfG-Chef Brunner in ein Fernsehstudio setzen und diese Kandidaten damit aufwerten?

Etablierte Parteien haben nicht nur die nötigen Mittel für eine Wahlkampagne von Gewicht, sie verfügen auch über interne Selektionsmechanismen, die präsentable Kandidatinnen und Kandidaten jedenfalls wahrscheinlich machen und eine Konfrontation auf Augenhöhe ermöglichen. Ihr periodischer Rückzug aus dem Wahlgeschehen ist damit auch ein staatspolitisches Problem. Sinkt die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent, dann werden wir auch eine Debatte darüber brauchen, ob das bisherige System der Volkswahl überhaupt noch zeitgemäß ist. (Christoph Landerer, 2.9.2022)