Eine Stellungnahme an die ORF-interne Untersuchungskommission spricht vom "Klima der Angst" in der Redaktion des ORF Niederösterreich.

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Wien – Der ORF-internen Prüfungskommission über Politikeinfluss auf das Landesstudio Niederösterreich liegt neben zahlreichen Aussagen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein neues Dossier über die Amtsführung des heutigen ORF-Landesdirektors Robert Ziegler als Chefredakteur vor, das ihm etwa vorwirft: "Machtmissbrauch und Interventionen standen an der Tagesordnung." Das zehnseitige Dossier liegt dem STANDARD vor. Ziegler weist die Vorwürfe zurück.

"Niederösterreich heute"-Präsenzanalyse: Zwei Drittel ÖVP

Dienstagabend präsentierte zudem Medienbeobachterin Maria Pernegger von Media Affairs erste Ergebnisse ihrer Analyse von "Niederösterreich heute" seit November 2022 für die Rechercheplattform "Dossier", die ihr nächstes Magazin dem ORF widmet. In den knapp zweieinhalb Monaten der Erhebung komme die ÖVP auf rund zwei Drittel der Parteipräsenz in der Regionalsendung. Unter den Parteivorsitzenden in Niederösterreich komme Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) auf gut 50 Prozent der Parteienpräsenz, berichtete Pernegger bei einer "Dossier"-Veranstaltung im Wiener Volkstheater.

Seit 1. November 2022 bis 12. Jänner 2023 war Landeshauptfrau Mikl-Leitner laut Media Affairs 36:44 Minuten in "Niederösterreich heute" präsent, Spitzen anderer Parteien zusammen: 35:21 Minuten.

"Schockmoment" nach STANDARD-Veröffentlichung

Seit DER STANDARD, DER SPIEGEL und "Die Presse" Mitte Dezember ein Dossier mit Vorwürfen über Politeinfluss zugunsten der ÖVP im Landesstudio veröffentlichten, blieb "Niederösterreich heute" für zehn Tage überraschend ganz Landeshauptfrau-frei. "Das dürfte ein Schockmoment gewesen sein", kommentierte Medienbeobachterin Pernegger die Reaktion auf die Veröffentlichung.

Media Affairs hat schon 2018 um die Landtagswahl für die Grünen die regionale ORF-Berichterstattung analysiert; die ÖVP übertreffe diesmal ihre damaligen Präsenzwerte, berichtete Pernegger.

Unmittelbar vor der Wahl würden die Präsenzwerte der Parteien traditionell ausgeglichener, berichtete Pernegger – wegen üblicher Interviews mit allen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten. Abseits von Wahlen komme die Landeshauptfrau auf "60, 65, 70 Prozent", erklärte Pernegger.

Media Affairs führt die Beobachtung noch bis zum Wahltag weiter, die "Dossier"-Ausgabe über den ORF soll im März erscheinen.

"Autoritärer Führungsstil"

In der dem STANDARD vorliegenden Stellungnahme eines ehemaligen Mitarbeiters an die interne "Evaluierungskommission" heißt es etwa wörtlich: "Ziegler hat die Redaktion durch seinen autoritären Führungsstil über Jahre hinweg zu einer ÖVP-freundlichen Berichterstattung gedrängt, hat freihändig und ohne sachliche Grundlage entschieden, worüber berichtet beziehungsweise nicht berichtet wird. Kritische Wortmeldungen wurden niedergeschlagen und diejenigen, die Kritik geäußert hatten, wurden niedergemacht – oft auch öffentlich in Redaktionssitzungen."

DER STANDARD bat Ziegler am Dienstagabend um Stellungnahme zu den neuen Vorwürfen. Aus dem neuen Ziegler-Dossier zitiert auch der "Falter" in seiner aktuellen Ausgabe ausführlich.

Ziegler: "Redaktion nach bestem Wissen und Gewissen geleitet"

"Für mich gilt weiterhin, dass ich mich aus Respekt gegenüber der Kommission und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ORF NÖ zu keinen Vorwürfen äußere", erklärt Ziegler auf die Anfrage. Die Vorwürfe seien, wie er schon nach der Veröffentlichung der ersten Materialien im Dezember erklärte, "diffus beziehungsweise nicht nachvollziehbar".

"Ich habe die Redaktion des ORF Niederösterreich sechs Jahre nach bestem Wissen und Gewissen geleitet", betont Ziegler. Und er schreibt: "Hier läuft offensichtlich eine Kampagne gegen mich, die von einer oder einigen Personen aus Gründen geführt wird, die ich nicht nachvollziehen kann."

"Das Wichtigste aus meiner Sicht ist, dass Vorwürfe ausschließlich in der Kommission geklärt werden", heißt es weiter in Zieglers Stellungnahme: "Alles andere würde zu einer weiteren Verunsicherung der Redakteurinnen und Redakteure des ORF NÖ führen, die täglich ihren journalistischen Aufgaben nachzukommen haben."

Kommission untersucht nach erstem NÖ-Dossier

Im Dezember veröffentlichten DER STANDARD, DER SPIEGEL und "Die Presse" ein Dossier mit internen Chats und Mails über die Amtsführung des heutigen ORF-Landesdirektors Ziegler als Chefredakteur des Landesstudios von 2015 bis 2021. Das Dossier dokumentiert Einflussnahme Zieglers im Sinne der Landeshauptfraupartei ÖVP Niederösterreich.

ORF-General Roland Weißmann richtete daraufhin eine interne "Evaluierungskommission" ein, um die Vorwürfe zu untersuchen. Ziegler ist als Landesdirektor eigentlich nicht für die Wahlberichterstattung zur Landtagswahl zuständig; dennoch gab Ziegler nach der Veröffentlichung laut ORF die Zuständigkeit für die Wahlberichterstattung an Radiodirektorin Ingrid Thurnher ab.

Die Kommission soll erheben, ob Ziegler mit Anweisungen über die Berichterstattung, über die Gestaltung von Beiträgen, die Abfolge von O-Tönen in Beiträgen oder auch wer nicht in Beiträgen vorkommen sollte das Redaktionsstatut, die Programmrichtlinien oder gar das ORF-Gesetz verletzt hat. Laut Redaktionsstatut sind Journalistinnen und Journalisten des ORF – grob zusammengefassst – in der Gestaltung von Beiträgen unabhängig und eigenverantwortlich.

Einfluss auf interne Hearings

Die Kommission hört seit 9. Jänner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Landesstudio. In den Aussagen vor der Kommission soll nach STANDARD-Infos eine Vielzahl neuer Vorwürfe und Vorfälle aufgetaucht sein.

Ein ehemaliges Redaktionsmitglied hat der Kommission zudem eine zehnseitige Stellungnahme vorgelegt mit weiterer Kommunikation und Aufträgen Zieglers für O-Töne in Beiträgen, für die Besetzung von Terminen und Pressekonferenzen insbesondere der ÖVP-Ressorts in der Landesregierung. In der Stellungnahme wird Ziegler etwa auch vorgeworfen, er habe auf interne Hearings mit – teils abwertend klingenden – Beschreibungen von Mitarbeiterinnen Einfluss genommen.

"Klima der Angst"

In der Stellungnahme heißt es etwa: "Ziegler zwang der Redaktion seine Meinung auf und verstand es, Themen einen gewissen Spin zu geben beziehungsweise kritische Berichte zu verhindern. Ein beliebtes Argument, um Geschichten 'abzudrehen', war, 'dass es sich nur um eine Anzeige handelt und ja jeder jeden anzeigen kann.' Dieses Argument galt jedoch nur für die ÖVP, Landeseinrichtungen oder landesnahe Einrichtungen."

Die Stellungnahme beschreibt "ein Klima der Angst" in der Redaktion, das wesentlich zum Funktionieren dieses "Systems" beigetragen habe. Trotz Unmuts habe die Angst überwogen, "vor Publikum niedergemacht zu werden".

Ziegler habe etwa als Chefredakteur in Redaktionssitzungen vorgeführt, "womit Kolleginnen und Kollegen, die sich kritisch äußerten oder am Vorabend die Sendung 'Niederösterreich heute' nicht gesehen haben, zu rechnen hatten. Diese wurden – wie bereits angedeutet – bloßgestellt oder herabgewürdigt." (fid, 18.1.2023)