Das ORF-Türschild im österreichischen Parlament. Zeitungsverbandsmanager Grünberger könnte sich den ORF als Betreiber der gedruckten "Wiener Zeitung" vorstellen.

fid

Donnerstag im Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP und Grünen beschlossen: Das Ende der "Wiener Zeitung" als gedruckte Tageszeitung mit Jahresmitte 2023.

fid

Einen überraschenden Vorschlag machte der Geschäftsführer des Zeitungsverbandes VÖZ im "Mittagsjournal": Er hätte sich vorstellen können, dass der öffentlich-rechtliche ORF die bisher republikseigene "Wiener Zeitung" übernimmt und als gedruckte Zeitung weiterführt. VÖZ-Manager Gerald Grünberger kündigte aber auch an, der Zeitungsverband werde das geplante ORF-Gesetz EU-rechtlich prüfen und erwäge eine Wettbewerbsbeschwerde in Brüssel.

Private Medienunternehmer und ORF ringen gerade um ihre Positionen im neuen ORF-Gesetz, das Donnerstag in Begutachtung ging. Zeitungsunternehmer wie Eugen A. Russ (Russmedia Vorarlberg) und Alexander Mitteräcker (DER STANDARD) warnten öffentlich vor aus ihrer Sicht existenzbedrohenden digitalen Möglichkeiten für den ORF. Es geht in der Diskussion um Textbeschränkungen für ORF.at als Konkurrenz für private Medienangebote, die ihre Inhalte zunehmend mit digitalen Bezahlangeboten finanzieren müssen. Die frei zugängliche "blaue Seite" des künftig mit einer Haushaltsabgabe für alle finanzierten ORF sei dafür ein wesentliches Hindernis, argumentieren private Medienunternehmer.

Im "Journal zu Gast" am Samstag traf VÖZ-Geschäftsführer Grünberger auf ORF-Generaldirektor Roland Weißmann. Der ORF-Chef bestätigte, dass er in den Schlussverhandlungen angeboten hat, die Textmeldungen auf ORF.at auf 350 pro Woche zu beschränken – sein Angebot per Mail kursierte auch auf Twitter.

EU-Beschwerde

Wenn am Ende der Woche das Kontingent an Textmeldungen ausgeschöpft sei, aber journalistisch Wesentliches passiere, gehe im Zweifel Journalismus vor, erklärte Weißmann. Dann müsse der ORF im Ausnahmefall auch eine Klage – oder formal wohl eine Beschwerde an die Medienbehörde – in Kauf nehmen.

Eine Beschwerde gegen das ORF-Gesetz bei der EU-Kommission müsste die Regierung in Kauf nehmen, wenn das ORF-Gesetz wie bisher vorgelegt beschlossen wird: Der Zeitungsverband werde das Gesetz EU-rechtlich prüfen und eine Beschwerde in Brüssel, wenn keine weiteren Beschränkungen kommen, "wenn das Angebot nicht deutlich eingeschränkt wird, hin zu einem nicht zeitungsähnlichen Angebot, zu reiner Überblicksberichterstattung, nicht vertiefend."

"Ich halte das für einen guten Kompromiss für den Medienmarkt, wenn nichts Großartiges verändert wird", sagte ORF-General Weißmann. Der Entwurf sei nach Beschluss jedenfalls von der EU beihilfenrechtlich zu prüfen und zu notifizieren. Es gebe also ohnehin eine Vorabprüfung in Brüssel.

710 Millionen aus ORF-Beitrag plus 260 Millionen vom Bund

Grünberger verwies auf künftig 710 Millionen Euro pro Jahr aus dem neuen ORF-Beitrag für Haushalte und Firmen unabhängig vom Empfang. Dazu kämen in den nächsten drei Jahren noch 260 Millionen Euro Abgeltung der Republik an den ORF für den Entfall des Vorsteuerabzugs unter Bedingungen wie Sparmaßnahmen und Weiterbetrieb von RSO und ORF Sport Plus bis 2026. "Das ist ein erheblicher Wettbewerbs- und Startvorteil gegenüber den Privaten." Wenn noch die digitalen Möglichkeiten ausgeweitet werden, werde das zur Existenzfrage für Private.

"Die Gefahr geht nicht vom ORF aus"

"Die Gefahr geht nicht vom ORF aus", erklärte Weißmann und verwies auf die den für viele Medien bisher entscheidenden Werbemarkt, den internationale Techgiganten wie Alphabet mit Google und Youtube, Meta mit Facebook, Instagram, Whatsapp und Co dominieren.

Verleger kritisieren vehement das aus ihrer Sicht "zeitungsähnliche" Onlineangebot des ORF als existenzielle Konkurrenz. Zeitungsähnlichkeit verbietet schon heute das ORF-Gesetz, im Entwurf wird die bisherige Vorgabe noch verschärft.

ORF als Zeitungsmacher

Grünberger erinnerte Weißmann auch "Im Journal zu Gast" daran, dass "der ORF keine elektronische Zeitung anbieten darf". Eine gedruckte Zeitung des ORF sähe er entspannter: "Sie werden jetzt staunen und ich mache jetzt einen Vorschlag, den ich auch im Vorfeld gemacht habe: Wir hätten uns sogar vorstellen können, wenn der ORF als öffentlich-rechtliche Stiftung die 'Wiener Zeitung' als öffentlich-rechtliches Medium mit übernommen hätte und dann wirklich gedrucktes Wort anbieten hätte können."

"Der Zug ist wahrscheinlich abgefahren", kommentiert das ORF-Interviewer Stefan Kappacher.

Die "Wiener Zeitung" finanzierte sich bisher aus – nun aus Anlass einer EU-Richtlinie abgeschafften – Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen, der Umsatz lag zuletzt bei rund 24 Millionen Euro. "Der Betrag, um den es ging, wäre im Verhältnis zu den Summen beim ORF, gar nicht so groß gewesen." Der VÖZ-Geschäftsführer spielt hier auf die 710 Millionen Euro pro Jahr aus dem künftigen ORF-Beitrag plus jährlich befristet 70 bis 100 Millionen vom Bund an. Bei ORF.at geht es – wie Grünberger an anderer Stelle in dem Gespräch sagte – um rund 20 Millionen Euro.

ÖVP und Grüne haben Donnerstag im Nationalrat die Einstellung der ältesten Tageszeitung in gedruckter Form zur Jahresmitte 2023 beschlossen. Die "Wiener Zeitung" soll – weiterhin organisatorisch dem Bundeskanzleramt unterstellt – als als nicht tagesaktuelle Onlineplattform weitergeführt werden, zusammen mit einer Journalismusausbildung mit 13,5 Millionen Euro von der Republik finanziert. Grünberger bestätigte Übernahmeinteresse unter österreichischen Zeitungsverlegern an der "Wiener Zeitung" und bedauerte, dass keine solche Lösung zustandekam. (Harald Fidler, 29.4.2023)