Am Freitag, 30. Juni, erscheint die letzte
Freitag erscheint die letzte "Wiener Zeitung" mit einer Abrechnung der gekündigten Redaktion.
Wiener Zeitung

Mit Ende Juni ist die "Wiener Zeitung" in ihrer derzeitigen Form Geschichte. Am Freitag, 30. Juni, erscheint die letzte Ausgabe als Tageszeitung. Die gekündigte Redaktion verabschiedet sich auf der letzten Titelseite mit einer Abrechnung – sie erlebte in 320 Jahren zwölf Präsidenten, zehn Kaiser und zwei Republiken.

Ab Juli wird sie von der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt zu einem aus dem Bundesbudget finanzierten Medium mit Online-Schwerpunkt. Künftig soll es maximal zehn Printausgaben pro Jahr geben. Mehr als 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Job, drei Viertel der Belegschaft in der Redaktion müssen gehen, auch die redaktionelle Führung. Die Redaktion schrumpft auf circa 20 Personen.

Nach 63 Vertragsauflösungen, die in der Redaktion und ihrem Umfeld erfolgten, gehe es "jetzt als Nächstes gegen die 'Rädelsführer des Widerstands'", so Paul Vecsei, der der Koordinator des Redaktionskomitees "Rettet die Wiener Zeitung" war. "Bereits drei Belegschaftsvertreter sind ab 1. Juli freigestellt und werden von der Geschäftsführung zur Kündigungserlaubnis vor das Arbeitsgericht gezerrt. Wir haben Handys, Laptops und Eingangschip sofort abzugeben." Vecsei ist zudem Behindertenvertrauensperson in der Gesellschaft.

"Nostalgie und Wehmut werden die Leitmelodie der letzten Ausgabe, die Oasis-Lyrics-Zeile 'Don't Look Back in Anger' liefert dazu ein weiteres passendes Motto", sagt "Wiener Zeitung"-Chefredakteur Thomas Seifert im STANDARD-Interview zum Abschied. "Stoizismus und Stiff Upper Lip waren schon immer eine Stärke der 'Wiener Zeitung'. All das ändert nichts an der Tatsache, dass das Ende der 'Wiener Zeitung' einen medienpolitischen Vandalenakt kulturloser Barbaren darstellt."

Babler will reanimieren

"Das ist ein bitterer Tag für Österreich als Medienstandort und Kulturland und ein trauriger Tag für alle, die seriösen Qualitätsjournalismus schätzen", so SPÖ-Klub- und Parteivorsitzender Andreas Babler. "Dieses kaltschnäuzige Aus für eine Tageszeitung, die der Republik – also uns allen – gehört, die sich dem unaufgeregten Qualitätsjournalismus verschrieben hat, ist ein medienpolitischer Skandal, den ich nicht akzeptieren kann und werde." Dass die älteste Tageszeitung der Welt zusperren muss, sei "geschichtsvergessen und eine kulturpolitische Schande".

"Wenn wir wieder in Regierungsverantwortung sind, dann werden wir jedenfalls Mittel und Wege suchen, um die 'Wiener Zeitung' als gedruckte Tageszeitung zurückzuholen", sagt Andreas Babler.

"Türkis-grüner Zerstörungsakt"

"Gerade in Zeiten von Fake News ist seriöser Journalismus wichtig. Der türkis-grüne Zerstörungsakt bei der 'Wiener Zeitung' ist eine medien- und kulturpolitische Schande. Während die Regierung dutzende Millionen Euro für Regierungspropaganda ausgibt, wurde der 'Wiener Zeitung' die Finanzierung entzogen, und die Regierung hat keine Alternativen vorgelegt“, sagt SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried anlässlich der letzten Druckausgabe der "Wiener Zeitung". "In Sonntagsreden sprechen ÖVP und Grüne von Qualitätsjournalismus, gleichzeitig killen sie eine Qualitätszeitung und damit auch dutzende Arbeitsplätze im Qualitätsjournalismus", so Leichtfried. 

Er erinnert auch an die Ankündigung von Medienministerin Raab, dass keine Arbeitsplätze verloren gehen werden – "wieder ein leeres Versprechen", so Leichtfried. "Für sich selber geben Nehammer, Kogler und Raab Millionen aus für PR, Beratung und Inserate, während sie gleichzeitig dutzende Jobs im unabhängigen Journalismus mit einem Schlag vernichten." Auch den bisherigen Online-Auftritt werde es in dieser Form nicht mehr geben. "Dafür wird nun Geld in eine Journalismusschule gepumpt, die dem Kanzleramt unterstellt ist. Offenbar hoffen die Türkisen damit auf ein neues Instrument der Message-Control", kritisiert er.

Neos: "Totalversagen der Regierung"

"Das Ende der ältesten Zeitung der Welt ist ein Totalversagen dieser Regierung, denn es wäre vermeidbar gewesen", sagt Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter, "den Grünen, aber absurderweise auch der angeblichen Wirtschaftspartei ÖVP ist Privatisierung offenbar derart zuwider, dass sie die 'Wiener Zeitung' lieber vernichtet beziehungsweise sich einnäht, statt sie einfach zu verkaufen oder etwa ein Genossenschaftsmodell zu entwickeln." 

"Wir Neos haben immer für einen Fortbestand der 'Wiener Zeitung' gekämpft, der die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht zur Kasse bittet. Die Bundesregierung war und ist an der Zukunft der Wiener Zeitung hingegen nur soweit interessiert, als dass sie diese als Feigenblatt für ganz andere Unternehmungen benötigt", so Brandstötter. "Daher wurden auch keine weiterführenden Gespräche mit interessierten Investoren geführt. Stattdessen werden nun jährlich insgesamt 16,5 Millionen Euro Steuergeld in diverse Unternehmungen unter dem Dach der Wiener Zeitungs GmbH gesteckt."

Die älteste Tageszeitung der Welt sei also gestorben, "um als PR-Maschine der Regierung Wiederauferstehung zu feiern. Das ist ein weiterer großer Schritt in Richtung Mediensystem à la Orbán". Brandstötter: "Mit dem Ergebnis, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mehr denn je dafür zahlen und Dutzende Menschen nun ohne Job dastehen – in einer Zeit, in der es alles andere als rosig aussieht auf dem Medienmarkt.“  

Gewerkschaft: "Politik hat Belegschaft und Öffentlichkeit belogen"

"Entgegen der wiederholten Ankündigung der Politik, es werde für die Belegschaft der 'Wiener Zeitung' eine Weiterbeschäftigung geben, findet nun ein personeller Kahlschlag statt", so die Gewerkschaft GPA in einer Aussendung, für eine Neuaufstellung als Online-Medium gebe es "keinerlei Konzepte". 

"Die Politik hat die Belegschaft und die Öffentlichkeit in dieser Frage schlicht belogen. Besonders empörend ist, dass ausgerechnet jene, die sich für die Kolleginnen und Kollegen eingesetzt und für den Weiterbestand gekämpft haben, jetzt massiv unter Druck gesetzt werden. Wir werden diese Kündigungen mit allen rechtlichen Mitteln bekämpfen. Die zuständige Ministerin Raab hätte es in der Hand, diesem unsozialen Treiben der Geschäftsführung der 'Wiener Zeitung' ein Ende zu setzen," sagt die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber.

"Die Gleichgültigkeit, wie hier über Betroffene hinweggegangen wird und wie hier über Monate falsche Versprechungen gemacht wurden, ist ein Tiefpunkt der politischen Kultur im Land. Dass ausgerechnet die Repräsentanten der Republik Österreich als Eigentümer sich so verhalten, ist sehr beschämend. Dass nun auch die Beschäftigten der Druckerei Herold in Wien ihre Arbeit verlieren, ist nur eine Draufgabe in einem traurigen Kapitel der österreichischen Medienpolitik", so Teiber. (red, 29.6.2023)