Die beiden Ökonomen Jan Kluge (Agenda Austria) und Oliver Picek (Momentum-Institut) blicken in ihren Gastkommentaren auf die Inflation – und sind dabei gänzlich unterschiedlicher Meinung.

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Wie bekommt man die Teuerung in den Griff?
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Die Irrflation

Von Jan Kluge

Ausgerechnet jene, die in den letzten Jahren nie genug Fantasie hatten, um sich die Risiken der expansiven Geldpolitik auszumalen, sprühen nun geradezu vor Einfallsreichtum, um eine Inflationskrise zu erklären, die in ihren Augen nicht die Ursachen haben darf, die sie eben hat. Seit Wochen beglücken sie uns mit ihrer neuesten Theorie, der zufolge es die Gier der Unternehmen sei, die die Inflation erst in die Welt gebracht habe. Messerscharf kombinieren sie, dass es nur deshalb Inflation gebe, weil Unternehmen die Preise erhöhten. Nun könnte man diese Tautologie natürlich belächeln: Hatten Sie etwa geglaubt, die unsichtbare Hand des Marktes würde die neuen Preise gleich selbst auf die Eierkartons kritzeln?

Einzelentscheidungen

Doch wie gesagt. Man könnte. Natürlich stehen hinter zweistelligen Inflationsraten individuelle Unternehmensentscheidungen, die Preise tatsächlich anzuheben. Doch diese vielen kleinen unkoordinierten Einzelentscheidungen sind eben nicht die Ursache der Inflation; in ihnen manifestiert sich nur der Marktmechanismus, der von einem Nachfrageüberhang zur Inflation führt. Ökonomin Isabella Weber – eine der bekanntesten Proponentinnen der gewinngetriebenen Inflation – liefert eine Fülle von Erzählungen, wie Unternehmen auf den weltweiten Aufschwung nach Corona und die gerissenen Lieferketten reagierten, und benennt die verschiedenen Gründe, aus denen sie dabei die Preise erhöhten. Vieles davon ist gar nicht von der Hand zu weisen und beschreibt eindrücklich und praxisnah, was in einem Markt vor sich geht. Ein Unternehmen kann eben den Preis erhöhen, wenn die Kosten steigen und die anderen dasselbe tun. Und wenn die anderen auf Vorprodukte warten müssen, die im Hafen von Schanghai feststecken, dann kann es die Auspreispistole gleich noch einmal zücken. Ist das nun Gier? Oder einfach business as usual unter veränderten Marktbedingungen?

Sogar Weber lehnt den Begriff der Gierflation ab und spricht lieber von Verkäuferinflation. Sie sieht das Verhalten der Unternehmen zwar als ursächlich für die Inflation, fällt dabei aber kein moralisches Urteil. Aber das hält andere natürlich nicht davon ab, genau das zu tun. Zum Beweis für die nackte Gier der Unternehmen werden ihre Gewinne gnadenlos schöngerechnet. Sogar Abschreibungen werden nonchalant den Profiten zugeschlagen.

Kreativität ist auch bei der Interpretation von Analysen der Europäischen Zentralbank (EZB) oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) vonnöten. Dabei weisen diese ja in der Tat auf wichtige verteilungspolitische Aspekte hin. Aber die Frage nach der Kausalität ist eben trotzdem eine andere. Es beweist eben nicht, dass die Unternehmen plötzlich auf die Idee gekommen wären, kollektiv ihre Gewinnmargen zu erhöhen und dadurch die Inflationsrate zu befeuern. Ob die Margen überhaupt großflächig nach oben gegangen sind, darf bezweifelt werden, wie erste detaillierte Analysen aus Italien und Belgien nahelegen.

Die Gier als Erklärung für die Teuerung überzeugt also keineswegs. Sie macht die simple Forderung nach weitreichenden Preiseingriffen auch nicht richtiger. (Jan Kluge, 6.7.2023)

Jan Kluge ist Ökonom beim arbeitgebernahen Thinktank Agenda Austria.

Profitzurückhaltung ist der Ausweg

Von Oliver Picek

Einkaufen ist teuer geworden. Wie sehr? Unternehmen setzten die Preise in Österreich vergangenes Jahr so stark hinauf, dass die Kaufkraft der Löhne um über vier Prozent sank – der stärkste Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen vor sechzig Jahren. Für Menschen mit wenig Verdienst sieht es noch schlimmer aus: Ihr Gehalt wurde hochgerechnet um zehn Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen, der reale Einkommensgewinn eines Jahrzehnts ausgelöscht. Heuer bleiben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf diesem Kaufkraftverlust sitzen: Die Gehaltserhöhungen am Jahresanfang gleichen nur die noch zusätzliche Teuerung 2023 aus, nicht die von 2022. Ohne eine kräftige Lohnrunde im Herbst bleiben die Arbeitnehmer also permanent ärmer.

Einigermaßen bizarr muten daher die konkreten Forderungen nach "Lohnzurückhaltung" an, die das IHS, das Wifo und die Nationalbank in Tandem mit dem Finanzminister erhoben haben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen auf einen Teil der Lohnerhöhungen verzichten, keinen vollen Ausgleich für die Inflation erhalten. Das käme den Durchschnittsverdienenden bzw. die Durchschnittsverdienende teuer zu stehen. Er oder sie würde in einem Vollzeitjob innerhalb von drei Jahren um 2300 bis 3.800 Euro umfallen. Langfristig werden zehntausende Euro daraus. Der momentane Kaufkraftverlust würde als dauerhafte Lohnkürzung einzementiert.

Der plötzliche Aktivismus bei den Lohnverhandlungen überrascht. Das ganze vergangene Jahr gaben die gleichen wirtschaftsliberalen Ökonominnen und Ökonomen den Unternehmen und der Bundesregierung einen Freifahrtschein für Preiserhöhungen. Keinesfalls dürfe in den Markt eingegriffen werden, die Preise müsse man laufen lassen. Das Ergebnis davon ist eine Teuerung, die wesentlich von den Profiten der Unternehmen getrieben ist. Große Teile der heimischen Unternehmen haben teurere Importe als Ausrede dafür genommen, eine Preiserhöhung nach der anderen hinauszufeuern. Und die Preise deutlich stärker erhöht, als ihre Kosten es rechtfertigen. Die hohen Gewinne mancher heimischen Branchen – etwa Energie, Banken, Bau – führen dazu, dass andere Branchen ihre Preise aufgrund gestiegener Kosten erhöhen. Die Profit-Preis-Spirale dreht sich munter weiter.

Mit großer Verspätung

Können Löhne überhaupt die Inflation erhöhen? Allein die Frage zäumt das Pferd von hinten auf. Die Löhne schleppen sich den Preisen mit großer Verspätung hinterher. Von einer Preiserhöhung bis zum höheren Lohn des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin vergehen bis zu eineinhalb Jahre. Grundsätzlich gilt: Fast jeder Lohnerhöhung liegt eine vorherige Preiserhöhung zugrunde. Das zeigt auch den Ausweg aus der Teuerung auf.

Wenn Unternehmen ab sofort auf Preiserhöhungen verzichten, manche gar ihre Preise deutlich senken, dann folgen niedrigere Lohnabschlüsse auf dem Fuß – ganz automatisch. Diese Lösung skizzierte kürzlich auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Unternehmen insgesamt haben ihre Gewinne eingefahren und Puffer aufgebaut. Um die Teuerung zu senken, müssen sie sich bei den Gewinnen zurückhalten und die diesjährige Lohnrunde schlucken. Und nicht erneut mit Preiserhöhungen die Teuerung befeuern. (Oliver Picek, 6.7.2023)

Oliver Picek ist Chefökonom beim gewerkschaftsnahen Momentum-Institut.