Wenn Karl Nehammer und Armin Wolf einander nicht mehr routinemäßig im "ZiB 2"-Studio treffen, um Koalitionen mit Herbert Kickl auszuschließen oder die Surrealität des Normaldenkens durchzusprechen: Sie könnten auch eine gemeinsame Late-Night-Show erwägen, so eingespielt, wie sie längst sind. Das Lachen kann Nehammer gleich mitliefern, wie er Mittwochabend in der "ZiB 2" vorführte. 

Nehammer Wolf
"Duellieren müssen Sie sich bitte mit Herrn Kickl und Herrn Babler, das möchte ich dann doch nicht." Armin Wolf (rechts) und Kanzler Karl Nehammer.
ZiB 2 ORF Screenshot

1. "Hehehehe"

"Hehehehe" entfährt es dem Kanzler und ÖVP-Chef, als der "ZiB 2"-Anchor ein "Duell" mit ihm dankend ablehnt. Nehammer hat Wolf da gerade zu den Umfragen und seiner Koalitionsverweigerung an FPÖ-Herbert Kickl vorgeschlagen: "Lassen Sie uns sozusagen das Experiment wagen, nächstes Jahr zur gleichen Zeit wieder ein Duell sozusagen im Fernsehen zu führen in der Frage des Interviews. Dann können wir darüber befinden, wer jetzt wie in der Frage der Umfragen, der Kanzlerfrage liegt."

"Duellieren müssen Sie sich bitte mit Herrn Kickl und Herrn Babler, das möchte ich dann doch nicht", pariert Wolf.

Nehammer: "Ach so, ich dachte, Sie machen das gerne, auch wenn Sie charmant lächeln, ich habe gedacht, da muss man sich in Acht nehmen."

Wolf: "Ich stelle Ihnen einfach höflich Fragen."

Nehammer: "Hehehehe." (An der Natürlichkeit dieses Lachens kann man noch arbeiten.) 

Nehammer Wolf
Duell gefällig? Nehammer und Wolf.
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2. Was ist Ihr Wort wert?

Gleich bei der ersten Frage Mittwochabend im "ZiB 2"-Studio überraschte Nehammer mit einer Klarheit, die Wolf noch einmal nachfragen ließ, weil das Publikum die unerwartet knappe Antwort womöglich überhört hat: Der ÖVP-Chef schließt jede Koalition mit der FPÖ aus, solange Herbert Kickl Parteichef dort ist. Die Argumentationslinie mit dem Sicherheitsrisiko Kickl in Sachen Sky Shield dürfte seit Dienstagabend hinlänglich bekannt sein, Mittwoch wurde sie noch einmal ausführlich besprochen

Video: Karl Nehammer hat eine Koalition unter Beteiligung von FPÖ-Chef Herbert Kickl bereits beim Kanzlergespräch am Dienstag ausgeschlossen.
APA/kha

Aber hat Nehammer nicht mit allen ÖVP-Regierungsmitgliedern vor einenhalb Jahren eine öffentliche Erklärung unterschrieben, wonach es keine ÖVP-Beteiligung in der Bundesregierung ohne Sebastian Kurz geben werde? "Was ist Ihr Wort wert?", fragt Wolf.

Da war ein großer Druck innerhalb der Koalition, sagt Nehammer, man habe sich klar hinter Kurz gestellt, aber auf dessen Wunsch habe man "Regierungsverantwortung weitergeführt". Und: Das Land war in einer schweren Krise, Stichwort Corona, zwischen Delta- und Omikron-Variante, sagt Nehammer: "Meine Aufgabe war, in schweren Zeiten Verantwortung zu übernehmen. Das habe ich getan. Auf dieses Wort von mir können Sie sich verlassen, ich bin in schweren Zeiten da, um den Menschen zu dienen."

"Genauso gut können Sie in einem Jahr erklären, warum sie Herbert Kickl doch zum Bundeskanzler machen müssen", wendet Wolf ein.

Lag da tatsächlich eine besondere Betonung auf den ersten drei Worten mit einer kleinen, kaum merklichen Pause? Als Nehammer sagt: "Sie können mich an meinen Taten messen, Herr Wolf, und Sie werden sehen, dass ich zu dem stehe, was ich sage."

3. Bisserl billig

Kann Nehammer dem Publikum eigentlich den Unterschied erklären zwischen Politik für die "Normalen", wie sie die FPÖ verspricht, und Politik für die "normal Denkenden", wie sie die ÖVP neuerdings propagiere?

"Ich finde schon einmal nicht normal, dass wir über das Wort Normalität in einer der wichtigsten Nachrichtensendungen des Landes diskutieren, wo wir von großen Problemen bedrückt werden."

"Das ist ein bisschen billig", findet Armin Wolf da schon wieder. "Das haben Sie mir schon das letzte Mal vorgeworfen, bisserl billig ist Ihr Lieblingswort", erinnert sich Nehammer an die "ZiB 2" am 11. Mai

"Billig, weil 'normal denkend' hat ja Ihre Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner erfunden. Die hat kürzlich einen Gastkommentar im STANDARD geschrieben, da kommt das Wort sechsmal vor."

4. Surreal normal

Das führt Armin Wolf zur Frage: "Was ist normal denkend? Und ist jemand, der die ÖVP-Meinung nicht vertritt, gleich abnormal denkend?"

Nehammer sagt: "Aus meiner Sicht ist das eine völlig surreale und auch viel zu aufgeregt geführte Diskussion." Es gehe um Politik für die vielen, und dabei die wenigen nicht zu vergessen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Es brauche in Demokratien Mehrheiten für demokratische Beschlüsse, die auch die anderen akzeptieren müssten. Er wolle "die Politik der vielen machen". 

Kanzler Karl Nehammer in der
"Surreale Diskussion" über Normalität: Kanzler Karl Nehammer in der "ZiB 2".
ZiB 2 ORF Screenshot

5. Wer nicht normal denkend ist

Was nun nicht die Frage nach der Normalität des Denkens und dessen Abnormalität beantwortet, findet Wolf. Und als Nehammer zu Wolfs Blutbefund und "Normalwerten" "ausreden möchte", wirft er ein: "Ich weiß, Sie sind Rhetoriktrainer." "Ich bin Bundeskanzler der Republik Österreich", stellt der ausgebildete Rhetoriktrainer klar.

Und: "Ich kann Ihnen sagen, wer nicht normal denkend ist. Das sind die Extreme, das sind die Linksextremisten, die Rechtsextremisten, die unsere Demokratie gefährden." Da ist es für Nehammer nochmal surreal, dass er und Wolf gerade den Begriff Normalität "zerreden", "eine Scheindiskussion führen". Deren Ausgangspunkt, siehe oben: St. Pölten.

6. Die Normalität des Schnitzels

Befeuern Formulierungen wie jene von den "normal Denkenden" nicht die Spaltung der Gesellschaft in wir und die anderen? Nehammer widerspricht mit Verweis auf demokratische Mehrheiten. – "Schlecht ist, wenn die Ausnahme die Regel wird." Und damit sie da nicht weiter herum-"theoretisieren", holt er zwei seiner geläufigen Beispiele hervor.

"Es ist total okay, wenn man sich entscheidet, vegan zu leben", sagt Nehammer. Aber: "Kein Mensch muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn er ein Schnitzel isst." (Das könnten nicht nur die betroffenen Tiere hinterfragen.) Der Kanzler findet auch total okay, "mit dem Rad in die Arbeit zu fahren". Aber niemand müsse ein schlechtes Gewissen haben, das Auto zu nehmen, "wenn er auf das Auto angewiesen ist". 

So definiert Nehammer hier "Zusammenhalt". Und vielleicht klingt es nur gerade unmittelbar nach dem Autobeispiel so eigenartig doppelsinnig, wenn er "Menschen zusammenführen und nicht auseinandertreiben" möchte. 

Das Nachsehen

Vielleicht müssen sie für eine solide Late Night doch noch ein bisschen üben. Das Gespräch in der herkömmlichen "ZiB 2" dauerte mit knapp 23 Minuten, so Wolf, "länger als normal". Es ist hier nachzusehen: 

Surreal normal denkend: Kanzler Karl Nehammer bei Armin Wolf.
ORF

(Harald Fidler, 13.7.2023)