Impaktforscher Ludovic Ferrière vom Naturhistorischen Museum Wien
Ludovic Ferrière in seinem Büro.
Foto: Chiara Cordeschi

Der Vollmond am Nachthimmel erzählt eine bewegte Geschichte. Wie mit Pockennarben ist seine Oberfläche von Kratern überzogen. Sie zeugen von einer Vergangenheit voller katastrophaler Impakte. Der Mond hat jedoch nur einen Teil der kosmischen Geschoße abgefangen. Auch die Erde ist seit ihrem Entstehen einem beständigen Bombardement ausgesetzt. Doch nur in den seltensten Fällen sind die Spuren dieser Treffer auf der Erdoberfläche sichtbar. Der bekannteste Vertreter der Impaktkrater auf der Erde ist der Meteor Crater in Arizona. Aber auch näher sind die Spuren vergangener Treffer deutlich sichtbar, wie zum Beispiel am Nördlinger Ries und dem Steinheimer Becken in Süddeutschland.

Ludovic Ferrière im Jahr 2012 in der neuaufgestellten Meteoritensammlung des NHM
Ludovic Ferrière im Jahr 2012 in der neu aufgestellten Meteoritensammlung des NHM.
NHM Wien / Kurt Kracher

Der überwiegende Teil der Krater ist durch Millionen Jahre dauernde Tektonik, Erosion und Sedimentation von der Erdoberfläche verschwunden. Das bedeutet aber nicht, dass die Impakte nicht mehr nachzuweisen sind. Anhand bestimmter Indikatoren können viele auch heute noch entdeckt werden. Ein Forscher, der sich auf das Aufspüren von Impaktkratern spezialisiert hat, ist Ludovic Ferrière. Der Franzose sorgt als Kurator der Meteoritensammlung am Naturhistorischen Museum in Wien regelmäßig für spektakuläre Sammlungszuwächse, außerdem ist er Seniorwissenschafter an der Universität Wien.

Ludovic Ferrière Hraschina
Hraschina ist das Kernstück der Meteoritensammlung des NHM.
Foto: NHM Wien / Alice Schumacher

Nun hat Ferrière eine besondere Auszeichnung erhalten: Die Internationale Astronomische Union (IAU) hat einen Asteroiden nach ihm benannt. Der Asteroid, der unter der Entdeckungsnummer 2007 GT1 katalogisiert ist, heißt fortan (227928) Ludoferrière. Das wurde Mitte August im Bulletin der IAU-Arbeitsgruppe "Small Bodies Nomenclature" bekanntgegeben. Nicht allzu viele mit Österreich verbundene Forscher konnten sich bisher über eine solche Ehrung freuen. Der 40-jährige Geologe reiht sich damit in eine illustre Liste ein. Unter anderem fungieren der Impaktforscher Christian Köberl, der Meteoritenforscher Gero Kurat, Physiknobelpreisträger Victor Franz Hess, der Sternwartengründer Moriz von Kuffner, die Astronomen Johann Palisa, Johannes von Gmunden und Johann Hagen und erst seit dem vergangenen Jänner der Astrophysiker Arnold Hanslmeier als Paten für einen eigenen Asteroiden.

Ludovic Ferrière
Ludovic Ferrière mit dem von ihm gefundenen Fragment von St-Pierre-le-Viger.
Foto: Brigitte Zanda

Zwischen Mars und Jupiter unterwegs

Ludoferrière ist ein Steinasteroid im Hauptgürtel. Für seinen Weg um die Sonne benötigt er knapp mehr als fünfeinhalb Jahre. Er weist eine relativ geringe Albedo (quasi die Leuchtkraft) auf, doch mit fast fünf Kilometern Durchmesser ist er größer als 99 Prozent der Objekte im Asteroidengürtel. Die größten Asteroiden Pallas, Vesta und Hygieia übertreffen ihn punkto Durchmesser dennoch rund um das Hundertfache. Ceres, als Kleinplanet die unangefochtene Chefin im Hauptgürtel, ist gar fast zweihundertmal so groß.

Ein Objekt von der Größe Ludoferrières würde bei einem Impakt auf der Erde einen Krater von rund hundert Kilometern Durchmesser schlagen – in etwa doppelt so groß wie der Siljan-Ring, der größte bekannte Krater in Europa. Ferrières Arbeitsschwerpunkte – Impaktkrater und Meteorite – wird Ludoferrière aber nicht kombinieren, jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft. Denn der Asteroid bewegt sich auf einer stabilen Bahn zwischen Mars und Jupiter und kommt der Erde nicht näher als etwas mehr als eineinhalb Astronomische Einheiten. Der Kurator wird also kein Stück seines Asteroiden in die Museumskollektion aufnehmen können.

Ludovic Ferrière
In Aserbaidschan durfte Ludovic Ferrière ein Stück des Yardymly-Eisenmeteoriten absägen.
Foto: Ludovic Ferrière

Entdeckt wurde Ludoferrière im Jahr 2007 vom Schweizer Amateurastronomen Michel Ory. Auf Orys Konto geht die Entdeckung von mittlerweile mehr als 250 Asteroiden nebst einem nach ihm benannten Kometen und zweier Supernovae, er gehört damit zu den erfolgreichsten privaten Asteroidenjägern.

Auf der Suche nach dem Kindberg-Meteoriten
Auf der Suche nach dem Kindberg-Meteoriten.
Foto: Jean-Guillaume Feignon

Interdisziplinäre Ansätze

Die Benennung des Asteroiden sei eine großartige Anerkennung, sagt Ferrière. Schließlich liege sein Arbeitsschwerpunkt ja nicht im Bereich der Astronomie. Doch wie auch in vielen anderen Bereichen der Wissenschaft haben sich hier die interdisziplinären Ansätze in den jüngsten Jahrzehnten durchgesetzt. Beispielhaft dafür ist der Asteroid 2023 CX1: Es ist erst der siebente Asteroid, dessen Bahn vor dem Eindringen in die Erdatmosphäre berechnet werden konnte. Aufgrund dieser Daten konnte der Bolide im vergangenen Februar beobachtet werden und das Streufeld möglicher Meteoritenteile eingegrenzt werden. Tatsächlich wurden in der Folge mehrere Fragmente mit einer Gesamtmasse von mehr als einem Kilogramm geborgen. Ferrière reiste extra an und konnte ebenfalls ein Stück des Meteoriten finden, der den Namen Saint-Pierre-le-Viger erhielt.

Bei der Untersuchung eines Aufschlusses mit Strahlenkegeln des Luizi-Kraters.
Bei der Untersuchung eines Aufschlusses mit Strahlenkegeln des Luizi-Kraters.
Foto: Ludovic Ferrière

Auch in Österreich machte sich sein Einsatz bezahlt: Nach einem Meteoritenfall in der Steiermark im Jahr 2020 sensibilisierte er während seiner Suchkampagnen die Bevölkerung vor Ort, die Augen offen zu halten. Das führte dazu, dass acht Monate später tatsächlich ein Stück des Meteoriten geborgen werden konnte. Es ist Ferrières Verdienst, dass beide Meteorite klassifiziert wurden und nun in der Sammlung des NHM zu sehen sind.

Ludovic Ferrière
Zu Besuch bei Hoba in Namibia. Der größte Meteorit der Welt wiegt rund sechzig Tonnen.
Foto: Ludovic Ferrière

Bei beiden Fällen handelt es sich um sogenannte Gewöhnliche Chondrite – die häufigste Klasse unter den Meteoriten. Doch Ferrière bezeichnet sie gerne als "außergewöhnliche Chondrite", schließlich erzählen die Steine eine Geschichte aus der Zeit der Entstehung des Sonnensystems. Sie bestehen aus den ursprünglichsten Bestandteilen unseres Heimatsystems.

Bei der Untersuchung des Marsmeteoriten Tissint
Bei der Untersuchung des Marsmeteoriten Tissint.
Foto: NHM Wien / Kurt Kracher

Krater nachgewiesen

Sein Studium führte Ferrière von Universitäten in Tours, Quebec, Nantes und Paris nach Wien, wo er 2009 über Schockquarze dissertierte. Seit 2011 ist er am NHM tätig. Doch sein Verständnis wissenschaftlicher Tätigkeit erschöpft sich nicht nur in der Lehre und Sammlungsverwaltung im sprichwörtlichen Elfenbeinturm – Ferrière zieht es immer wieder hinaus, um Feldforschung vor Ort zu betreiben. Schon während seiner Zeit in Kanada besuchte er mehrere Impaktkrater, um ihre Struktur zu studieren. Später erbrachte er den Nachweis, dass es sich beim Luizi-Becken in der Demokratischen Republik Kongo um einen Impaktkrater mit 17 Kilometern Durchmesser handelt. An der wissenschaftlichen Bestätigung von vier weiteren Impakten in Finnland, Schweden, Australien und Brasilien war er ebenfalls beteiligt.

Im Luizi-Krater in der Demokratischen Republik Kongo
Im Luizi-Krater in der Demokratischen Republik Kongo.
Foto: Ludovic Ferrière

Vier Tage im Gefängnis

Seine Expeditionen führen nicht immer zum Erfolg. Im Februar 2020 begab sich Ferrière mit einem Doktoranden auf der Suche nach einem möglichen Krater nach Gabun. Die verdächtige Struktur sollte sich einige Kilometer vor der Grenze zur Republik Kongo befinden. Nach einer abenteuerlichen Reise am Zielort angekommen, mussten die beiden feststellen, dass sie sich offenbar im Nachbarland befanden – die tatsächlichen Grenzverhältnisse stimmen nicht mit den international anerkannten Grenzverläufen überein. Für die Republik Kongo hatten die Forscher jedoch kein Visum. Dies führte dazu, dass sie verhaftet und in die Hauptstadt Brazzaville transferiert wurden. Erst nach vier Tagen im Gefängnis kamen sie wieder frei – Ferrière hatte einen Hilferuf an die Frau des ehemaligen französischen Botschafters in Wien absetzen können und so diplomatischen Beistand erhalten.

Ludovic Ferrière
Ludovic Ferrière im Dorf Yabambeti innerhalb des möglichen Bateke-Kraters in Gabun oder der Republik Kongo kurz vor seiner Verhaftung.
Foto: Jean-Guillaume Feignon

Erfolgreicher Netzwerker

Dass der Kurator nicht nur wissenschaftlich, sondern auch auf dem diplomatischen Parkett bestens vernetzt ist, hat der Museumssammlung auch schon so manchen Zuwachs beschert. In Aserbaidschan durfte sich Ferrière ein Stück des Yardymly-Metoriten abschneiden, aus der Schweiz kam ein Stück des Twannberg-Meteoriten, aus Kuba ein Exemplar von Viñales. Angesichts eines minimalen Ankaufsbudgets wären diese Neuerwerbungen sonst kaum möglich.

Regelmäßig können neue Stücke der Sammlung im Meteoritensaal hinzugefügt werden.
Regelmäßig können neue Stücke der Sammlung im Meteoritensaal hinzugefügt werden.
Foto: NHM Wien / Kurt Kracher

Das Interesse für das Weltall hingegen sei etwas, das jeder Mensch entwickeln könne, unabhängig davon, wo er geboren ist und ob er reich oder arm ist, sagt Ferrière. Dass die Menschen heute oft mit einer Distanz zur Natur aufwachsen, sei nicht gut, denn jeder könne mit einem Blick auf die Sterne Inspiration schöpfen: "Man muss nur nach oben schauen." (Michael Vosatka, 29.8.2023)

Unterwegs auf Kratersuche in der Demokratischen Republik Kongo
Unterwegs auf Kratersuche in der Demokratischen Republik Kongo.
Foto: Ludovic Ferrière