Eine Trennung in "Gemäßigte" und "Ideologen" war immer schon ein Trugschluss, schreibt die Zeithistorikerin Margit Reiter in ihrem Gastkommentar.

Viel Richtiges ist bereits gesagt und geschrieben worden über das Video der FP-Jugend, das mit NS-Referenzen, Feindbildern, Verschwörungsszenarien und einer verkitschten Heimattümelei rechtsextreme Signale aussendet. Es zeigt jedenfalls deutlich die enge personelle und ideologische Verflechtung der FPÖ mit den Identitären. Ist diese so offensichtlich gewordene Affinität zum Rechtsextremismus in der FPÖ tatsächlich neu, und wenn ja, was genau ist das Neue daran?

Ein Blick auf die Geschichte der FPÖ kann diesbezüglich vielleicht Klarheit bringen. Die FPÖ und ihre Vorläuferpartei, der VdU, standen von Beginn an unter kritischer Beobachtung, dienten sie doch als das parteipolitische Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten. Vor allem die FPÖ, die 1956 gegründet wurde, bestand aus schwer belasteten Nationalsozialisten, die auch nach 1945 ihrer Gesinnung mehr oder weniger treu bleiben und sich nur bedingt anpassen wollten. Diese "Ehemaligen" praktizierten einen "doublespeak", das heißt: Während sie unter Gleichgesinnten durchaus offen ihre Gesinnung zum Ausdruck brachten, hielten sie sich nach außen hin stärker zurück. Sie verwendeten Codes und Anspielungen, die von den Adressaten durchaus verstanden wurden. Man wusste sehr genau, was man wo und wie sagen durfte – und was nicht. Diese Doppelzüngigkeit praktizierte auch der in diesem Milieu sozialisierte Parteichef Jörg Haider noch weit bis in die 1980er-Jahre hinein. Doch diese rhetorischen Manöver wurden immer wieder durch "Einzelfälle" konterkariert.

Personelle Überschneidungen

Die FPÖ war/ist mit deutschnationalen Burschenschaften, Veteranenvereinen und diversen extrem rechten Akteuren – mal mehr, mal weniger – vernetzt. Norbert Burger, dessen Karriere in der FPÖ (RFJ) begann und der später die rechtsextreme NDP gründete, steht exemplarisch für die personellen Überschneidungen zum außerparlamentarischen Rechtsextremismus. Nicht zuletzt deshalb stand die FPÖ, immerhin eine Parlamentspartei, zeit ihres Bestehens auch im Fokus der Rechtsextremismusforschung.

Es gibt die Tendenz, eine Trennung zwischen scheinbar "gemäßigten" und "radikalen" Kräften in der Partei vorzunehmen und diese bei Bedarf politisch zu instrumentalisieren. Das ist heute falsch und war auch schon in der Geschichte falsch: Schon die Austrofaschisten unterschieden zwischen "gemäßigten" Nazis, mit denen sie fallweise kooperierten, und "radikalen", umstürzlerischen Nazis, die sie verfolgten. Unterschieden haben sich diese beiden Kräfte tatsächlich in ihrer Strategie, in dem von ihnen präferierten Weg, das Ziel blieb aber dasselbe: der "Anschluss" Österreichs an NS-Deutschland.

Künstliche Trennung

Auch im Fall der FPÖ ist die später vorgenommene Trennung zwischen einem "nationalen" und einem "liberalen" Flügel ein Trugschluss. Schon damals musste die Partei als ein Ganzes gesehen werden, das die gesamte Breite des rechten Spektrums abdeckte und in dem angeblich "Gemäßigte" und harte Ideologen gleichzeitig Platz hatten.

Eine derartige künstliche Trennung wird auch heute wieder praktiziert. Einerseits wird Herbert Kickl dämonisiert, und man grenzt sich demonstrativ von ihm ab ("keine Koalition mit einer Kickl-FPÖ"), andererseits werden positive Gegenfiguren wie Marlene Svazek (Salzburg) oder Manfred Haimbuchner (Oberösterreich) aufgebaut, die als koalitionsfähig gelten. Im Auftreten mögen diese "guten" Freiheitlichen tatsächlich unterschiedlich sein, manchmal auch in Detailfragen andere Meinungen vertreten, vielleicht sind sie aber auch nur taktisch klüger? Was das große Ganze betrifft, da treffen sie sich. Wie oft soll etwa Svazek noch kundtun, dass sie eine "andere Sprache" verwende, inhaltlich aber mit Kickl völlig übereinstimme?

Kickl (links), Svazek (rechts), beide lachend 
FPÖ-Chef Herbert Kickl mit Marlene Svazek, der Salzburger Landeschefin und Landeshauptmann-Stellvertreterin.
Foto: Imago / Daniel Scharinger

Die Distanzierung von der vielzitierten "Tonalität", ohne klare Abgrenzung von den gleichzeitig transportierten rechten Inhalten und Forderungen, ist ein durchsichtiges Scheinmanöver. Dass man die rechten Inhalte nicht nur nicht zurückweist, sondern Stück für Stück übernimmt, hat fatale Folgen: Der politische Diskurs verschiebt sich immer weiter nach rechts, bisher Undenkbares und Ungesagtes wird sukzessive akzeptiert und zur neuen "Normalität" erklärt.

Fatale Kombination

Noch einmal zurück zum FP-Video. Es war vermutlich als Provokation, als Versuchsballon, aber auch als Demonstration gedacht, wie weit man mittlerweile gehen kann. Adressaten sind zum einen rechtsextreme Kreise, die die darin gezeigten Referenzen wohl als Einzige tatsächlich dechiffrieren können. Denn wer außer Rechtsextreme kennt zum Beispiel rechte Ideologen wie Armin Mohler oder Alain de Benoist? Adressiert werden aber auch – und das ist weit bedenklicher – potenzielle freiheitliche Sympathisanten, die sich wohl eher von der darin gezeigten, vermeintlich harmlosen "Heimatliebe" angesprochen fühlen, die sich wenig von den lokalpatriotischen Selbstinszenierungen anderer Trachtenjanker tragender Jungpolitiker unterscheidet. Gleichzeitig bekommt das Publikum eindeutig rechtsextreme Narrative und Feindbilder frei Haus mitgeliefert, was offenbar kein Abschreckungsgrund ist.

Es ist diese fatale Kombination, die neu ist. Und neu ist auch, dass die FPÖ-Führung sich nicht mehr von solchen Machwerken distanziert, wie es früher zumindest halbherzig der Fall war. Nein, mittlerweile steht die FPÖ voll und ganz hinter den rechtsextremen Identitären, die in der FPÖ offenbar Fuß gefasst haben und die als "rechte NGO" umgedeutet und somit legitimiert werden. Das Signal lautet: Der "doublespeak" hat ausgedient. Man muss sich nicht mehr hinter Anspielungen und Codes verstecken: Ab jetzt wird rechtsextremer Klartext gesprochen. (Margit Reiter, 2.9.2023)