800 Arbeitsplätze weniger und keine wirtschaftliche Aufwertung der Region Bruck an der Leitha: Dass das angekündigte Boehringer-Ingelheim-Werk nun doch nicht gebaut wird, ist ein Symbolbild für den Zustand des Standorts Österreich und ein Thema, das die Politik wirklich beschäftigen sollte. Ein "äußerst schmerzhafter Warnschuss" sei diese Konzernentscheidung für die Standortpolitik. Das sagte übrigens Jochen Danninger, ÖVP-Politiker in Niederösterreich.

Wirtschaft Standort Arbeitsplätze
Kein Punkt auf der Konzernlandkarte: Boehringer Ingelheim verzichtet auf den geplanten Standort Bruck an der Leitha.
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Nun ist es positiv anzumerken, dass auch in der Regierungspartei ÖVP sickert, dass man die Standortpolitik in den vergangenen Jahren aus dem Blick verloren hat. Inmitten der jüngsten Debatten um "Bargeld in die Verfassung" oder die "Normalität" hat man den Eindruck gewinnen müssen, dass dieses Ablenkungsmanöver sogar die Wirtschaftspolitikerinnen und -politiker abgelenkt hat, die eigentlich gerade Besseres zu tun hätten. Denn Danningers Erkenntnis kommt reichlich spät. In internationalen Wettbewerbsindizes schneidet Österreich seit geraumer Zeit von Jahr zu Jahr schlechter ab und droht ins Mittelmaß abzurutschen. Nicht unbedingt immer, weil Österreich sich aktiv verschlechtert hätte, sondern weil sich andere Länder wesentlich stärker und schneller verbessert haben. Die "Normalität" in anderen Ländern heißt nämlich Reformen.

Anschluss verloren

Eine Standortstudie des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica für das Neos Lab hat einige Bereiche identifiziert, in denen Österreich besonders großes Verbesserungspotenzial aufweist, und zwar nicht erst seit gestern: Etwa ist die Steuer- und Abgabenquote sehr hoch, besonders auf den Faktor Arbeit. Staatsausgaben und Subventionen fallen dafür vergleichsweise ebenfalls hoch und ineffizient aus. Gerade hier hat Österreich den Anschluss an die besonders wettbewerbsfähigen Länder verloren. Das sieht man etwa auch an der Schuldenquote, die in Österreich trotz Jahren der Niedrig- und Nullzinsen auf rund 80 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen sind, während Schweden oder Dänemark weniger als halb so hohe Schuldenquoten aufweisen.

Mittlerweile lässt sich Österreich auch an den Kapitalmärkten nicht mehr mit den sogenannten AAA-Ländern vergleichen. Die Länder mit der besten Bonität genießen höheres Ansehen und zahlen dafür niedrigere Zinsen. Für den Wirtschaftsstandort ist das insofern wichtig, weil natürlich die Frage ist, wie nachhaltig die Budgets sind, auch die Aussicht auf Steuerentlastungen oder Forschungsförderungen beeinflusst.

"Es mangelt vor allem an Finanzierung für 'Gazellen', also junge, schnell wachsende Unternehmen."

Eine Unternehmensgründung ist in Österreich wesentlich komplizierter als in anderen Ländern, dauert lang und ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Was Österreich an Bürokratie zu viel hat, fehlt an anderer Stelle: So mangelt es bis heute an Kapitalmärkten für junge und schnell wachsende Unternehmen, die in der Wachstumsphase nicht einfach nur "Geld" brauchen, sondern "Kapital" – also Investorinnen und Investoren, die auch einmal mit Verlusten konfrontiert sein können. Damit mangelt es vor allem an Finanzierung für "Gazellen", also junge, schnell wachsende Unternehmen, die im Verbund mit Universitäten und Forschungszentren besonders viele neue Jobs schaffen, um aus unserer Wissensgesellschaft auch Kapital zu schlagen. Dass Österreich viel zu wenig unternimmt, um eine Gründernation zu werden, liegt auch daran, dass die Gewerbeordnung immer noch einen wesentlich höheren Stellenwert hat als die Gewerbefreiheit.

Wenig flexibel

Was den Arbeitsmarkt betrifft, so gibt es klare Stärken und Schwächen. Positiv ist es ohne Zweifel, dass die Menschen hierzulande gut ausgebildet und sehr produktiv sind. Doch der Arbeitsmarkt selbst ist wenig flexibel, es gibt große Schieflagen, zwischen Ost und West oder gut und weniger gut ausgebildeten Arbeitskräften. Eine Arbeitsmarktreform ist leider zwischen ÖVP und Grünen gescheitert. Zudem dämmerte es erst sehr langsam, dass internationale Fachkräfte unser Land nicht besonders attraktiv finden – im Index für "Attraktivität bei Fachkräften" rangiert Österreich laut OECD im unteren Drittel. Was das für Folgen hat, davon können alle Unternehmen ein Lied singen, die gerade händeringend versuchen, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Laut europäischen Statistiken ist kein Land gerade mit einem so großen Arbeitskräftemangel konfrontiert wie Österreich.

Ein Weckruf

Die abgesagte Expansion von Boehringer Ingelheim mit einem weiteren Werk sollten wir als Weckruf verstehen. Auch andere Unternehmen könnten sich dafür entscheiden, nicht in Österreich zu investieren. Das wiederum würde zu Arbeitsplatzverlusten und einer schwächeren Wirtschaft führen, was die Steuerbasis schmälern und die Finanzierung des Sozialstaats gefährden würde.

Umgekehrt liegt in der jetzigen Phase allerdings auch für Österreich eine große Chance. Sowohl politisch als auch ökonomisch ist viel in Bewegung. Europa will sich selbstbewusster positionieren, und plötzlich werden auch wieder riesige Investitionen, etwa in Chipfabriken, auf dem vermeintlich alten Kontinent getätigt. Neue technische Verfahren machen es möglich, dass wieder mehr Produktion kommt. Ein Blick über den Tellerrand zeigt jedenfalls: Die gute Nachricht ist, dass sich Reformen auszahlen. Die schlechte Nachricht ist: In Österreich fehlen diese Reformen. (Lukas Sustala, 16.9.2023)