Metallarbeiter und Industrieangestellt demonstrieren in ganz Österreich für kräftige Lohnerhöhungen.
Kampfbereit: Die Produktionsgewerkschaft mit ihrem Vorsitzenden Reinhold Binder versucht den Druck für den Metaller-KV mit Betriebsversammlungen zu erhöhen. Nächste Stufe sind Warnstreiks.
APA / Georg Hochmuth

Nach den ersten Betriebsversammlungen, die in der Metallindustrie am Montag stattfanden, ist klar: Die von den Arbeitgebern scharf kritisierte Tonalität hat sich nicht verbessert. Vor allem in der öffentlichen Betriebsversammlung der Belegschaften der Aufzughersteller Schindler, Otis, Kone und TK Elevator, die in einem Aufwaschen in der ÖGB-Zentrale abgehalten wurde, hielten Arbeitnehmer und Betriebsräte mit ihrem Frust nicht hinterm Berg: Das Angebot der Industrie von 2,5 Prozent plus 1050 Euro Einmalzahlung sei schlicht eine "Schweinerei".

Video: Metaller-KV - Betriebsversammlungen nach gescheiterter 3. Rund
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Wie die Stimmung bei den nicht öffentlichen Versammlungen bei Tyrolit, Berndorf, Internorm, Palfinger und Voestalpine Automotive war, ist nicht überliefert. Allen gemeinsam ist, dass jede einzelne Belegschaft Beschlüsse für gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen fasst, die in Warnstreiks, temporären Arbeitsniederlegungen und gegebenenfalls flächendeckenden Streiks in den Betrieben der Maschinen- und Metallwarenindustrie münden könnten, falls es bei den Verhandlungen am 2. November wieder keine Bewegung gibt. Bei Bedarf werden diese auf alle Branchenverbände der heimischen Metallindustrie ausgeweitet.

"Eine Show"

"Es gab keine Bewegung, keinen Millimeter", kritisierte der Chef der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge, Reinhold Binder, die am Freitag ohne Ergebnis abgebrochene dritte Verhandlungsrunde. "Ich bin bereit, über alles zu diskutieren. Aber das bisher Gebotene ist eine einzige Show", sagte Binder zum STANDARD. "Das bringt uns nicht weiter. Diskussionen auf diesem Niveau führen zu nichts."

Nicht besser sieht die Einschätzung auf Arbeitgeberseite aus. Man habe vergangene Woche auf ein Gegenangebot der Gewerkschaft gewartet, aber es sei keines gekommen. Auch der Ton, in dem in der Öffentlichkeit über die Verhandlungen gesprochen werde, sei verbesserungsfähig.

Dickhäuter gesucht

"Dünnhäutig" seien die Verhandlungspartner offensichtlich geworden, sagt ein langjähriger Beobachter. Rau, bisweilen rüpelhaft sei der Ton zwischen den Sozialpartnern im Laufe der Geschichte immer wieder gewesen. Aber dann hätten sie sich doch zusammengerauft.

Im Sinne eines Kompromisses, für den beide Seiten Opfer bringen, wäre Bewegung notwendig. Wobei sich dies aus Sicht der Arbeitnehmerseite deutlich schwieriger darstellt, denn sie kann ihre Forderungen – rein verhandlungstechnisch – de facto nur im Diskussionsprozess herunterschrauben, quasi im gegenseitigen Geben und Nehmen. Die Erwartungshaltung der Industrie, dass man lediglich auf eine niedrigere Forderung als die 11,6 Prozent Erhöhung vom September warten müsse, scheint reichlich unrealistisch und naiv.

Und so kommen Kompromissformeln wie die berühmte Öffnungsklausel wieder ins Kalkül. Dabei dürfen Unternehmen mit schlechter Auftrags- und Geschäftslage die Löhne und Gehälter nicht in voller Länge erhöhen, sondern bekommen einen niedrigeren Prozentsatz. Das Kalkül dahinter: Müssten nur Unternehmen mit Gewinnen die volle Kollektivvertragserhöhung zahlen, nicht aber Betriebe mit einem negativen Betriebsergebnis (Ebit), würde dies Druck aus dem Kessel nehmen. Denn nicht wenige Unternehmen fürchten um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Rund 80 Prozent der in der Metallindustrie hergestellten Waren und Güter gehen in den Export. Die Auftragslage sei stark gedämpft, die Aufträge sprudelten nicht mehr wie im Vorjahr, das dämpft nicht nur die Stimmung, sondern schürt Zukunftsängste in der Branche. Man sei schließlich in der Rezession und die Zahl der Verluste produzierenden Unternehmen werde steigen.

Vor diesem Hintergrund ist auch das Angebot der Arbeitgeber von 2,5 Prozent zu sehen, es bildet die Bruttowertschöpfung ab, ist also die Kennzahl für das in Österreich Erwirtschaftete. Da die Inflation bei den Lohnverhandlungen allerdings traditionell für das zurückliegende Jahr abgegolten wird, ist das Delta zwischen Angebot und Forderung besonders groß. Nun hoffen alle Beteiligten, dass bis 2. November doch noch eine Kompromissformel geboren wird.

Öffnungsklausel und mehr

Eine Öffnungsklausel gab es in der Geschichte der Metallerlohnrunden immer wieder. Angenommen wurde eine solch differenzierte Betrachtungsweise in der Praxis allerdings selten. Das dürfte auch daran liegen, dass die wenigsten Unternehmen ihre Geschäftszahlen offenlegen wollten, sie hätten ihr negatives Ebit vor einer sozialpartnerschaftlich besetzten Kommission offenlegen müssen, um in den Genuss eines Abschlusses unter dem Tariflohn zu kommen.

Realistischer scheint vor diesem Hintergrund eine andere Alternative: Man verständigt sich auf die um Energie- und Lebensmittelpreise reduzierte Kerninflation oder den sogenannten BIP-Deflator, also vereinfacht ausgedrückt die Steigerungsrate der inländischen Preise. Beide liegen deutlich unter der rollierenden Inflation im zurückliegenden Jahr seit dem Vorjahresabschluss (September 2022 bis August 2023), die sich heuer auf 9,6 Prozent beläuft und der Gewerkschaft als Untergrenze für einen KV-Abschluss gilt. Diese Erhöhung müsste allerdings mittels kräftigen Einmalzahlungen aufgestockt werden, die heuer steuer- und abgabenfrei ausgezahlt werden können.

Die hohe Inflation lässt das Delta zwischen Tarif- und Reallöhnen besonders weit aufgehen. 

Als "historisch besonders schwierig" bezeichnet Wifo-Chef Gabriel Felbermayr die Umstände der heurigen Herbstlohnrunde. Einerseits sei die Forderung der Gewerkschaften nach Reallohnerhalt absolut berechtigt, andererseits sei der Verteilspielraum in der Metallindustrie in den letzten zwölf Monaten nur sehr leicht gestiegen. Den Unterschied dazwischen (9,5 Prozent auf der einen, rund drei Prozent auf der anderen) habe man so in dieser Größenordnung noch nicht gesehen: "Das macht diese Verhandlungen so besonders schwierig." Felbermayr zeigte sich aber zuversichtlich, dass das System der Sozialpartnerschaft dennoch letztlich liefern werde. "Streik wäre ja auch für die Industrie keine gute Sache. Das ist klar, und er strahlt aus auf andere Sektoren", meinte er.

Mit den Betriebsversammlungen geht es weiter. Am Dienstag sind die Weißwarenhersteller Miele und Liebherr ebenso dran wie BMW Motoren, Magna-Steyr und Schoeller-Bleckmann.

(Luise Ungerboeck, 24.10.2023)