Subtil, aber unmissverständlich stellte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig seinem neuen Parteichef Andreas Babler jüngst die Rute ins Fenster: "Mit Sicherheit" werde die Bundes-SPÖ bald die richtige Linie für die Nationalratswahl festlegen. Subtext: Die jetzige ist es nicht.

Derzeit setzt man in der Löwelstraße ganz auf Emotionen, Versatzstücke einer rot-folkloristischen Klassenkampfrhetorik und die beträchtliche persönliche Überzeugungskraft des Vorsitzenden. Dadurch soll eine Mehrheit links der Mitte gefunden werden. Aber diese Mehrheit gibt es nicht.

SPÖ Babler Parteitag
Für seine Kür zum Parteivorsitzenden am Samstag wünscht sich Andreas Babler nur das richtige Ergebnis gleich beim ersten Mal, wie er im ORF-"Report" sagte. Kann er die SPÖ zum Erfolg führen?
Foto: Heribert Corn

Um sicher den Kanzler zu stellen, muss die SPÖ zwei Ziele erreichen. Erstens: Sie muss Erster werden. Zweitens: Sie muss eine Mehrheit aus FPÖ und ÖVP verhindern. Mit einem linkspopulistischen Kurs ist das unmöglich. Selbst wenn sich genügend Stimmen finden ließen, um Erster zu werden, müsste man sie den Grünen und diversen kleinen Linksparteien wegnehmen – ein Nullsummenspiel links der Mitte, das nichts beitrüge, um eine rechte Mehrheit zu verhindern. Es ist aber ohnehin unklar, wie dieser Wählerstrom bewerkstelligt werden sollte. Die derzeitige Zustimmung zu den Grünen deckt sich mit dem Anteil jener an der Gesamtbevölkerung, denen der Klimawandel als Wahlmotiv besonders wichtig ist. Im Klimabereich genießt die SPÖ aber nur wenig Vertrauen. Diese Wählerinnen und Wähler sind daher kaum für die SPÖ zu gewinnen.

Und die Unentschlossenen? Wann immer Wahlkampfstrategen nicht schlüssig erklären können, wo sie Stimmen finden wollen, kommt diese ominöse Gruppe ins Spiel, die sehr heterogen ist. Dennoch muss die SPÖ dort gewinnen. Seit Jahren ist der Mobilisierungsgrad an den politischen Rändern hoch. Zusätzliches Potenzial gibt es vor allem in der Mitte, mit Themen, die alle betreffen, und bei der die SPÖ laut Umfragen hohes Vertrauen genießt (Gesundheit und Arbeit).

Die Stärke des vergangenen Jahres ist auf eine Ausrichtung der SPÖ zurückzuführen, die sie für enttäuschte Wählerinnen und Wähler von Sebastian Kurz attraktiv machte. Die SPÖ konzentrierte sich in der Wirtschaftskrise nicht auf ideologische Auseinandersetzungen, sondern auf Fragen des materiellen Wohlergehens: Daseinsvorsorge, Kosten des täglichen Lebens, nachhaltige Industriepolitik. An der politischen Ausgangslage hat sich nichts geändert; und "Comeback" soll gerade nicht heißen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein erneuter Stimmenzuwachs auf Kosten der ÖVP würde die SPÖ wieder in eine Duellsituation mit der FPÖ bringen; das böse Krokodil Herbert Kickl diente dann als Brandbeschleuniger für die Mobilisierung.

Ein paar Meter

Die SPÖ übersiedelt entweder mit den Stimmen der politischen Mitte von der Löwelstraße ein paar Meter weiter auf den Ballhausplatz oder bleibt mit Angriffen auf Reiche und Tempo 100 in Opposition. Will die SPÖ ins Kanzleramt, muss sie

· Themen identifizieren, die über die Lagergrenzen hinaus viele in Österreich betreffen und starke Wahlmotive sind. Vor allem bei Frauen muss die SPÖ besser abschneiden;

· in den identifizierten Bereichen die Debattenhoheit (zurück)gewinnen. Das wird aktuell von einer wieder disziplinierten und strategischen ÖVP-Kommunikation unterbunden. Auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) mag man über Diskussionen um "Normalität" und Bargeld lachen, doch die ÖVP dominiert damit nach Belieben die Agenda;

· Glaubwürdige und tragfähige Konzepte propagieren, um als Regierungsalternative wahrgenommen zu werden;

· eine überzeugende Antwort auf die Migrationsfrage finden und internen Konsens darüber herstellen. Das Thema würde die SPÖ gerne vermeiden. Es wird ihr aber durch den Boulevard und Rechtsparteien aufgedrängt werden. Daher muss diese Flanke gut gedeckt sein;

· die Populismusfalle umgehen. Die Hoffnung, der FPÖ durch Leutseligkeit und rhetorische Spaltung ("unsere Leute") Wählerinnen und Wähler abspenstig machen zu können, ist trügerisch. Will die SPÖ wieder Kanzlerpartei sein, muss sie als einende, nicht als spaltende Kraft auftreten.

Statt "Eat the Rich" sollte die Sozialdemokratie etwas anbieten, das über die Parteigrenzen hinweg fast alle gut finden: Wohlstand durch Leistung – aber wir lassen niemanden zurück. Wir nehmen den Menschen die Sorgen und geben ihnen Vertrauen, dass ihr Fleiß und ihre Kompetenz etwas wert sind.

Die Zeitspanne, die der SPÖ bleibt, um eine mehrheitsfähige Strategie zu finden, ist überschaubar. Seit dem Beschluss der Teilabschaffung der kalten Progression hat die Bundesregierung nichts Substanzielles mehr zuwege gebracht. Dass die Regierungsparteien ihre Zusammenarbeit nur aus taktischen Gründen noch nicht beendet haben, ist längst mehr als offensichtlich. Jetzt zum Parteitag am Wochenende muss die SPÖ wissen, ob sie ins Kanzleramt möchte, und vor allem, wie sie das schaffen will. (Thomas Walach, 10.11.2023)