"Du bist eine Ware", sagt Emir Dautović heute über das Spielergeschäft im Spitzenfußball. Er spricht aus Erfahrung.
Cyprus Confidential Collage: derStandard/Friesenbichler Foto: Elias Holzknecht, APA (2), AP, Imago

Am 23. April 2012 liegt die Eintrittskarte in den Weltfußball auf einem Tisch in Maribor. Der slowenische Jugendnationalspieler Emir Dautović (17) und seine Eltern müssen nur den Vertrag vor ihnen unterschreiben, und einer der mächtigsten Spielerberater der Welt kümmert sich fortan um die weitere Karriere des jungen Talents. Wenn der Berater wolle, sagt einer seiner Mitarbeiter, könne er einen Transfer zum Chelsea FC von heute auf morgen einfädeln. Die Premier League, die Champions League, die großen Namen des Weltfußballs. All das scheint ganz nahe in diesem Moment.

Dautovićs Vater ist skeptisch, aber für den Sohn ist klar, dass er diese Chance nicht ziehen lässt. Er unterschreibt. Natürlich unterschreibt er.

"Es hat sich angefühlt, wie auf die Autobahn in meiner Karriere zu wechseln", erzählt Dautović elf Jahre später. Doch nach seiner Unterschrift ist er nur noch Passagier.

Seine Karriere wird ab diesem Moment von einer Briefkastenfirma mit Sitz in der Karibik gesteuert. Ihr Name: Leiston Holdings Limited. Ihr Eigentümer: der russische Oligarch Roman Abramowitsch.

Emir Dautović ist damals ein hoffnungsvoller Innenverteidiger mit guten Aussichten, den Sprung zum Fußballprofi zu schaffen. Doch heute, elf Jahre später, sind Millionenablösen und astronomische Gehälter ganz weit weg.

Tillmitsch statt Stamford Bridge

Seine Realität heißt Nunner Arena Tillmitsch statt Stamford Bridge. Statt vor Zehntausenden in der Premier League für Chelsea zu spielen, verteidigt er für einen Dorfverein vor ein paar Hundert Zuschauern in der viertklassigen steirischen Landesliga. Seine Gegner heißen FC Weinland Speed Connect, RB Gamlitz oder ASK Mochart Köflach – und nicht Liverpool oder Real Madrid.

Bislang geheime Verträge enthüllen nun, dass Emir Dautović Teil eines fragwürdigen Deals zwischen zwei Männern war, die jahrzehntelang den Weltfußball geprägt haben: dem mittlerweile sanktionierten Ex-Chelsea-Boss Roman Abramowitsch und dem berüchtigten israelischen Spielerberater Pini Zahavi.

Der Putin-nahe Oligarch Roman Abramowitsch ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit Öl reich geworden. Ab 2003 pumpte der Milliardär Unsummen in den Chelsea FC und führte den Verein zu den größten Erfolgen seiner Geschichte. Die Westlondoner gewannen dank ihm mehrmals Premier League und Champions League.

Doch seine Amtszeit steht auch für die dunkle, rücksichtslose Seite des Hochglanzprodukts Fußball: Chelsea hat unter dem Oligarchen bei Transfers Regeln zum Schutz Minderjähriger mehrfach gebrochen. Bereits am Dienstag enthüllte DER STANDARD, wie Abramowitsch seine Briefkastenfirmen nutzte, um bei Chelsea ein System der schwarzen Kassen aufzubauen.

Pini Zahavi ist einer der mächtigsten Berater im Fußballuniversum. Dautović will ihn in all den Jahren allerdings nie gesehen haben.
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Abramowitsch und der Berater Zahavi kennen einander seit Jahrzehnten. Der Israeli soll bereits bei der Übernahme von Chelsea durch den Oligarchen eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Zahavi, von den meisten im Geschäft kurz Pini genannt, ist einer der wichtigsten und mächtigsten Strippenzieher im Milliardenbusiness Fußball. Er gilt als Strippenzieher des Neymar-Wechsels von Barcelona zu Paris St. Germain, dem bis heute teuersten Transfer aller Zeiten. Zahavi war auch entscheidend dafür, dass David Alaba und Robert Lewandowski nicht mehr beim FC Bayern, sondern bei Real Madrid respektive Barcelona spielen. Der damalige Bayern-Präsident Uli Hoeneß nannte Zahavi einen "geldgierigen Piranha".

Bereits 2018 hatten die Football-Leaks-Recherchen von "Spiegel" und weiteren Medien enthüllt, wie die Briefkastenfirma Leiston Fußballer gekauft hat. Die FinCen-Files des Investigative Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) konnten zwei Jahre später Abramowitsch als Eigentümer von Leiston identifizieren.

DER STANDARD, der "Spiegel", der britische "Guardian" und das ICIJ-Netzwerk enthüllen nun erstmals einen geheimen Deal zwischen Leiston, also Abramowitsch, und Zahavi.

Zehn Millionen Euro für die "besten Spieler"

Er wurde im April 2011 geschlossen, und er geht so: Der Berater Zahavi nutzt seine Kontakte und sucht vielversprechende Talente. Abramowitsch kauft deren Transferrechte, um sie dann auf Empfehlung von Zahavi gewinnbringend weiterzuverkaufen. Der Nettoverkaufserlös wird laut Vertrag 50/50 aufgeteilt. Sollte Leiston trotz Empfehlung Zahavis die Rechte an einem Spieler nicht verkaufen, hat der Berater trotzdem Anspruch auf eine Entschädigung, die seinem Anteil entsprechen würde.

Leiston erklärte sich bereit, zunächst bis zu zehn Millionen Euro in die "besten Spieler" zu investieren.

Insgesamt konnten im Rahmen des Rechercheprojekts "Cyprus Confidential" mehr als 20 Fußballer identifiziert werden, deren Transferrechte von Leiston gekauft wurden. Oftmals direkt von ihren Eltern, schließlich waren die Talente noch minderjährig. Die Wette war, am Ende möglichst Millionen an Transfersummen und Provisionen einzustreifen. Wie am Spielautomaten oder in der Simulation an der Konsole. Zahavi hat die Transfers eingefädelt, Abramowitsch hat sie finanziert.

Manche Wetten gingen auf, andere nicht. Einige Spieler wurden tatsächlich Millionen wert und konnten etwa an Liverpool verkauft werden. Andere sind wie Dautović in der Versenkung des Amateurfußballs versunken.

Beim zweiten Treffen lässt sich Dautović für die Recherche fotografieren. Diesmal sind die Sneakers weiß.
Elias Holzknecht

Anfang Oktober 2023 sitzt er in einem Café in einem Industriegebiet knapp 30 Minuten von Graz entfernt. Ein Billigwarengeschäft reiht sich hier an das nächste, genauso wie die grellen Reklamen. Dautović fällt auf mit seinen 1,94 Meter Körpergröße und den leuchtend roten Sportschuhen. Der Körper ist trainiert, die schwarzen Haare an den Seiten kurz geschnitten.

Leiston Holdings Limited? "Nie gehört. Wer steckt dahinter?", fragt Emir Dautović mit leicht steirischem Zungenschlag, als ihm die STANDARD-Reporter das Konstrukt erklären. "Das heißt, ich habe für Abramowitsch gearbeitet?", fragt er mit ungläubigem Blick. Dautović nimmt einen großen Schluck Wasser. "Ich schwöre, das habe ich nicht gewusst."

Dautovićs Augen öffnen sich weit, seine Fingerknöchel knacken. Er ist sichtlich geschockt.

Damals, im April 2012 in Maribor, habe der Sportdirektor Druck gemacht, erinnert sich Dautović. Die Sache müsse heute finalisiert werden oder gar nicht, habe es geheißen. Für Maribor dürfte sich der Deal gelohnt haben. Der Verein kassiert von Abramowitschs Briefkastenfirma für Dautović eine Million Euro. Viel Geld für die damalige Zeit, vor allem für einen slowenischen Verein.

Das ominöse Chelsea-Gerücht

Im Gegenzug verpflichtet sich Maribor, zukünftige Transfereinnahmen an Leiston weiterzugeben. Außerdem wird festgehalten, dass Zahavi Dautovićs "exklusiver" Berater ist. Nur Zahavi ist berechtigt, Transfers von Maribor für Dautović einzufädeln. Der Slowene und seine Eltern wiederum verpflichten sich, alle Dokumente zu unterschreiben, die für Transfers notwendig sind, und die Anweisungen von Leiston zu befolgen.

Der damalige Sportdirektor will sich auf konkrete Fragen des STANDARD dazu nicht äußern. NK Maribor teilte auf STANDARD-Anfrage mit, die Vorgänge beträfen Personen, die nicht mehr im Verein seien. Zu einzelnen Transfers aus der Vergangenheit wolle man sich nicht äußern.

Kurz nach der Vertragsunterzeichnung 2012 schrieb der britische "Independent", Dautović sei für eine Million Pfund an Chelsea verkauft worden. Als ihm ein Freund den Artikel schickt, habe er ihn nur gefragt: "Was redest du?!" Er war ja nie in London. Einen Vertrag hatte er dort erst recht nicht unterschrieben. Aber damals fand Dautović die Sache irgendwie auch lustig. Er hoffte ja auf den ganz großen Transfer.

Auch weitere Spieler, die Leiston gehörten, wurden im Laufe ihrer Karriere in Medienberichten mit Chelsea in Verbindung gebracht. Waren das nur Gerüchte, um ihren Wert zu steigern? Oder hat sie Abramowitsch tatsächlich gekauft, weil sie für Chelsea verwendet werden sollten?

Eine Verletzung bringt Dautović etwas aus dem Tritt. Auf Geheiß seines Beraters tingelte er durch die Welt. Die Transfers brachten seine Karriere nicht in Schwung.
Elias Holzknecht

Dautović wollte mit den Verträgen seine Zukunft als Profifussballer sichern. Wahrscheinlich hat er eher das Gegenteil getan. Über seine Karriere entschieden fortan einzig und allein Spielerberater Zahavi und dessen Mitarbeiter. "Du bist eine Ware", sagt der Slowene heute. Den berühmten Zahavi hat Dautović in all den Jahren nie selbst gesehen, sagt er.

Fast ein Jahr nachdem er sich in die Fänge von Abramowitsch und Zahavi begeben hat, verletzt er sich schwer. Der Beginn einer Odyssee. Von da an übernimmt der Berater. Als Dautović wieder fit ist, schickt Zahavis Mitarbeiter ihn zuerst nach Serbien, dann nach Belgien, anschließend nach Holland. Bei keiner der Stationen läuft es für Dautović, er sitzt auf der Bank oder sogar nur auf der Tribüne. Dautović war schnell unglücklich, wollte immer schnellstmöglich wieder weg.

Die Anweisungen für den nächsten Wechsel kamen oft kurzfristig. "Übermorgen fliegst du nach Belgien, wir haben schon alles vorbereitet", soll Dautović etwa von einem Zahavi-Mitarbeiter 2015 gesagt worden sein.

"Das war komisch, aber ich wollte einfach spielen"

Die Geschichten vieler Spieler, die Abramowitsch und Zahavi damals kaufen, ähneln sich. Sie alle waren als Jugendliche hoffnungsvolle Talente, dann wurden sie zu Spekulationsobjekten. Leiston hatte oftmals laut den Verträgen das Recht, die Spieler jederzeit "nach freiem Ermessen" transferieren zu dürfen. Der Fußballer selbst sowie die Vereine waren praktisch entmündigt. "Diese Klausel verstößt typischerweise gegen das Fifa-Verbot der Einflussnahme Dritter", sagt der Sportrechtsexperte Antoine Duval vom Asser Institut in Den Haag. Die Regeln zum sogenannten Third-Party-Influence (TPI) schreiben vor, dass Drittparteien Spielertransfers nicht beeinflussen dürfen. Doch genau das taten Zahavi und Abramowitsch. "Ich wurde wie eine Schachfigur verschoben", sagt Dautović heute.

Immer wieder tauchen dieselben Klubs in den geleakten Papieren und damit in den Lebensläufen der Spieler auf. Royal Moscroun aus Belgien beispielsweise, wo 2015 eine maltesische Firma von Spielerberater Zahavi die Mehrheit der Anteile übernahm. Der Verein ist mittlerweile insolvent, dafür ermittelt die belgische Justiz gegen Zahavi, es geht um Betrug und Geldwäsche.

Auch an Apollon Limassol in Zypern wurden Spieler verschoben, wo Zahavi ebenfalls Anteile hatte. Es scheint, als wären die Spieler für ihn vor allem Mittel zum Zweck gewesen: so viele Provisionen wie möglich zu bekommen.

Auch Limassol taucht in der Vita von Dautović auf, allerdings nur inoffiziell. NK Maribor wurde 2014 in einem Schreiben von Leiston angewiesen, "die Spielrechte ohne Gebühren zu Apollon zu transferieren". Dautović selber sagt, ein Mitarbeiter Zahavis habe ihm damals lediglich gesagt, er gehöre nun Limassol und würde verliehen werden. Einen Vertrag habe er nie gesehen, in Zypern sei er nie gewesen. "Das war komisch, aber ich wollte damals einfach spielen", sagt er dem STANDARD.

Limassol ließ eine Anfrage unbeantwortet.

Die Verträge mit Maribor und Dautović wären heute illegal. Denn 2015 hat die Fifa sogenannte Third-Party-Ownership(TPO)-Deals verboten. Der Weltfußballverband Fifa wollte damit unterbinden, dass Investoren an einzelnen Spielern verdienen und so Einfluss auf ihre Karriere und Klubs gewinnen. Doch in Bilanzen von Leiston und einer weiteren Abramowitsch-Firma aus dem Jahr 2019 werden Spieler als "immaterieller Vermögenswert" aufgeführt. Auch Dautović wird genannt. Das TPO-Verbot galt zum Zeitpunkt der Bilanz bereits mehrere Jahre. Womöglich deuten die Bilanzen auf einen Regelbruch hin. Es ist unklar, welche Rechte Abramowitsch zu diesem Zeitpunkt noch an den Spielern hatte.

Auf eine ausführlichen schriftlichen Fragenkatalog antwortete der Oligarch nicht. Wegen seinen Verbindungen zum russischen Autokraten Putin ist Abramowitsch mittlerweile unter anderem von der EU, Großbritannien und der Schweiz sanktioniert. Seinen geliebten Klub Chelsea musste er im Frühjahr 2022, nach der russischen Invasion der Ukraine, an eine amerikanische Investorengruppe verkaufen.

Sein Ex-Verein ließ verlautbaren, die Vorgänge würden den früheren Eigentümer betreffen, daher äußere man sich zu konkreten Fragen auch nicht.

Die Wette auf die große Karriere ist für Dautović wie für viele andere nicht aufgegangen.

"Das heißt, ich habe für Abramowitsch gearbeitet?", fragte Dautović ungläubig. Wem seine Dienste als Spieler einst gehört hatten, wusste er bis dahin nicht.
Elias Holzknecht

Was sagt der Mann, dessen Name für große Karrieren steht? DER STANDARD erreicht den Spielerberater Pini Zahavi Mitte Oktober am Telefon. Er gibt sich anfangs ahnungslos, unterbricht mehrmals mit Zwischenfragen. "Welche Firma? Wer? Nie gehört!" Erst als der Name Abramowitsch fällt, scheint er sich zu erinnern. Ja, vor zehn Jahren habe er für ihn Spieler gescoutet, das war's. Weitere Fragen will er dann auch nicht beantworten. "Schreiben Sie doch, was Sie wollen", bellt er ins Telefon. Dann legt er auf. Einen schriftlichen Fragenkatalog lässt er unbeantwortet.

Und wie blickt Dautović elf Jahre später auf seine Geschichte? Fühlt er sich von seinem Berater im Nachhinein benutzt? "Ja", sagt Dautović lapidar. Aber er sah damals eben die Chance, und ja: "Wenn es gutgegangen wäre und ich mich nicht verletzt hätte, würde ich vielleicht heute bei Chelsea spielen. Dann würde ich euch Karten für die VIP-Loge geben – und all das wäre meine beste Entscheidung gewesen." (Rob Davies, Simon Lock, Jan Michael Marchart, Bastian Obermayer, Timo Schober, 18.11.2023)