Mit dem neuen ORF-Gesetz und dem neuen ORF-Beitrag von allen setzt Österreichs größter Medienkonzern zum großen Schritt Richtung Streaming an: Der Online-Kinderkanal wird kommenden Montag präsentiert, bald danach als TVthek-Nachfolger die Video-Streamingplattform ORF On samt videolastigerem ORF.at und sport.ORF.at. Und der ORF richtet auch seine Radiokanäle nun deutlich konsequenter auf Streaming aus – wie eine Vielzahl geplanter Musik-Playlists und etwa auch das neue Ö1-Schema zeigen.

ORF-Logos auf dem Küniglberg.
Mehr Playlists als Radiomusikfarben: ORF-Logos auf dem Küniglberg.
Harald Fidler

"Was das Gesetz hergibt"

Zusätzliche Digitalradiokanäle für den ORF, wie sie noch 2023 in manchen Entwürfen zu finden waren, schafften es nicht ins beschlossene ORF-Gesetz: Dagegen legten sich die vereinigten Privatsender bei der ÖVP quer – und die wiederum in den Verhandlungen mit den Grünen.

Nun plant der ORF auf seiner Audiostreamingplattform Sound ab 2024, "was das Gesetz hergibt", wie ORF-General Roland Weißmann sagt. Sind die Playlists womöglich digitale Radiokanäle durch die Hintertür? "Natürlich nicht, wir halten uns penibel an das Gesetz." Nachsatz von Radiodirektorin Ingrid Thurnher: "Auf Sound werden wir ab Jänner sehr bunt aussehen."

Spotify Konkurrenz machen

Mit Playlists auf Sound will der ORF nach Thurnhers Worten ein sehr breites Musikspektrum weit über die bestehenden Radiokanäle hinaus bieten. Auf die staunende, beispielhafte Journalistenfrage "Sind das dann 30 Playlists?" antwortet Thurnher mit einem knappen "Ja", und sie klingt eher danach, dass es deutlich mehr würden. Will der ORF damit Spotify Konkurrenz machen und von dort Hörerinnen und Hörer zurückholen? "Ich würde mich freuen."

Für ein Online-only-Radio bräuchte es eine Auftragsvorprüfung bei der Medienbehörde, dafür, gibt Weißmann zu verstehen, hatte der ORF wegen der anderen Streamingangebote und der Umstellung auf den Beitrag noch keine Hand frei. "Eines nach dem anderen", sagt der General, spricht aber von "einer Möglichkeit für die Zukunft".

Thurnher: "Diese Playlists sind eine Antwort auf den Umstand, dass wir auf zwölf Radiosender beschränkt sind. Über Sound wird es ein breites Musikangebot geben, für das wir sonst in den linearen Wellen keinen Platz finden. Das werden wir auf Sound gezielt ausspielen."

Zudem soll es auf Sound ab Jänner Liveübertragungen mit Audiodeskription geben, vom Donauinselfest über Sportevents, für die der ORF die Rechte hat, bis zu Parlamentssitzungen.

ORF-Sound Screenshot
ORF-Radios richten sich auf Streaming aus – ab Jänner wahrnehmbar auf der Streamingplattform.
ORF Sound Screenshot

Ö1, streamingtauglich

Die am Donnerstag im ORF-Stiftungsrat beschlossene Audiostrategie des ORF für seine Radiosender und Sound trägt nicht von ungefähr den Titel "Beyond Radio", also über das Radio hinaus. Und das hat hörbare Auswirkungen auf die bestehenden Radiokanäle des ORF – auf den ersten Blick die markantesten bei Ö1.

Die Schemareform für den Kultur- und Infokanal bringt – DER STANDARD berichtete bereits ausführlich – nicht nur das Ende für Rudi, den polarisierenden Radiohund, und eine klarere Sendungsstruktur mit weniger Marken. Die für Ö1 ungewohnte Live-Tagesmoderation von 9 bis 18 Uhr mit bekannten Ö1-Stimmen ist wesentlich von der Ausrichtung auf Audiostreaming motiviert.

Der Tagesmoderator oder die Tagesmoderatorin übernimmt von den Präsentatoren der einzelnen Sendungen das Grüßen und Verabschieden und andere Bezüge zum Tag. Damit können die Sendungen, so die Idee, ohne größere Bearbeitung fürs Streaming übernommen werden.

Bei Ö1 werden Genres mit der Reform ab 1. Februar 2024 gebündelt. Eine werktägliche Leiste um 16 Uhr vereint Sendungen zu Wissenschaft, Gesundheit, Religion, Literatur und Talk und gibt ihnen jeweils einen Tag in der Woche. Die Featureredaktion soll verstärkt Doku-Serien produzieren, die sich auch gut als Podcast-Angebote eignen. Nachts wiederum bis sechs Uhr früh soll die "Nachtmusik" etwa mit Konzertmitschnitten und anderen Schwerpunkten Playlist-Taugliches produzieren.

Digitaler Raum für FM4

Das inzwischen durchhörbarer gestaltete FM4 kommt in einem Hintergrundgespräch von General Weißmann und Radiodirektorin Thurnher gar nur mit Digitalfokus vor: "FM4 soll sich vor allem im digitalen Raum weiterentwickeln", sagt Thurnher. Die Inhalte des linearen Programms sollen sich – über den ja schon länger bestehenden Player hinaus – "ganz stark im digitalen Raum wiederfinden – und sollten eigentlich online first gedacht werden." Im Radio ist FM4 laut Thurnher jünger als Ö3, deutlich männlicher, aber andere Zielgruppen könne man ja auch über Social Media erreichen.

Weißmann wünscht Kronehit viel Glück

Österreichs größtes Popradio Ö3, zugleich einer der wichtigsten Werbeumsatzbringer des ORF, "ist im Radio die Nummer eins und will das auch bleiben": Das sagt Weißmann mit Blick auf die Privatsender, die im Vorjahr beim Werbepublikum unter 50 Jahren Ö3 – gemeinsam – überholt haben.

Der größte private Radiosender Kronehit plant für 2024 vier neue Kanäle via Digitalradio DAB+ und lässt Ambitionen durchklingen, dass man mit dieser Flotte Ö3 überholen will. Dort an Bord als Programmchef ist der langjährige Ö3-Chef Georg Spatt, der den ORF im Sommer verlassen hat. Roland Weißmann an das Kronehit-Management: "Ich wünsche ihm und den anderen viel Glück damit."

Ö3 arbeitet wie berichtet daran, seine Formate wie "Frag das ganze Land" und "Nighttalk" auszubauen und als Marke für eine "große interaktive Initiative mit unserem Publikum" zu dienen. Weißmanns Devise für den von allen mit Beitrag finanzierten ORF: "Türen und Fenster aufreißen und mit dem Publikum kommunizieren."

Man arbeite daran, das Ö3-Format auch ins Fernsehprogramm zu bringen. "Wir brüten darüber, wie man das machen könnte", sagt Thurnher über die Zusammenarbeit mit Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz. Und, das betont Weißmann, ohne dass da der Verdacht von gesetzlich "verbotener Cross-Promotion" aufkommen könne.

"Nicht zwei oder drei Ö3s"

Die über mehr als ein Jahr erarbeitete Audiostrategie des ORF förderte auch überraschende Erkenntnisse zutage: Die Radiokanäle des ORF stimmten sich bisher nicht wirklich untereinander ab, jedenfalls nicht institutionalisiert und regelmäßig. Das soll sich ab Jänner mit regelmäßigen Treffen der Programm- und Musikchefs der Regionalradios mit jenen der bundesweiten Sender ändern. "Wir wollen nicht zwei oder drei Ö3s in einem Bundesland", ruft Thurnher zur verbesserten Abstimmung auf.

Digitalradio nicht mehr ganz abgeneigt

Der ORF darf im Gegensatz zu den Privatsendern keine neuen Programme über Ö3, FM4, Ö1 und die neun Regionalsender hinaus auf DAB+ gestalten. Daher lehnte der ORF bisher auch die Nutzung von DAB+ ab. Da klingt ORF-Chef Weißmann nun weniger ablehnend: "Wir evaluieren regelmäßig jedes halbe Jahr. Vielleicht kommt bald einmal Bewegung ins Spiel." Man werde dazu von Technikdirektor Harald Kräuter noch hören. (Harald Fidler, 1.12.2023)