Eine Zeichnung eines Vorhängeschlosses
Illustration: Getty Images

Die EU wird ein Forschungsnetzwerk zu Long Covid einrichten. Die Ursachen einer Reihe von Post-Covid-19-Erkrankungen sollen erforscht und die Behandlungsmöglichkeiten verbessert werden. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat auf der Social-Media-Plattform X, vormals Twitter, eine aktive Beteiligung Österreichs an diesem Forschungsnetzwerk angekündigt. Wie die Beteiligung konkret aussieht, steht noch nicht fest. Gezwungenermaßen wird sich unser Beitrag jedoch in Grenzen halten.

Einzelne Medizinerinnen und Mediziner können ihre Erfahrungen in der Diagnose und Behandlung von Long Covid teilen. Für systematische wissenschaftliche Analysen sind jedoch Diagnose- und Leistungsdaten sowie die Krankengeschichte einer großen Fallzahl an Patentinnen und Patienten eine notwendige Voraussetzung. Diese Daten werden in Österreich zwar von Bund, Ländern und Sozialversicherungsträgern erfasst und verwaltet. Allein der Wissenschaft stehen sie für Forschungszwecke nicht zur Verfügung, und dieser Zugang soll ihr – geht es nach dem Gesundheitsministerium und den Sozialversicherungsträgern, insbesondere der ÖGK – auch in Zukunft verwehrt bleiben.

Exklusiver Zugang

Noch heuer soll das Parlament eine Gesundheitsreform beschließen, die aufgrund der Kompetenzverteilung im Gesundheitsbereich nur im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen möglich wurde. Im Zuge der Reform wird eine "Plattform zur gemeinsamen Sekundärnutzung von Daten aus dem Gesundheitsbereich" eingerichtet. Die Plattform soll den Austausch von Daten zwischen den Institutionen erleichtern. Dieses Anliegen ist begrüßenswert. Daten aus dem stationären Bereich könnten so mit Informationen der Sozialversicherungsträger aus dem ambulanten Bereich verbunden werden.

Das Potenzial der daraus resultierenden Datenkörper wäre für die unabhängige Forschung beträchtlich, zum Beispiel für die Long-Covid-Forschung wie auch für andere dringende gesundheitliche Fragen. Allein das Gesetz sieht eine exklusive Nutzung dieser Datenplattform für Bund, Länder und die Sozialversicherungsträger vor. Die Wissenschaft bleibt außen vor.

"In Österreich kennen wir vieles, doch ein Hang zu Selbstkritik im Gesundheitssystem fällt nicht darunter."

Das ist für den Wissenschaftsstandort problematisch, verhindert konkreten Nutzen aus den potenziellen Forschungsergebnissen für Patientinnen und Patienten im Sinne einer effizienten und umfassenden Versorgung und ist demokratiepolitisch bedenklich. Die Gebietskörperschaften und die Sozialversicherungsträger sind für die Umsetzung gesundheitspolitischer Maßnahmen verantwortlich – und gleichzeitig für deren Evaluierung und Kontrolle.

In Österreich kennen wir vieles, doch ein Hang zu Selbstkritik im Gesundheitssystem fällt nicht darunter. Ernsthafte Verbesserungen sind unwahrscheinlich. Es droht im EU-Vergleich ein weiterer Rückfall in der Digitalisierung und der Innovationsfähigkeit im Gesundheitsbereich. Ein unabhängiger und evidenzbasierter Gesamtüberblick bleibt verwehrt.

Aktiv blockiert

Die Gesundheitsreform fügt sich in eine Reihe von Gesetzesvorhaben ein, die den Zugang der Wissenschaft zu Gesundheitsdaten aktiv blockieren. Der Blindflug in der Covid-19-Pandemie war Folge einer verfehlten und unnötig restriktiven Gesundheitsdatenpolitik. Als Ergebnis waren Daten nicht vorhanden oder über unterschiedliche Gebietskörperschaften und Trägerinstitutionen verteilt und nicht vergleichbar.

Im Mai dieses Jahres hat das Gesundheitsministerium eine Novelle des Eltern-Kind-Passes sowie des Gesundheitstelematikgesetz auf den Weg gebracht. In beiden Fällen sah sich das Gesundheitsministerium veranlasst, den Zugang der Wissenschaft zu den dadurch erhobenen Daten explizit gesetzlich zu unterbinden.

Vages Versprechen

Das Gesundheitsministerium schätzt die Wissenschaft offenbar nicht besonders. Unabhängige Wissenschafterinnen und Wissenschafter wurden in die Gespräche zur Gesundheitsreform nicht eingebunden. Ein Konzeptpapier einer Arbeitsgruppe des Obersten Sanitätsrats, in dem konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Datenzugangs für die Wissenschaft gemacht wurden, hat Rauch – wie er sagt – zwar gelesen, aber letztlich doch ignoriert oder ignorieren müssen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Sozialversicherung doch gerne lieber selbst entscheiden möchte, welche Forschungsfragen ihr genehm sind und welche nicht. Diese Position hat sie jedenfalls in den Verhandlungen vertreten.

Die Bundesregierung hat mit dem Austrian Micro Data Center die rechtlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen, um der Wissenschaft Zugang zu Gesundheitsdaten nach internationalen Best-Practice-Vorbildern und unter Wahrung des Datenschutzes zu ermöglichen. Der Gesundheitsminister müsste dazu lediglich eine Verordnung erlassen und eine solche auch von der Sozialversicherung einfordern. Stattdessen gibt es ein vages Versprechen für eine unbestimmte Zukunft, an die sich politisch niemand gebunden fühlt – ein datenpolitisches Long Covid, mit negativen Gesundheitsfolgen. Sozialversicherung und Minister können dies durch die Schaffung eines Datenzugangs für die Wissenschaft im Rahmen der Reform jetzt verhindern. Man muss es nur wollen. (Martin Halla, Helga Nowotny, Harald Oberhofer, Caroline Schober, Michael Strassnig, Stefan Thurner, 12.12.2023)