Ein Demonstrant mit Palästinaflagge in der Wiener Innenstadt im Oktober 2023
Was bringt es, bei der Einbürgerung Wissen über den Stephansdom abzufragen? Zusammenleben gelingt, wenn man gemeinsame Werte teilt und Grund- und Freiheitsrechte achtet.
Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Die wachsende Kluft in Österreich ist nicht nur gefühlt, sie kann konkret vermessen werden: 77 Prozent der Befragten mit afghanischen Wurzeln finden, dass Juden der Feind aller Muslime seien. 60 Prozent der jungen Syrer sind der Meinung, dass der Mann für alle größeren Entscheidungen zuständig sein sollte. Mehr als die Hälfte aller Austro-Türken lehnen Homosexualität grundsätzlich ab – das macht betroffen, unabhängig davon, wen man liebt. Das sind Auszüge aus einer Studie des Integrationsexperten Kenan Güngör für den Integrationsfonds.

Gleichzeitig verzweifeln ukrainische Mütter, die vor dem Angriffskrieg Wladimir Putins geflohen sind und sich ein bescheidenes, selbstbestimmtes Leben aufbauen wollen, am österreichischen Bürokratismus. Bestintegrierte Kinder werden abgeschoben. Junge Asylwerberinnen und Asylwerber, die von Unternehmern in einem Mangelberuf ausgebildet wurden, ebenso. Aber Asylwerber aus Ländern wie Marokko ohne Schutzbedarf werden nicht konsequent genug rückgeführt.

Eskalation und Blockade

Die Migrations- und Integrationspolitik verbindet das Schlechteste aus zwei Welten: Zu oft werden die Falschen abgeschoben, dürfen die Redlichen nicht bleiben und erfahren jene, die unsere Grundwerte mit Füßen treten und seit dem 7. Oktober etwa gegen Jüdinnen und Juden hetzen, kaum Leitplanken und Stoppzeichen.

Die ÖVP tut so, als hätte sie keine Verantwortung für den desolaten Status quo, obwohl sie seit Jahrzehnten in den relevanten Ressorts an der Macht ist. Die FPÖ arbeitet, wenn sie denn einmal in Verantwortung ist, an Eskalation, nicht an Lösungen. In der Zeit der türkis-blauen Regierung wurden alle Integrationsprogramme ausgehungert, die "Hilfe vor Ort" gekürzt und Lösungen zu Asyl in Brüssel blockiert. Das Geschäftsmodell der FPÖ und auch der ÖVP ist das Problem, nicht die Lösung.

SPÖ und Grüne verschließen noch immer ihre Augen vor der Realität, wenn es erhebliche Risiken und Defizite bei Migration und Integration gibt. Es ist beklemmend, wie konsequent sie sich aus naiver Gutgläubigkeit und Bequemlichkeit beharrlich weigern, die Dinge beim Namen zu nennen.

Konstruktive Lösungen

Aber wer die Probleme links liegenlässt, wird die Rechten stärken. Es ist Zeit für professionelle und kompetente Sachpolitik. Eine wehrhafte Demokratie sorgt für klare Spielregeln. Sie zeichnet aus, dass man das Individuum sieht, jeden Menschen nur nach seinem eigenen Handeln beurteilt.

Österreich ist auf mehr qualifizierte und weniger irreguläre Zuwanderung angewiesen. Die nächste Bundesregierung muss sich daher in Brüssel konstruktiv für europäische Lösungen einsetzen, statt sie zu torpedieren. Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik. Aus liberaler Sicht ist das Ziel klar: Um innereuropäische Grenzen offen zu halten, werden Zugänge an den Außengrenzen professionell kontrolliert und streng gemanagt. Und mit einem modernen Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild die besten Köpfe nach Österreich geholt, statt sie mit Bürokratismus zu schikanieren.

Mit Herz und Hirn

In der Asylpolitik ist Herz und Hirn zu verbinden: Resettlement-Programme für schutzsuchende Personen werden forciert. Das ermöglicht gerade jenen, die besonders vulnerabel sind, sich in Sicherheit zu bringen, ohne ihr Leben auf gefährlichen Fluchtrouten aufs Spiel zu setzen. Das reduziert auch die Geschäftsgrundlage für kriminelle Schlepperorganisationen. Jene, die in Europa ankommen, erleben Rechtsstaat: Zuteilung an einen Mitgliedsstaat, dort ein faires und rechtsstaatliches Asylverfahren. Wer nach rechtlicher Klärung keinen Schutzgrund hat, wird zügig außer Landes gebracht. Wer Schutz erhält, hat ein Recht und die Pflicht auf Integration.

Die Integrationsmaßnahmen werden stärker und verbindlicher – und zwar ab Tag eins: Deutsch- und Wertekurse werden im Rahmen eines neuen Integrationsjahres für alle Ankommenden ausgebaut. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird geöffnet, das verhindert ein Abdriften in Kriminalität oder Radikalisierung. Es gibt dafür mehr Ressourcen und ein Ende bürokratischer Schikanen. Auf der anderen Seite werden diese Maßnahmen verbindlich. Bei unbegründetem Unterlassen der Mitwirkung erfolgen Verwaltungsstrafen. Vereine und Moscheen werden sorgfältig geprüft, sodass extremistisches, demokratiefeindliches Agieren zu Strafen, dem Ende öffentlicher Förderungen und auch Schließungen führt.

Gemeinsame Werte

Es ist zudem dringend nötig, dass vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft künftig gründlicher auf unsere gemeinsamen Werte abgestellt wird. Nicht das Wissen um die Höhe des Stephansdoms lässt Zusammenleben gelingen, sondern die Achtung der Grund- und Freiheitsrechte aller Menschen, die hier leben. Daher sollte, wie gesetzlich vorgesehen, die Grundeinstellung zu unseren Werten bei allen Antragstellerinnen und Antragstellern individuell abgeklärt werden. Weiters müssen wir bürokratische Hürden zur Staatsbürgerschaft für alle, die etwas beitragen wollen, abbauen.

Die Schulfinanzierung wird mittels Chancenindex auf neue Beine gestellt, sogenannte Brennpunktschulen erhalten deutlich mehr Unterstützung, und Lehrerinnen und Lehrer werden mit der eskalierenden Gewalt, Deutschdefiziten und anderen Herausforderungen nicht mehr alleine gelassen. In einem neuen Schulfach "Leben in der Demokratie" werden grundlegende gemeinsame Werte wie Menschenrechte, Vielfalt und Gleichberechtigung vermittelt.

Zuwanderung und Multikulturalität sind Teil unserer Gesellschaft, das ist ein Fakt. Es liegt an uns, ob daraus eine Chance oder Chaos wird. Die desaströse, ideologische Politik, die das Schlechteste aus beiden Welten verbindet, führt in eine gefährliche Sackgasse. Klare, seriöse Sachpolitik der Mitte ist daher dringend notwendig. (Stephanie Krisper, Yannick Shetty, 5.1.2024)