Michael und Gabriele Kornherr betreiben das "Zum süßen Eck" seit Mitte der Neunzigerjahre. Im Juni soll Schluss sein. Nach einer Nachfolge wird noch gesucht.
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"Um Ihre Frage gleich zu Beginn zu beantworten: Früher war nicht alles besser. Während wir in den Neunzigerjahren, als wir das 'süße Eck' übernommen haben, mit fünf Lieferanten und drei Großhändlern zusammengearbeitet haben, beziehen wir unsere Ware heute von etwa 200 Lieferanten aus ganz Europa. Und konnten unser Sortiment individuell entwickeln. Weil man heute in der EU selbst importieren kann, kann man sich eine Nische aussuchen. Der Massenmarkt interessiert uns nicht. Die Lakritze kommt bei uns aus Schweden, die pure Lakritze aus Kalabrien.

Früher wäre die Organisation ein Drama gewesen, damals gab es dafür in Deutschland vielleicht einen Großhändler. Heute gibt im 'Zum süßen Eck' kaum etwas, was Sie im Supermarkt finden. Weder Milka- noch Lindt- oder Ritter-Sport-Schokolade. Früher war die Auswahl auf dem Markt sowieso viel überschaubarer, es gab in etwa eine Bitter-, eine Koch- und eine Milchschokolade. Damals hat auch niemand darum geschert, ob im Produkt Palmfett oder Zucker drin ist. Heute gibt es beispielsweise natürlich zuckerfreie Schokolade ohne Zusatzstoffe. Wir finden, das ist eine tolle Entwicklung. Auch dass die Leute heute gewohnt sind, sich selbst zu bedienen. Früher hat man im Zuckerlgeschäft ja noch von der Tasse oder dem Karton bedient. Wir würden sagen: Wir verbinden hier das Beste aus beiden Welten.

Die Diabetikeranfragen sind übrigens weniger geworden. Natürlich auch, weil es keine speziellen Diabetikerprodukte mehr gibt, stattdessen gibt es etliche Zuckeraustauschstoffe. Mit dem Internet sind die Konsumenten viel informierter geworden als in den Achtzigerjahren. Wir waren und sind mit dieser Entwicklung mehr gefordert – das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Käufer informierter sind als wir. Ob Lactose- oder Glutenintoleranz, wir müssen uns schon auskennen. Vegan ist auch für uns ein großes Thema. Ein gutes Nougat ist übrigens von sich aus vegan, mit Milch gestrecktes Nougat von geringerer Qualität. Gelatine ist auch kein Thema mehr, das wird längst von Agar-Agar oder Apfelpektin ersetzt. Wenn man bewusster essen will, ist das heute viel einfacher als früher.

Lakritze aus Schweden

Wir sind optimistisch für die Zukunft. Die Leute sehnen sich nach einer persönlichen Ansprache. Sie wollen nicht mehr nur Dinge, die sie in der Werbung gesehen haben, nachkaufen. Bei uns geht es immer nur um das Produkt an sich. Wir reisen zu Messen und suchen Süßigkeiten, die zu uns passen. Auf der Süßwarenmesse in Köln hat uns vor Jahren ein schwedischer Verkäufer im Vintage-Anzug geräucherte und gesalzene Lakritze verkauft. Seine Produkte haben wir mittlerweile fest im Programm, oft sind sie ganz schnell weg. Genauso wie der italienische Hersteller Leone, der Zuckerln produziert. Den kennen wir seit 30 Jahren. Wir führen eine Mischung aus lokalen und internationalen Produkten. Typisch Wienerisch? Das sind natürlich wir, aber auch unsere täglich frischen Schoko-Maroni, die Rum-Pastillen und Krachmandeln. Bei uns bekommt man sie einzeln, wir verkaufen sie aber auch in vorbereiteten Sackerln. Und unsere Champagnertrüffel aus Oberösterreich sind natürlich die besten. Die führen wir seit Jahrzehnten, für die kommen die Leute extra uns.

Michael und Gabriele Kornherr vor ihrem Geschäft "Zum süßen Eck". Das Geschäft ist von 1914 – bis zum Lack des Innenausbaus.
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Den Onlineshop haben uns unsere Kinder lange vor Corona aufs Auge gedrückt. Das hat uns während dieser Zeit sehr geholfen, wir waren damals oft bis Mitternacht im Geschäft und haben tausende Pakete verschickt. Sogar Osterhasen, die wir früher nie verschickt hätten, haben wir bruchsicher versendet. Wir haben einiges gelernt, uns professionalisiert und nationalisiert. Durch den Onlineshop verschicken wir bis Tirol und Vorarlberg. Ohne Bankomatkartenzahlung geht allerdings nichts mehr. Bei uns zahlen teilweise schon kleine Kinder ihre drei Schlangen mit Karte. Auch das ist Entwicklung.

Das Leben ist sowieso immer Entwicklung. Produkte, die wir in den Achtzigerjahren gut fanden, fänden wir heute vielleicht so lala. Man muss offen sein für Neues. Aber weil wir nicht jünger werden, hören wir im Juni mit dem 'süßen Eck' auf. Unsere Leidenschaft bringt zwar viel Freude, kostet aber auch Kraft. Wir sind täglich von 10 bis 19 Uhr im Geschäft gestanden. Unsere Kinder sind hier mit aufgewachsen. Jetzt haben wir noch die Chance, etwas anderes zu machen – auch wenn es da um ganz persönliche Dinge wie das Reisen oder Radtouren geht. Möglichen Interessenten sei gesagt: Man wird vielleicht nicht reich, kann aber gut leben und sich mit dem Geschäft eine gesicherte Zukunft aufbauen." (Anne Feldkamp, 14.1.2024)