Wartende Fahrgäste auf dem Bahnsteig der Schnellbahnstation Handelskai in Wien
Züge, die kurzfristig ausfallen oder nur als Kurzzug geführt werden und deshalb überfüllt sind, gehören in der Ostregion seit Monaten zur Normalität.
APA/Tobias Steinmaurer

Die wenig berauschende Performance der ÖBB in den vergangenen Wochen und Monaten ist nun auch in der ÖBB-Führung angekommen. In einem Schreiben, das rund um den Jahreswechsel allen Beschäftigten der Staatsbahn zugeschickt wurde, räumt ÖBB-Holding-Chef Andreas Matthä Probleme ein: "Unsere betriebliche Qualität ist nicht dort, wo sie sein soll bzw. sein muss, damit wir unser Kernprodukt, die verlässliche und pünktliche Reise zu den gewünschten Zielorten, als Mobilitätsdienstleister einhalten können."

Für die hohe Nachfrage nach Bahnreisen stehe zu wenig Wagenmaterial zur Verfügung, attestiert der ÖBB-Chef in der E-Mail, die dem STANDARD zugespielt wurde. Diese Erkenntnis sollte freilich weder neu noch überraschend sein, denn mit der Bestellung von Schnellzügen des Typs Railjet war die ÖBB spät dran, und dann fuhren dem Lieferanten der Tag- und Nachtzüge, Siemens Mobility, die weltweiten Lieferschwierigkeiten in die Parade.

Neue Züge erst bestellt

Die Zuschlagserteilung für Doppelstock- und Single-Deck-Elektrotriebzüge für den Einsatz auf der Schnellbahn vor allem in der Ostregion und im sogenannten inneralpinen Fernverkehr erfolgte nach einigen Schwierigkeiten bei den Auftragsvergaben überhaupt erst heuer. Die Lieferungen dieser Zugtypen in großem Stil sind deshalb frühestens 2026 zu erwarten.

Die Begründung des ÖBB-Chefs für die Imponderabilitäten liest sich so: "Hintergrund dafür sind eine kritische Mischung aus Lieferverzögerungen von neuen Zügen und eine Überbelastung von altem Wagenmaterial sowie vorsichtig ausgedrückt, eine progressive Planung."

Planungen zu optimistisch?

Progressiv bedeutet in diesem Zusammenhang wohl eher: Die Einsatzplanungen für das Rollmaterial im Reiseverkehr waren nicht nur für den Anfang Dezember überraschend gekommenen Wintereinbruch zu optimistisch oder gar unrealistisch. Für den alljährlich starken Reiseverkehr zu den Feiertagen sowieso, denn der bestehende Fuhrpark ist augenscheinlich reparaturanfällig und servicebedürftig.

Der jüngst von der Eisenbahnergewerkschaft Vida erhobene Vorwurf, die Reparaturkapazitäten der ÖBB-Werkstättentochter ÖBB Technische Services seien zu stark gedrosselt worden, weist in diese Richtung.

Züge fallen aus

Allerdings kommen die Beschwerden seit Monaten nicht primär von Städtereisenden – der sogenannte Fernverkehr spielt in der ÖBB-Personenverkehr AG finanziell eine Nebenrolle –, sondern insbesondere von Pendlerinnen und Pendlern. Kaum ein Tag, an dem Fahrgäste nicht beklagten, dass Züge ausfallen oder als Kurzzug geführt werden und deshalb überfüllt sind. Das Wagenmaterial für Doppeltraktion sei schlicht nicht vorhanden, beklagen mit der Materie vertraute Auskenner. Das kommt insofern überraschend, als das Pendleraufkommen sich bis zum Vorjahr noch nicht wieder auf das Vor-Corona-Niveau des Jahres 2019 eingespielt habe. Die ÖBB transportierte also weniger Fahrgäste im Nah- und Regionalverkehr als vor der Corona-Krise und hatte trotzdem zu wenig Zugmaterial.

Verschärft wurde der Engpass durch die Ausweitung des Fahrplanangebots mit Einführung des Winterfahrplans Anfang Dezember. Es mangle zudem an Triebfahrzeugführern. Im Gegensatz zum Fernverkehr ist der von der öffentlichen Hand finanzierte Nah- und Regionalverkehr relativ verlässlich, das Fahrgastaufkommen von Montag bis Freitag schwankt kaum, ist somit planbar.

"Qualitätsjahr 2024"

Ob das von ÖBB-Chef Matthä ausgerufene "Qualitätsjahr 2024" Besserung zu bringen vermag? Der Druck auf das ÖBB-Personal im Bahnbetrieb dürfte eher nicht geringer werden. Dabei waren bereits "Sonderschichten und Abweichungen notwendig, um den Betrieb trotz Einschränkungen bestmöglich am Laufen zu halten", wie der ÖBB-Chef in seinem Brief schreibt. "Wir müssen rasch wieder zurück auf das von den Kund:innen gewohnte ÖBB-Qualitätsniveau." Welche Maßnahmen konkret Besserung bringen sollen, war bei der ÖBB am Mittwoch nicht zu erfahren. Auch Matthä schweigt sich diesbezüglich aus. Verbesserungsvorschläge zu Sicherheit, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Kundeninformation und Qualität holte man sich bei fünf ausgewählten Mitarbeitern aus dem "Team ÖBB".

Mittelfristig bahnen sich auch im Schnellbahnverkehr neue Elektrotriebzüge an. Denn im Sommer bekam Siemens Mobility den Zuschlag für einen Rahmenvertrag über bis zu 540 Elektrotriebzüge. Der erste Abruf erfolgte laut Angaben auf dem Informationsportal OffeneVergaben.at Ende November 2023. Die ÖBB-Personenverkehr AG orderte 31 Zuggarnituren für den Fernverkehr und 28 Zuggarnituren für den Nahverkehr (jeweils mit 105 Meter Länge). Weitere elf Garnituren für den Nahverkehr (73 Meter lang) wurden ebenfalls bestellt. Der Auftragswert beläuft sich auf rund 811 Millionen Euro, der Erfüllungszeitpunkt für die am 28. November 2023 unterzeichneten Verträge wurde mit 11. Dezember 2028 angegeben. Die neuen Elektrotriebzüge sollten im Winterfahrplan 2028/29 also einsatzbereit sein. (Luise Ungerboeck, 11.1.2024)