Wie immer man zu ihnen steht, Umfragen sind aus der politischen Berichterstattung in Österreich kaum mehr wegzudenken. Seit der Nationalratswahl 2019 wurden in Österreich rund 350 Sonntagsfragen publiziert. Das ergibt im Schnitt eine Umfrageveröffentlichung alle vier bis fünf Tage – und das nur für die Wahlabsicht zur Nationalratswahl. Rechnet man die Erhebungen für Landtags- und Bundespräsidentenwahlen mit ein, kommt man auf eine Zahl deutlich über 400.

FPÖ Nationalratswahl Umfragen 
Führt seit Wochen in Umfragen, doch noch ist nicht Wahltag: Kann FPÖ-Chef Herbert Kickl dann noch liefern?
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Nun haben Umfragen nicht immer den besten Ruf. Ganz abgesehen einmal von den mutmaßlichen Kriminalfällen, in die ehemalige Meinungsforscherinnen verwickelt sind, klaffte in einigen (wenigen) Fällen zwischen Umfragen und späterem Wahlergebnis ein großer Abstand: etwa bei den Landtagswahlen in Wien 2015 und Kärnten 2023 oder bei der Bundespräsidentenwahl 2016.

Gerade für die Nationalratswahlen sind die von Medien beauftragten – und daher öffentlich zugänglichen – Umfrageergebnisse aber erstaunlich treffgenau: Bei den letzten sieben Nationalratswahlen (1999 bis 2019) betrug die durchschnittliche Abweichung zwischen Wahlergebnis und dem Mittelwert der Umfragen, die in den vier Wochen vor der Wahl veröffentlicht wurden, knapp eineinhalb Prozentpunkte. Die größte Abweichung stellte das Abschneiden der FPÖ 2019 dar, die auf den letzten Metern (Stichwort Spesenskandal) noch an Boden verlor und am Ende knapp vier Punkte unter dem vierwöchigen Umfragemittelwert zu liegen kam.

Gute Vorhersagekraft

Fällt die Performance der Meinungsforschungsinstitute im Wahljahr 2024 also nicht drastisch schlechter aus als bisher, sollten uns die Umfragen ein einigermaßen verlässliches Bild über die Absichten der Wählerinnen und Wähler vermitteln.

Aber nicht nur das: Analysiert man die Umfragen im Vorfeld von Nationalratswahlen seit 1999, dann zeigt sich, dass auch Erhebungen, die viele Monate vor den Wahlen stattfinden, einigermaßen gute Vorhersagekraft für das Wahlergebnis haben. Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich die Wahlabsichten in Österreich kurzfristig meist nicht drastisch verändern. Wenn überhaupt, dann passieren Verschiebungen meist schrittweise.

Die Zeit seit der letzten Nationalratswahl veranschaulicht das sehr gut: Zwar durchlebten fast alle Parteien größere Schwankungen in der Sonntagsfrage, die meisten dieser Veränderungen gingen aber langsam vonstatten. Am Beginn der Covid-19-Pandemie stiegen die Werte der Regierungsparteien zunächst in lichte Höhen, gingen aber ab Mitte 2020 sukzessive zurück, während die Oppositionsparteien im Gegenzug erstarkten. Die SPÖ kletterte Schritt für Schritt auf rund 30 Prozent, nur um von dort langsam wieder abzurutschen. Die FPÖ hingegen legte von ihrem Tiefpunkt im Frühjahr 2020 (um die elf Prozent) einen ebenso langsamen, aber dafür steten Aufstieg zu mittlerweile 30 Prozent hin. Neos wiederum pendeln seit drei Jahren um die Zehn-Prozent-Marke.

Langsame Verschiebungen

Allerorten also große Stabilität oder nur langsame Verschiebungen – mit einer Ausnahme: Der Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler im Herbst 2021 bescherte der ÖVP einen jähen Rückgang ihrer Umfragewerte um rund zehn Prozentpunkte binnen weniger Wochen. Eine derart drastische Änderung binnen kurzer Frist stellt aber die absolute Ausnahme dar.

Die simple Beobachtung, dass Veränderungen in der Sonntagsfrage meist inkrementell vonstattengehen, lässt auch schon einige Schlüsse für das Wahljahr 2024 zu: Wenn sich die derzeitigen Wahlabsichten noch im größeren Ausmaß drehen sollen, müsste das entweder schrittweise über einen längeren Zeitraum passieren – wofür die Zeit langsam knapp wird, vor allem wenn die Wahl doch noch vor dem Sommer stattfindet. Oder es tritt ein Ereignis von ähnlicher Tragweite wie der Kurz-Rücktritt 2021 ein – nicht auszuschließen, aber solche Schocks kommen eher selten vor. Am ehesten käme da noch das Antreten neuer Personen oder neuer (beziehungsweise neu erstarkter) Parteien infrage, aber auch hier ist die Geschichte der Nationalratswahlen reich an enttäuschten Hoffnungen – man erinnere sich an die Antritte von Richard Lugner, Hans Peter Martin oder Fritz Dinkhauser. Ob es der KPÖ oder Dominik Wlaznys Bierpartei 2024 besser ergeht, ist alles andere als gewiss. Abseits eines einschneidenden Ereignisses wäre eine dramatische Verschiebung des politischen Stimmungsbilds nur aufgrund der Wahlkampfaktivitäten der Parteien für Österreich jedenfalls ein Novum.

Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit lassen also für die Sonntagsfrage im anstehenden Wahljahr Lapidares erwarten: Oft tut sich nichts – und wenn doch, dann meist nicht sehr viel. Aber gut, das politische Jahr 2024 wird auch so schon ereignisreich genug werden. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 19.1.2024)