Wird in seinem Plan teils konkret, teils bleibt er aber noch sehr vage: Kanzler Karl Nehammer.
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Seine Rede in Wels hat Kanzler Karl Nehammer zwar noch nicht gehalten. Das passiert erst am Freitagnachmittag. Die Themen aus seinem sogenannten Österreich-Plan wurden allerdings immer weniger zu einem Geheimnis. Schon seit Tagen werden medial Stück für Stück Inhalte daraus bekannt. Nehammer will etwa das Binnen-I aus der Verwaltung und den Unis verbannen, Steuern senken, Sozialleistungen kürzen, mehr Härte im Asylbereich, Strafen für Klimakleber und eine Kaufoption bei Genossenschaftswohnungen für alle.

Wenige Stunden vor Nehammers Rede konnte DER STANDARD nun den gesamten "Österreich-Plan" einsehen. Einige der teils noch unbekannten Punkte daraus.

Großelternkarenz

"Jede Familie ist anders", heißt es im Themenkonvolut des Kanzlers. Bei der Betreuung von Kindern würde oft den Großeltern eine elementare Rolle bei der Kinderbetreuung zukommen. Geht es nach der ÖVP, sollen diese deshalb auch "entlohnt" werden. Angedacht ist eine sogenannte Großelternkarenz, also der Bezug von Kinderbetreuungsgeld, "wenn die Großeltern an Stelle der Eltern die Betreuungspflichten wahrnehmen".

Staatsbürgerschaft

Keine "parteipolitischen Experimente" will Nehammer mit "unserer Staatsbürgerschaft" zulassen. Weder die Vergabe der Staatsbürgerschaft noch das Wahlrecht soll "aufgeweicht" werden, wie es heißt. Die Debatte gibt es deshalb immer wieder, da in Österreich das Demokratiedefizit immer größer wird. In Wien kann ein Drittel aller Bürgerinnen und Bürger aufgrund einer fremden Staatsbürgerschaft nicht wählen.

"Nationales Kulturgut" als Gesetz

"Integration heißt Anpassung": Unter diesem Slogan, den etwa die Wiener FPÖ im Wahlkampf 2010 verwendet hatte, steht das türkise Integrationskapitel. Darin fordert Nehammer unter anderem eine österreichische Leitkultur, "die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspiegeln soll. Damit soll sichergestellt werden, dass Symbole und Verhaltensweisen, die unseren Grundwerten entgegenstehen, rechtlich differenziert behandelt werden können."

Druck auf Heimatländer von Flüchtlingen

Nehammer präsentiert Österreich in seinem Plan einerseits als "Land der internationalen Beziehungen", aber auch als eines, das Druck ausüben möchte. So sei es ein Ziel, weitere Rücknahmeabkommen mit Ländern negativ beschiedener Flüchtlinge abzuschließen. Aber auch die finanzielle Entwicklungsarbeit mit jenen Ländern zu reduzieren, wenn Menschen mit negativem Asylstatus "nicht zurückgenommen werden".

1.000 Euro für Vollzeitarbeit

Bis 2030 will Nehammer einen jährlichen steuerlichen Vollzeitbonus einführen. Demnach soll es 1.000 Euro für alle geben, die Vollzeit arbeiten. "Dabei sollen auch notwendige familiäre Betreuungspflichten berücksichtigt werden", heißt es im Programm des Kanzlers. Zudem sollen alle Überstunden zur Gänze steuerfrei werden.

Lehre für ausländische Fachkräfte

Die türkise Programmatik sieht auch vor, die Lehre internationaler zu gestalten. Konkret suchen Nehammer und Co nach einer Möglichkeit, "dass wir in Zukunft in Österreich ausländische Fachkräfte ausbilden und diese auch in Österreich behalten, sofern es eine entsprechende betriebliche Nachfrage gibt". Der Arbeitsmarkt soll explizit für saisonale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen geöffnet werden, "sofern nachweislich keine einheimischen Arbeitskräfte gefunden werden".

Nein zu Vermögens- und Erbschaftssteuern

Wenig überraschend gibt es von der ÖVP ein dezidiertes Nein zu neuen Vermögens- und Erbschaftssteuern. Vermutlich ist das als Signal an die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu verstehen, die dieser Idee unter SPÖ-Chef Andreas Babler neuen Schwung verliehen haben.

Automatisches Pensionssplitting

Die Volkspartei besteht weiterhin darauf, dass es ein automatisches Pensionssplitting bei der Geburt des ersten Kindes gibt. Dies soll dazu führen, "die partnerschaftliche Aufteilung innerhalb der Familie zu erleichtern sowie Gehaltseinbußen durch Teilzeitarbeit besser auszugleichen". Das türkise Ansinnen war schon in der Koalition mit den Grünen ein Thema – umgesetzt wurde es aber nie. Dem Juniorpartner reichte das Pensionssplitting alleine nicht. Die Grünen verlangten eine breitere Perspektive darauf, "wo Frauenarmut beginnt".

Kostenersatz für Unschuldige

Ein Dauerthema in der Justiz ist, dass Freigesprochene nach jahrelangen Verfahren immense Anwaltskosten zu zahlen haben. Ein prominentes Beispiel ist Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der auf Facebook deshalb sogar einmal um Spenden bat. Nehammers "Österreich-Plan" sieht einen Kostenersatz bei einem Freispruch vor. Ebenso ist darin zu lesen, dass die oft langen Verfahrensdauern verkürzt sollen. Wie, bleibt offen. Darüber hinaus soll aus Sicht des Kanzlers der Persönlichkeitsschutz von Beschuldigten verstärkt werden. Dahinter verbirgt sich wohl unter anderem Zitierverbot aus Strafakten, wie es die ÖVP seit diversen türkisen Causen nicht müde wird zu fordern.

Klarnamenpflicht im Internet

Eine Lücke des Rechtsstaats sieht Nehammer im Bereich des Internet. Der türkise Kanzler fordert eine Klarnamenpflicht. Denn: "Das Internet darf kein identitätsfreier Raum sein."

Klimatickets

Mehr als 260.000 Menschen nutzen in Österreich das sogenannte Klimaticket. Damit lassen sich österreichweit alle Öffis nutzen. Der "Österreich-Plan" sieht eine Erweiterung des Tickets vor. Konkret soll ein solches für Unternehmen geschaffen werden, das bei Dienstfahrten genutzt werden könne. Aber ebenso für Touristinnen und Touristen.

"Grüner Verbrenner" und Milliarden für Straßen

Nehammer bekennt sich zu einer – wie es heißt – "Technologieoffenheit" beim "grünen" Verbrennungsmotor. Das wird innerhalb der türkis-grünen Koalition durchaus unterschiedlich gesehen. Das türkise Konvolut sieht eine Investitionsoffensive von einer Milliarde Euro dafür vor, aber auch einen "Fokus" auf nachhaltige alternative Antriebstechnologien, wie es heißt. Aber auch in Straßen für die "Autos der Zukunft" soll investiert werden: konkret 20 Milliarden Euro bis zum Jahr 2040.

In Sachen Klimaschutz wird eine "100-prozentige bilanzielle Selbstversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern" angestrebt. Jedes Haus soll laut dem türkisen Programm zudem ein "Sonnenkraftwerk" werden, das sich "so gut wie möglich" selbst mit Energie versorgen kann.

Verbot von Hormonbehandlungen unter 18 Jahren

"Der gegenwärtige Hype rund um Gender-Themen und -Ideologien ist für Kinder und Jugendliche eine besondere Herausforderung", heißt es in Nehammers "Österreich-Plan". "Es besteht die Gefahr, dass sich Minderjährige dazu verleiten lassen, fragwürdige Therapien in Anspruch zu nehmen – mit nicht abschätzbaren Folgen für ihr weiteres Leben." Deshalb fordern der Kanzler und seine ÖVP ein Verbot von Hormonbehandlungen unter 18 Jahren. Das dürfte transidente Personen betreffen.

Nationalstadion

Seit Jahren geistert die Idee eines neuen Stadions für die heimische Fußballnationalmannschaft durch das Land. Passiert allerdings nie etwas. Zu türkis-blauen Zeiten stellte Heinz-Christian Strache ein modernes Nationalstadion in Aussicht. Sein grüner Nachfolger Werner Kogler bezifferte die Kosten dafür mit 300 bis 400 Millionen Euro. Nun hat der Stadionbau – im Jahr der Europameisterschaft in Deutschland – in Nehammers Plan Platz gefunden. Geschaffen werden soll in Österreich außerdem ein Kompetenzzentrum für E-Sportlerinnen und -Sportler. (Jan Michael Marchart, 26.1.2024)