Es war ein spektakuläres Leuchtfeuer am Nachthimmel über Mitteleuropa, das den letzten Auftritt des Asteroiden 2024 BX1 am vergangenen Sonntag um 1:33 Uhr mitteleuropäischer Zeit begleitete. Doch was das Ereignis aus wissenschaftlicher Sicht tatsächlich spektakulär macht, sind seine Umstände – von der Entdeckung des nur einen Meter großen und rund hundert Kilogramm schweren Objekts bis zum Fund seiner Überreste in Nauen im Havelland.

Für einen kurzen Moment erleuchtete der Meteor den Nachthimmel über Berlin.
Für einen kurzen Moment erleuchtete der Meteor den Nachthimmel über Berlin.
Aye/Marchis via REUTERS/Michael

Zahlreiche Kameras nahmen den Eintritt des kleinen, 15 Kilometer pro Sekunde schnellen Himmelskörpers in die Erdatmosphäre auf. Zum Teil entstanden die Bilder nicht zufällig, denn es war ein Feuerwerk mit Ansage: 2024 BX1 war nur zweieinhalb Stunden zuvor vom ungarischen Amateurastronomen Krisztián Sárneczky am Piszkéstető-Observatorium im nordungarischen Mátra-Gebirge entdeckt worden.

Deshalb wurde der Asteroid von den Beobachtungsnetzwerken Allsky7 und Fripon (an dem auch das Naturhistorische Museum Wien beteiligt ist) schon erwartet und die Eintrittsflugbahn von mehreren Kameras aufgezeichnet.

Großer Meteor vom 21.01.2024
Über Norddeutschland ging am 21.01.2024 um 01:32 Uhr MEZ ein großer Meteor nieder. Unsere #AllSky7 Kamera hat das Ereignis aufgezeichnet.
Astronomiemuseum
Asteroid exploding in the sky above Germany #berlin #meteor #sar2736 #asteroid
Amazing! In West Berlin
CurryBeatZ

Seltene Beobachtung

2024 BX1 gehörte zu den Apollo-Asteroiden, einer Gruppe sogenannter NEOs – "Near Earth Objects", die der Erdbahn nahekommen und Kandidaten für eine Kollision darstellen. Es war überdies erst der achte Asteroid, der vor seinem Impakt auf der Erde beobachtet werden konnte. Erstmals gelang dies vor mehr als 15 Jahren mit dem Asteroiden 2008 TC3, der knapp einen Tag vor seinem Impakt am 7. Oktober 2008 im Sudan entdeckt wurde. Nur von vier dieser acht Asteroiden konnten in der Folge auch Überreste auf der Erdoberfläche geborgen werden. Drei dieser acht Asteroiden wurden übrigens von Sárneczky entdeckt. Zum Glück haben nicht alle von ihm entdeckten Kleinplaneten die Angewohnheit, mit der Erde zu kollidieren, denn der Astronom hat bereits hunderte dieser Objekte in unserem Sonnensystem gefunden, und manche von ihnen haben Durchmesser von mehreren Kilometern.

Sogar in Oberösterreich konnte der Feuerball vom 21. Jänner beobachtet werden. Dem Obmann vom Astronomischen Arbeitskreis Salzkammergut gelang diese  Aufnahme des verglühenden Asteroiden mit der All-Sky-Meteoritenortungskamera der Sternwarte Gahberg bei Weyregg am Attersee.
Sogar in Oberösterreich konnte der Feuerball vom 21. Jänner beobachtet werden. Dem Obmann vom Astronomischen Arbeitskreis Salzkammergut gelang diese Aufnahme des verglühenden Asteroiden mit der All-Sky-Meteoritenortungskamera der Sternwarte Gahberg bei Weyregg am Attersee.
APA/ERWIN FILIMON

Suche nach Meteoritenbruchstücken

Durch die frühzeitige Entdeckung des Asteroiden und die vielfache Aufzeichnung seines Falls war es möglich, das Gebiet relativ einzugrenzen, in dem Meteoriten niedergegangen sein könnten. Die Beobachtungen deuteten darauf hin, dass der kosmische Eindringling westlich von Berlin in der Atmosphäre zerbrechen würde, eine Prognose, die auch prompt eintraf. Ein kilometerlanger Korridor mit nord-südlicher Ausrichtung wurde skizziert, in dem mit Funden von Meteoritenbruchstücken zu rechnen sein könnte – allerdings unter denkbar schlechten Voraussetzungen, schließlich machten die winterlichen Bedingungen eine gezielte Suche nicht einfacher und Zufallsfunde beinahe unmöglich. Doch schon ab Sonntag machten sich zahlreiche Schatzsucher auf den Weg in die Region. Enthusiastische Laien ebenso wie Wissenschafter und professionelle Meteoritenjäger suchten im brandenburgischen Havelland nach den Steinen aus dem Weltall. Am erfolgversprechendsten ist dabei eine Liniensuche, bei der die Mitglieder eines Teams in kleinen Abständen nebeneinander eine Fläche abgehen. Eine Fundgarantie gibt es freilich niemals.

Erster Fund am Donnerstag

Am Freitag wurden trotzdem die ersten Erfolge der Suche gemeldet: Schon am Vortag war ein vierköpfiges Team kommerzieller Meteoritensucher aus Polen in der Stadt Nauen im Havelland fündig geworden. Sie bargen ein in drei Teile zerbrochenes Fragment mit insgesamt 171 Gramm. Zwei Ungarn konnten am Freitag nach nicht einmal einstündigen Suche den Fund eines 114 Gramm schweren Stückes vermelden, und schließlich fanden zwei Geologiestudenten der Freien Universität Berlin im Nauener Stadtteil Berge zwei kleine Stücke des Meteoriten mit 4,5 respektive 3,1 Gramm. Die beiden gehören einem Suchteam des Berliner Museums für Naturkunde an, an dem auch die Freie Universität und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt beteiligt ist. Und ein Sucher aus Passau konnte auf einem Feld ein weiteres kleines Fragment entdecken.

Meteorit im Havelland: Offenbar Bruchstücke entdeckt?
Vier Freunden aus dem polnischen Poznan gelang der Traum der #Meteoritenjäger: Sie fanden drei Teile des verglühten #Asteoriden 2024 BX1 bei Ribbeck. Und auch die Wissenschaftler des Naturkundemuseums Berlin waren erfolgreich. Dieses Video ist ein Bericht au
rbb24

Außergewöhnlicher Meteorit

Die vom polnischen Suchteam veröffentlichten Bilder weckten kurzzeitig Zweifel, ob es sich tatsächlich um den gesuchten Meteoriten handelte – schließlich zeigte der gefundene Stein eine höchst untypische grau-scheckige Außenseite und die inneren Bruchflächen leuchteten hellgrau, sogar fast weißlich. Doch trotzdem war ganz klar eine hauchdünne Schmelzkruste zu identifizieren, ein untrügliches Indiz für einen Meteoriten. Üblicherweise ist diese Schmelzkruste bei frisch gefallenen Meteoriten in einem satten und samtigen Schwarz gehalten, da der Eindringling beim Eintritt in die Atmosphäre innerhalb von wenigen Sekunden abgebremst, erhitzt und schließlich fragmentiert wird. Zumindest bei den häufigsten Meteoriten, den gewöhnlichen Chondriten, ist dies das übliche Erscheinungsbild. Die Chondrite bestehen im Wesentlichen aus Chondren, kleinen Silikatkügelchen in einer feinen Matrix, kombiniert mit einem mehr oder weniger hohen metallischen Anteil. Sie stellen ein Abbild der ursprünglichen Materie des solaren Nebels dar, aus dem sich schließlich das Sonnensystem gebildet hat.

Rarität

Bei dem Neuankömmling im Havelland handelt es sich zwar ebenfalls um einen Steinmeteoriten, jedoch eindeutig um keinen Chondriten, sondern um einen Vertreter einer viel selteneren Klasse. Während die Chondrite keine oder kaum eine Differenzierung durchlebt haben, gehört der Meteorit aus Nauen offenbar zu der vielfältigen Gruppe der Achondrite. Diese stammen von planetaren Mutterkörpern wie größeren Asteroiden, aber auch dem Mond oder dem Mars, die sich während ihrer Entstehung in einen schweren metallischen Eisen-Nickel-Kern und einen leichteren Mantel differenziert haben. Dementsprechend enthalten Achondrite üblicherweise wenig bis keinen metallischen Anteil.

Eine erste Einschätzung des frischen Meteoritenfalles lautete, dass es sich möglicherweise um einen Eukrit handeln könnte. Die Eukrite sind eine Klasse von Meteoriten, deren Ursprung auf dem Asteroiden Vesta vermutet wird. Unter den Achondriten sind sie verhältnismäßig häufig. Beim Nauener Meteoriten könnte es sich aber eine weitaus größere Rarität handeln: sein Erscheinungsbild deutet darauf hin, dass hier ein Aubrit auf die Erde gefallen ist. Diese Meteorite magmatischen Ursprungs enthalten einen hohen Anteil des magnesiumreichen Minerals Enstatit. Sie sind nach dem Meteoriten Aubres benannt, der im Jahr 1836 bei Nyons in Frankreich gefallen ist.

Unter den über achtzigtausend der Wissenschaft bekannten Meteoriten sind nicht einmal 3900 Achondrite. Und Aubrite wurden überhaupt erst 87 gefunden, von denen die wenigsten mehr als ein Kilogramm auf die Waage bringen. Seit dem Fall von Aubres, also seit fast 188 Jahren, konnte in Europa kein Aubrit mehr entdeckt werden. Wenn sich die Vermutung bestätigen würde, wäre der Fall von Nauen also eine wissenschaftliche Sensation. Hierzu sind allerdings noch gründliche Laboruntersuchungen nötig. Ansgar Greshake, der Kurator der Meteoritensammlung des Berliner Naturkundemuseums, äußert sich jedoch überzeugt, dass es sich tatsächlich um einen Aubrit handelt.

Geschichte einer heftigen Kollision

Der Ursprung der Aubrite wird in der Familie des Asteroiden Nysa vermutet. Aber auch der erdnahe Asteroid Eger ist ein möglicher Kandidat. Und sogar der Planet Merkur wurde in der Vergangenheit schon als Mutterkörper der Aubrite ins Spiel gebracht. Jedenfalls erzählen manche Aubrite von einer äußert bewegten Geschichte: Es handelt sich dabei zumeist um Brekzien, also um ein stark fragmentiertes Material, das aus unterschiedlichen Ursprungskörpern stammen kann. In Aubriten wurden auch schon chondritische Reste gefunden, woraus abgeleitet werden kann, dass es auf dem Mutterkörper der Aubrite zu einem heftigen Impakt eines chondritischen Körper gekommen sein muss.

Die Chancen stehen gut, dass noch weitere Bruchstücke des Meteoriten geborgen werden können. Viele werden wohl in privaten Sammlungen landen, doch nicht zuletzt dank des Fundglückes des eigenen Suchteams werden es Exemplare auch in das Berliner Naturkundemuseum schaffen und so der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zugänglich sein. Dass ein Stück des Nauener Meteoriten auch in der weltgrößten Meteoritenschausammlung im Naturhistorischen Museum in Wien aufschlagen wird, ist aber vermutlich nicht realistisch. Schließlich ist das altehrwürdige Haus am Ring für die Erweiterung der Sammlung in hohem Maße von privaten Gönnern oder staatlichen Schenkungen abhängig. Dennoch wurde dieses Kunststück vom Kurator der Meteoritensammlung, Ludovic Ferrière, in den vergangenen Jahren immer wieder zustandegebracht.

Sammlungszuwächse in Wien

Auf diese Weise fanden zuletzt Stücke des Meteoriten Almahata Sitta ihren Weg in die Sammlung des NHM. Bei diesem Meteoriten handelt es sich um die Überreste des Asteroiden 2008 TC3, also des ersten Asteroiden, der vor seinem Impakt auf der Erde beobachtet werden konnte. Almahata Sitta ist ein primitiver Achondrit der ebenfalls recht raren Klasse der Ureilite und wird aufgrund seiner außergewöhnlichen Geschichte verhältnismäßig hochpreisig gehandelt. Die Exemplare wurden dem NHM von den Sammlern Vincent und Siegfried Haberer zur Verfügung gestellt. Ebenfalls um einen Ureiliten handelt es sich bei dem Meteoriten Northwest Africa 6344, von dem ein 846 Gramm schwerer Brocken in der Sammlung zu sehen ist. Dass seit dem Fall dieses Meteoriten schon eine geraume Zeit vergangen ist, zeigt sich an seiner deutlichen Wüstenpatina. Das faustgroße Stück konnte dank einer finanziellen Spende der Gönnerin Helga Scherer angekauft werden.

Drei Exemplare von Almahata Sitta sind nun in der Sammlung des NHM zu sehen.
Drei Exemplare von Almahata Sitta sind nun in der Sammlung des NHM zu sehen.
Foto: NHM Wien / Ludovic Ferrière
Der Ureilit Northwest Africa 6344 trägt eine Wüstenpatina.
Der Ureilit Northwest Africa 6344 trägt eine Wüstenpatina.
Foto: Michael Vosatka

Und erst vor etwas mehr als einer Woche konnte Ferrière der Schausammlung ein fast 145 Gramm schweres Stück des Mondmeteoriten Northwest Africa 13859 hinzufügen. Das Geschenk von Thea Carlsson ist nun das zweitgrößte Exemplar eines Mondmeteoriten im NHM.

Mit Laâyoune 002 aufgrund einer privaten Schenkung und Gadamis 005 durch eine Geldspende von Bernhard Wandl sind kürzlich noch zwei weitere Exemplare von Mondmeteoriten in die Schausammlung aufgenommen worden. Als er vor zwölf Jahren mit seiner Tätigkeit im Meteoritensaal des Museums begann, gab es lediglich ein einziges Exemplar eines Mondmeteoriten in den Beständen, erzählt Ferrière. Mittlerweile ist ein gutes Dutzend unterschiedlichster Meteorite vom Mond ausgestellt. Auch die noch selteneren Meteorite vom Mars erhielten jüngst Zuwachs: Northwest Africa 6963 und Northwest Africa 8657 gehören beide zu der Marsmeteoritengruppe der Shergottite und kamen wie auch der Achondrit Al Bir Lahlou 001 als Geschenk von Hideyuki Wada aus Japan ins NHM.

Im Bereich der Mond- und Marsmeteoriten in der systematischen Sammlung im Meteoritensaal wird es mittlerweile eng, doch noch vor wenigen Jahren gab es lediglich einen einzigen Mondmeteoriten im NHM. Der neue Mondmeteorit Northwest Africa 13859 ist im Zentrum des Bildes zu sehen, Gadamis 005 liegt darüber, Laâyoune 002 liegt rechts oben. Unterhalb von NWA 13859 liegt der neue Marsmeteorit Northwest Africa 6963.
Im Bereich der Mond- und Marsmeteoriten in der systematischen Sammlung im Meteoritensaal wird es mittlerweile eng, doch noch vor wenigen Jahren gab es lediglich einen einzigen Mondmeteoriten im NHM. Der neue Mondmeteorit Northwest Africa 13859 ist im Zentrum des Bildes zu sehen, Gadamis 005 liegt darüber, Laâyoune 002 liegt rechts oben. Unterhalb von NWA 13859 liegt der neue Marsmeteorit Northwest Africa 6963.
Foto: NHM Wien / Ludovic Ferrière

Manchmal kommen neue Stücke aber auch aufgrund des persönlichen Einsatzes des Kurators im Feld ins NHM. Nach dem Meteoritenfall von Kindberg im Jahr 2020 sorgte Ferrière mit einer Sensibilisierung der lokalen Bevölkerung dafür, dass einige Monate nach dem Fall tatsächlich ein Fragment gefunden werden konnte. Und im Fall des Meteoriten Saint-Pierre-le-Viger – ein weiterer Meteorit, dessen ursprünglicher Himmelskörper von Sárneczky kurz vor dem Impakt im Februar 2023 entdeckt wurde – konnte Ferrière ein von ihm höchstpersönlich in der Normandie gefundenes Exemplar der Museumskollektion hinzufügen. Zur Suche ins Havelland schafft es der Wiener Impaktforscher zu seinem Bedauern jedoch nicht. (Michael Vosatka, 27.1.2024)

Das Exemplar von Saint-Pierre-le-Viger in der Meteoritensammlung des NHM wurde vom Kurator höchstpersönlich gefunden.
Das Exemplar von Saint-Pierre-le-Viger in der Meteoritensammlung des NHM wurde vom Kurator höchstpersönlich gefunden.
Foto: Michael Vosatka