Emmerich Danzer Eiskunstlauf-WM 1966 in Davos
Emmerich Danzer bei der Eiskunstlauf-WM 1966 in Davos, wo er den ersten seiner drei WM-Titel holte.
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Seine Eltern führten in der Josefstädter Straße 11 einen "Kleinhandel mit Obst, Gemüse und Agrumen", deshalb hat Emmerich Danzer, als er vier Jahre alt war, mit dem Eislaufen begonnen. Ganz so direkt war der kausale Zusammenhang nicht, man muss schon ergänzen, dass die Eltern von Hanna Walter, der späteren Europameisterin, im Nebenhaus wohnten und oft zu den Danzers einkaufen gingen. Und dass sie eines Tages den kleinen Emmerich unter ihre Fittiche und mit zum Eislaufverein am Heumarkt nahmen. Der mittlerweile und diesen Freitag exakt 80-jährige Emmerich erinnert sich, als ob es gestern gewesen wäre. "Hannas Vater hat einen Kinderkurs veranstaltet. Und als ich da einmal nur so gerandelt bin oder Fangerl gespielt habe, hat er gesagt, ich soll doch mitmachen."

Zunächst war es vor allem das zahlenmäßige Verhältnis von Buben zu Mädchen, mit dem der junge Danzer sich bald anfreunden konnte. "Das Verhältnis war eins zu zehn." So oder so stellte er sich sehr flott als sehr talentiert heraus, als knapp Zehnjähriger trainierte er schon regelmäßig unter Anleitung von Herta Wächter, der Mitbegründerin der Karl-Schäfer-Eisrevue, die später zur Wiener Eisrevue wurde, die wiederum noch später in Holiday On Ice aufging. Er wuchs als "sehr katholisch erzogenes Kind" in Hernals auf, in der Rosensteingasse, und ging bei den Piaristen nicht nur zur, sondern auch in die Schule. "Damals eine reine Bubenschule. Unter der Woche war die Uniform blau, am Sonntag ging es im weißen Blouson zur Messe. Jeden Sonntag." Und wann es nur möglich war, ging es zum Eislaufverein. Das Kunstlaufen war zu dieser Zeit ungemein populär, die Schaulaufen bei Großevents zählten traditionell zu den meistgesehenen TV-Übertragungen.

Der Siegeszug ging los

Die olympischen Heimspiele 1964 in Innsbruck kamen für Danzer, der noch keine 20 Jahre alt war, wohl etwas zu früh. Er hatte sich den Punkterichtern noch nicht nachhaltig eingeprägt, die großen Jahre des "Pirouettenkönigs" sollten erst kommen. Doch der fünfte Platz konnte sich allemal sehen lassen. 1965 ging Danzers Siegeszug mit dem ersten von vier EM-Titeln in Folge los, ab 1966 gewann er zudem auch drei WM-Titel in Serie, den zweiten davon 1967 daheim am Wiener Eislaufverein (WEV), wo die letzte Freiluft-WM stieg. Ebendort wurde er am vergangenen Sonntag, zum Ende der Saison, anlässlich seines da noch bevorstehenden 80ers groß gefeiert und geehrt.

Als er zu den Olympischen Spielen 1968 reiste, hatte Danzer als großer Favorit zu gelten, doch ausgerechnet in Grenoble zeigte er zum ersten und einzigen Mal Nerven. "Man ist schon aufgeregter als bei Weltmeisterschaften", blickt er zurück. "Es war ja klar, das ist meine einzige Chance auf olympisches Gold." Schon in der Pflicht passierte ihm ein folgenschwerer Fehler bei einer Figur. "Schlangenbogen auf einer Fläche, die kaum größer als ein Speisetisch war. Da bin ich um drei, vier Zentimeter zu weit nach vorne gekommen. Das war's. Meine eigene Schuld." In der Kür trug ihn die Jury auch nicht hinauf, eher im Gegenteil. Schließlich sollte sich der Franzose Patrick Péra über Bronze freuen, Silber ging an den US-Amerikaner Tim Woods, Gold an Danzers Trainingspartner und guten Freund Wolfgang Schwarz. Dem gestürzten Favoriten blieb der undankbare vierte Platz. "Ich bin die wahrscheinlich beste Kür meines Lebens gelaufen, hab auch als einziger einmal die Note 6,0 bekommen", sagt Danzer heute. "Also, den dritten hätte ich schon machen müssen. Aber mir war es eigentlich schon fast wurscht."

Gabriele Seyfert Jutta Müller 1969
Die Beziehung Danzers und der DDR-Kunstläuferin Gabriele Seyfert, im Bild bei ihrem EM-Erfolg 1969 gemeinsam mit ihrer Mutter und Trainerin Jutta Müller, regte die Stasi auf. Sie befürchtete, dass Seyfert und Müller "republikflüchtig" werden könnten.
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Gar nicht wurscht und angeblich "geheim", zumindest liest man das nicht selten, war Danzers Beziehung mit der DDR-Läuferin Gabriele Seyfert. "Aber geh", sagt er, "das war doch bekannt. Natürlich hat es auch die Stasi gewusst. Die haben ja alles gewusst." Die Chemnitzerin, vier Jahre jünger als der Wiener, hatte wie auch er 1967 EM-Gold geholt, zwei weitere EM- und auch zwei WM-Titel sowie Olympiasilber 1968 sollten folgen. Seyfert war die Tochter der Trainerin Jutta Müller, die etwas später dank der unter ihren Fittichen zweimaligen Olympiasiegerin Katarina Witt unter legendär laufen sollte. 1984 vermutete der "Spiegel", dass Müller Ende der Sechziger noch "alle Parteilichkeit aufbieten musste, damit ihre Tochter der Republik erhalten blieb". Denn Tochter Gabi sollte nicht "den österreichischen Star Danzer heiraten und mit ihm bei der Wiener Eisrevue als Profi auftreten".

Die befürchtete Republikflucht

Doch vermutlich lag der "Spiegel" mit seiner Vermutung nicht ganz richtig. Aus Jahre später veröffentlichten DDR-Unterlagen ging hervor, dass die Stasi den "begründeten Verdacht" hegte, es könnten "beide gemeinsam", Seyfert und Müller also, "etwa zum Zeitpunkt des Frühjahrs 1968 republikflüchtig werden". Müller wurde dabei sogar als der "treibende und ausschlaggebende Teil" angesehen. Klar ist, dass auch der Österreicher Danzer ins Visier der Stasi geriet, als sie von seiner Beziehung zu Seyfert erfuhr. Seit 1967, so wollte sie herausgefunden haben, hätten sich nicht nur unter Funktionären und Sportlern, sondern auch "unter der Bevölkerung von Karl-Marx-Stadt Gespräche und Gerüchte über eine beabsichtigte Verlobung bzw. Verheiratung" Seyferts mit Danzer gemehrt. Im November 1967 habe Müller gar "gegenüber Friseusen des Damensalons am Leipziger Platz" von einer bevorstehenden Vermählung und Übersiedlung ihrer Tochter nach Österreich geredet.

Und die Wege trennten sich

Danzer ist seine damalige Beziehung heute weit weniger dramatisch in Erinnerung. "Ja, die Gabi wollte damals zur Eisrevue", sagt er. "Aber das war halt unmöglich." Und er sagt auch: "Wir waren jung. Und unsere Wege haben sich halt wieder getrennt." Ihr Weg führte sie zurück in den Schoß des DDR-Regimes, wenig später heiratete sie einen ehemaligen Eistänzer. Sein Weg führte ihn zu zwei Schallplattenaufnahmen, mit der ersten ("Sag es mir") hielt er sich wochenlang in der Hitparade. "Zwei Wochen war ich sogar vor dem Roy Black." Der Vertrag mit der Plattenfirma hätte drei Aufnahmen umfasst, dennoch beschloss man "in beiderseitigem Einvernehmen", es bei zwei zu belassen. Für Danzer ging es 1968 ins Profilager, zur Eisrevue, später zu Holiday on Ice und in die USA. Zwei Jahre lang war er in Boston, 13 Jahre lang in Lake Placid als Trainer tätig. Seine erste Ehe mit einer US-Trainerin ging in die Brüche, als es ihn 1985 zurück nach Österreich zog. Bei der Bundesländer-Versicherung war er bis zu seiner Pensionierung für Großkunden zuständig. In zweiter Ehe ist er mit Marianne verheiratet, sie hat "mit Eiskunstlaufen gar nichts am Hut".

Emmerich Danzer Eislaufverein 80. Geburtstag
Als Vierjähriger stand er hier zum ersten Mal auf dem Eis. 1967 holte er hier den zweiten seiner drei WM-Titel. Vergangenen Sonntag wurde Emmerich Danzer am Wiener Eislaufverein (WEV) anlässlich seines 80ers am 15. März gefeiert und geehrt.
Helena Lea Manhartsberger

Vor zehn Jahren hat Danzer selbst zum letzten Mal die Schlittschuhe geschnürt, untätig ist er freilich nicht. Manchmal ist Theater angesagt, manchmal Musical. "Und dreimal die Woche mindestens bin ich im Fitnesscenter, um ein bisserl Rad zu fahren, ein paar Gewichte zu heben, Dehnungsübungen zu machen." Im Fitnesscenter ist er mittlerweile jedenfalls öfter als in der Kirche. Ab und zu geht er zur Messe, aber längst nicht mehr so regelmäßig wie damals. Wie damals, als er die Uniform der Piaristen trug, sich über das zahlenmäßige Verhältnis von Buben zu Mädchen am Heumarkt freute und die Eltern das Obst- und Gemüsegeschäft in der Josefstadt führten. (Fritz Neumann, 14.3.2024)