Vom britischen Mathematiker, Philosophen und Ökonomen Frank Plumpton Ramsey, einem Freund Ludwig Wittgensteins und John Maynard Keynes‘, stammt der Ansatz, dass die Wohlfahrt künftiger Generationen nicht weniger wert sein darf als die der gerade Lebenden. Das ökonomische Konzept ist so schlicht wie überzeugend, und so haben es zunehmend viele Leute in der Politik übernommen. Es ist die Basis aller vernünftigen Klimapolitik, und allgemein gilt heute Gleichgültigkeit gegenüber der langfristigen Zukunft jenseits des eigenen Lebenshorizonts als verwerflich. Nach uns darf es keine Sintflut geben.

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Setzen Bund und Länder auf die Milchmädchenrechnung?
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Die österreichische Budget- und Wirtschaftspolitik hingegen scheint davon noch nichts gehört zu haben, ganz im Gegenteil. Sie türmt seit vielen Jahren schon Wassermassen auf, die über unsere Nachkommen hereinbrechen werden, oder weniger biblisch ausgedrückt: Der österreichische Staat häuft geradezu mit Begeisterung Schulden auf Schulden, als gäbe es kein Morgen. Dumm nur: Es wird ein Morgen geben.

Zu den Fakten: Österreich hat, gemessen am BIP, die vierthöchste Steuer- und Abgabenquote der EU (die fünfthöchste der Welt), mit derzeit 43,2 Prozent, das sind 205 Milliarden Euro pro Jahr. Die Republik beschafft sich also sehr viel Geld von ihren Bürgerinnen und Bürgern – aber bei weitem nicht genug für ihre Ausgaben. Der Rest wird auf Pump finanziert. Die Staatschulden betragen mittlerweile 370 Milliarden Euro oder 78 Prozent des BIP – die achthöchste Quote in der EU und weit über der Maastricht-Vorgabe von maximal 60 Prozent.

Einfach mehr Geld?

Das muss für sich genommen nicht unbedingt schlecht sein, und es gibt sogar eine durchaus auch von ernstzunehmenden Leuten rezipierte Theorie, die einen derartigen lockeren staatlichen Umgang mit vorhandenem oder nicht vorhandenem Geld stützt, nämlich die Modern Monetary Theory (MMT). Laut MMT sind Regierungen Geldemittenten und können daher nicht auf die gleiche Weise betrachtet werden wie Haushalte und Unternehmen, die Geldnutzer sind. Als Geldemittenten können Staaten auch, solange sie sich auf Anleihen in der eigenen Währung beschränken, nicht in Insolvenz geraten. Sie müssen gegebenenfalls einfach mehr Geld produzieren.

Stimmt das? Man kann Staaten als Beispiele anführen, die tatsächlich anscheinend unbegrenzt Geld produziert haben oder produzieren, etwa die Weimarer Republik oder in der Gegenwart Simbabwe, Venezuela und der Libanon. Diese Staaten zeigen zugleich, dass das keine gute Idee ist: Wenn die Geldmenge schneller wächst als die Menge an Pizza, dann wird der Preis pro Pizza einfach steigen – es ist die Menge an Pizza, die den Wohlstand bestimmt, nicht die Geldmenge. Die steigenden Pizza-Preise sind einfach Inflation; die Regierungen dieser Länder treiben die Bürgerinnen und Bürger dadurch in die Armut, wie seinerzeit die Fürsten, die für den eigenen Geldbeutel einfach ein Stück von den Münzen abzwacken ließen.

Produktive Investitionen

Um ein derartiges Ausufern der staatlichen Begehrlichkeiten zu verhindern, sind Regierungen nach heutigem westlichem Muster nicht nur de jure, sondern auch de facto nicht Geldemittenten: Monopolist der Geldschöpfung sind die Zentralbanken, und die sind unabhängig, auch in Österreich und im Euroraum.

Aber das eigentliche Problem der Modern Monetary Theory liegt anderswo, und zwar in der Nichtdifferenzierung staatlicher Ausgaben: Nicht alle Ausgaben sind gleich gut. Entscheidend ist nämlich nicht die Herkunft von Geld, Steuern oder Schulden, sondern die Frage, wie es verwendet wird: für wertschöpfende oder für wertvernichtende Projekte.

"Keine Angst, Österreich steht (noch) nicht am Abgrund. Es ist immer noch eines der reichsten und zufriedensten Länder der Welt. Nur leider hat es begonnen, schlafzuwandeln, und das ist ziemlich gefährlich."

Produktive staatliche Investitionen sind etwa Ausgaben für Bildung, Sicherheit und in die physische oder rechtliche Infrastruktur: Ausgaben, die die Bürgerinnen und Bürger befähigen und anreizen, mehr Wohlstand zu schaffen, sind wertschöpfend. Dem stehen Ausgaben für den Konsum gegenüber, etwa Pensionen, und Beihilfen. Auch wenn es für uns als Gesellschaft wichtig ist, dass wir Bedürftigen helfen, so schaffen diese Ausgaben keinen zukünftigen Wert, sondern müssen aus dem Wert finanziert werden, der anderswo geschaffen wird. Produktive Investitionen sind sozusagen selbstdeckend, Ausgaben für den Konsum muss man sich leisten können.

Wo der Fehler liegt

Das Kalkül von Bund und Landesregierungen in Österreich, die seit Jahren ungezielt Milliarden-"Pakete" für dieses oder jenes ausgeben, sind wie die berühmte Milchmädchenrechnung: Während sie sich ausmalt, was sie mit den Einnahmen aus dem Milchverkauf machen und wie sie diese mehren kann, verschüttet sie, unachtsam, die Milch, nämlich den Reichtum des Staates. Dabei liegt der Fehler nicht in der Rechnung, diese kann durchaus manchmal richtig sein, "Milchmädchen" sind ja nicht dumm. Der Fehler liegt in einer Art traumwandlerischen Vernichtung der Voraussetzung für die Traumverwirklichung.

Keine Angst, Österreich steht (noch) nicht am Abgrund. Es ist immer noch eines der reichsten und zufriedensten Länder der Welt. Nur leider hat es begonnen, schlafzuwandeln, und das ist ziemlich gefährlich. Wir müssen nicht so weit gehen wie die Schweiz mit ihren 28,7 Prozent Steuerquote und 27,6 Prozent Schuldenquote oder Irland (21,9 Prozent/58,8 Prozent). Aber wir müssen uns in diese Richtung bewegen, darauf achten, dass der Staat Österreich nur so viel an Ausgaben tätigt, wie er sich leisten kann, und zugleich auf produktive Investitionen setzt. Die Regierung hat unser achtsames "Milchmädchen" zu sein. Die Party mit hohen Steuern, hohen Schulden und noch höheren Ausgaben ist vorbei. (Veit Dengler, 5.4.2024)