Meine Karriere basiert maßgeblich auf der mutigen Entscheidung eines jungen Regisseurs, namentlich Adrian Goiginger, der beschloss, mich seine heroinabhängige Mutter im Drama Die beste aller Welten spielen zu lassen. Mutig war er nicht, weil ich nicht gut gewesen wäre – ich bin tatsächlich sogar ziemlich gut –, mutig war er, weil ich das bis dahin noch nie zeigen konnte. Bis dahin hatte ich Prostituierte, junge Geliebte und hübsche Sekretärinnen gespielt. Tiefgang konnte ich am ehesten über mein Dekolleté zeigen. Adrian Goiginger war mutig, und verrückt wahrscheinlich auch, und beides gehört für mich maßgeblich zur Kunst.

Heute darf ich immer wieder zeigen, dass ich spielen kann. Für mich bedeutet das, eine Rolle komplex, interessant und gleichzeitig nachvollziehbar anzulegen. Dabei sind Regisseurinnen und Regisseure darauf angewiesen, dass ich beim Spielen mutig genug bin, verrückt zu sein. Und dafür müssen sie mir vermitteln, dass ich in Sicherheit bin. Denn nur wenn ich mich sicher fühle, zeige ich, was in mir tief drinnen liegt. Um diese kleine Wahrheit zu erleben, muss man keine Schauspielerin an einem Filmset sein, sie gilt auch in unseren Beziehungen und Freundschaften.

"Normal, das ist fad und das ist zu eng."

Je unsicherer ich bin, desto normaler werde ich mich geben. Ich bin gern ein soziales Chamäleon, das sich durch Beobachtung und Nachahmung nahtlos an seine Umgebung anpasst, bis es gar nicht mehr auffällt. Noch lieber bin ich aber verrückt, lebe, was früher der Hofnarr war: Darf mich durch alle Schichten und an allen Orten bewegen, darf mich im Stall und in dunklen Gassen herumtreiben und neben der Königin zu Abend speisen. Darf Witze über die Obrigkeit machen und mich anziehen, wie ich will – "lass sie, sie ist Künstlerin".

In der Kunst braucht es den Mut zur Verrücktheit zwingend. Normal, das ist fad und das ist zu eng. Aus Normalität gebären wir keine Utopien und keine Dystopien, die Enge lässt uns den Abgrund nicht erkennen, der unter allem liegt.

Häufiges Missverständnis

An dieser Stelle braucht es einen kleinen Exkurs zu #MeToo: Ein häufiges Missverständnis in den Debatten rund um sexualisierten Machtmissbrauch ist, dass strenger Arbeitsschutz und ein Klima von Sicherheit dazu führen, dass man "nix mehr sagen darf", dass keine Flirts mehr erlaubt sind, dass insofern jeglicher Witz und jegliche Romantik sterben müssen. Dass das Herstellen der Kunst und die Kunst selbst langweilig werden. Das Gegenteil ist der Fall. Aus dem Gefühl von Sicherheit entsteht Spaß, entsteht Verständnis, entsteht diese Herrlichkeit der Grenzenlosigkeit. Salopp gesagt: Die respektvollsten Sets, an denen ich arbeiten durfte, waren die, wo die dreckigsten Witzchen gemacht werden konnten (und heimlich am meisten geschmust wurde).

"Eine Traube sieht die andere und wird reif."

Zusätzlich zur Sicherheit brauche ich das Gefühl, dass auch mein Gegenüber mutig und verrückt ist. Eine Traube sieht die andere und wird reif. Mutige, verrückte Regie vermittelt mir Vertrauen. Zuletzt durfte ich mit Marie Kreutzer den ORF-Landkrimi Acht drehen. Marie Kreutzer hat in Corsage bewiesen, was für eine mutige Regisseurin sie ist: Ein leerer Gang im Schloss, aber es stehen gestapelte Stühle wie kurz vor einem Event in einer Messehalle, Sissi verlässt den Mittelfinger zeigend die Gesellschaft, sie tanzt ganz frei, sie steht riesenhaft in einem Zimmer, das eben noch Normalgröße hatte, wie eine Puppe, die ihrer Puppenstube entwachsen ist und jetzt mit jeder Bewegung kaputttrampeln muss, was sie umgibt.

Mutig forschen

Ich vertraue durch ihren Mut und wegen dieser verrückten Ideen ihr als Regisseurin. Und so kann ich in einer kurzen Szene, die im Acht-Drehbuch lautet "Sie legt ihren Ehering ab, wir sehen ihren Rücken", mich trauen, Folgendes zu tun: Ich lege den Ring ab, bewege dann meine Arme, als ob ich mich strecken wollte, will testen, wie viel Raum ich einnehme, wenn ich mich ausbreite, wie viel Luft übrig bleibt, wenn ich mehr als sonst verdränge. Es ist nichts Großes, aber es ist für mich noch mehr als "Sie legt ihren Ehering ab". Ich traue mich, das anzubieten, weil ich Zeit und Raum habe zu erforschen, was dieser Satz für mich und meine Rolle eigentlich bedeutet; ich mache mehr, als zu erfüllen, was dasteht. Weil ich weiß, ich darf mich trauen. Weil ich meiner Regisseurin vertraue, dass sie mich sieht und Wert darauflegt, dass ich mutig forsche. Schauspiel und Regie in Gleichklang, ertastend, was passiert, wenn wir hinter diese verschlossene Tür schauen.

Altenberger Kafka Serie ORF
Verena Altenberger in der Serie "Kafka" als Robert Musil.
Foto: ORF/Superfilm

Ein anderer mutiger Verrückter ist David Schalko. Er ließ mich in der Mini-Serie Kafka einen Mann spielen, und zwar keinen Geringeren als Robert Musil. Mit flach gequetschter Brust und breiten Schultern und Schnauzbart und allen Eigenschaften, die sonst noch zum Mannsein gehören (viel Zigarettenrauch).

Ich liebe meinen Beruf und alle Begegnungen, die mich im Spiel und dadurch im Leben lehren, dass ich vertrauen darf, dass ich immer noch mutiger werden und so verrückt bleiben darf, wie ich das vermutlich schon immer war. Und wenn das andere inspiriert, dann ist aus dem Spiel Utopie geworden. (Verena Altenberger, 6.4.2024)