Egisto Ott, Martin Weiss, Jan Marsalek
Egisto Ott (links), Martin Weiss (Mitte) und Jan Marsalek (rechts): ein mutmaßliches Netzwerk, in dem geheimste Informationen die Runde machten.
Standard/Lukas Friesenbichler; Fotos: ZackZack/Youtube, Spiegel, Mathias Cremer, Imago, Adobe Stock, BMI

Auf der einen Seite stehen bei Spionageoperationen die Ausführer und Beschaffer, die Männer fürs Grobe. Da wäre etwa der frühere Staatsschützer Egisto Ott aus Kärnten, der mutmaßlich hunderte illegale Abfragen durchgeführt, gestohlene Smartphones von Spitzenbeamten besorgt und Kreml-kritischen Personen hinterhergeschnüffelt hat. Oder Orlin Roussev, ein 46-jähriger Bulgare, der im beschaulichen britischen Städtchen Great Yarmouth als IT-Berater gelebt haben soll, bevor ihn die Ermittler als Anführer eines russischen Spionagerings identifiziert haben.

Auf der anderen Seite stehen die Dirigenten, die aus der Ferne Operationen leiten. Ihre Namen bleiben oft unbekannt, sie sind meist gut geschützt vor dem Zugriff durch feindliche Staaten. Einen Mann gibt es aber, der trotz größter Prominenz und deutschlandweiten Aushangs auf Fahndungsplakaten in die Reihen der führenden Spione vorgedrungen ist: der Ex-Wirecard-Spitzenmanager Jan Marsalek. Dass er nach seiner Flucht vor Konsequenzen im milliardenschweren Betrugsfall Wirecard offenbar zu einem aktiven Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB wurde, ist wohl eine weitere Finte des Kreml, um Deutschland zu düpieren. Auch wenn Marsaleks Kontakte und IT-Fähigkeiten nicht zu unterschätzen sind.

Marsalek leitete also Roussev und dessen fünfköpfiges Team bulgarischer Mitverschwörer quer durch Europa. Das geht aus sichergestellten Chats hervor. Die britische Justiz wirft der Bande vor, gemeinsam mit Marsalek die Sicherheit und Interessen des britischen Staats gefährdet zu haben, indem sie für Russland Informationen gesammelt und Zielpersonen ausgespäht haben.

"Max" und die "Pakete"

Zu ihren Kontaktpersonen zählte auch Ott. Marsalek wies Roussev im Juni und im November 2022 an, nach Wien zu fahren, um dort "Pakete" abzuholen. Zunächst vermutlich die gestohlenen Smartphones dreier Spitzenbeamter aus dem österreichischen Innenministerium, dann einen "Sina"-Laptop, der etwa in deutschen Sicherheitsbehörden zum Einsatz kommt. Die Übergaben fanden an der Adresse von Otts Ex-Schwiegersohn statt, der von der Sache nichts gewusst haben will.

Abgeholt hat die Sachen dort gemäß den Chats ein gewisser "Max". Offiziell heißt der Mann Bizer Dzhambazov. Er sitzt in Großbritannien in U-Haft, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin. Die beiden sollen sich als freundliche bulgarische Auswanderer inszeniert haben, während sie heimlich für Russland spioniert haben sollen.

Dass "Max" auf Anweisung von Marsalek bei Otts früherem Schwiegersohn auftauchte, bringt den ehemaligen Verfassungsschützer in große Schwierigkeiten. Ott, der seit sieben Jahren im Visier der Ermittler steht, erklärte dazu nur, er sei journalistisch tätig gewesen und habe den Sina-Laptop einem "Informanten" übergeben, die Handys der Spitzenbeamten aber vernichtet. Die Ermittler glauben ihm nicht, er sitzt mittlerweile seit zwei Wochen in Untersuchungshaft.

Ein großes Puzzlestück fehlt allerdings in der Kontaktkette Marsalek/Roussev/Ott noch, gewissermaßen der vierte Mann im Spionagequartett: der frühere BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss.

Ein merkwürdiges Paar

Genau wie Egisto Ott ist er ein Urgestein unter den Staatsschützern. Gemeinsam waren die beiden in den 1990er-Jahren Teil der Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Terrorismus, der Vorgängerin des BVT. Ott war für Russland und andere osteuropäische oder zentralasiatische Staaten zuständig, Weiss für Iran, Irak und Afghanistan. Als nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 das BVT gegründet wurde, beauftragte der damalige Direktor Gert-René Polli dann Weiss mit dem Aufbau der Außenstelle am Flughafen Schwechat.

Nach einem Intermezzo in Brüssel wurde Weiss dann Leiter der besonders mächtigen Abteilung 2 im Verfassungsschutz. Dort liefen alle Informationen zusammen; lange Zeit war Weiss zuständig für die Referate Extremismus, Nachrichtendienst, Terrorismus, Analyse, Auswertung und IKT. Dort bekam er einen persönlichen Assistenten, zumindest für wenige Monate: Egisto Ott.

"Eine gute Nachricht: Unser Freund wurde vor zwei Stunden von der Polizei freigelassen."
Jan Marsalek informierte seine Spionagekontakte über die Enthaftung von Martin Weiss.

Besonders beliebt ist Weiss im Verfassungsschutz nicht. Frühere Kolleginnen und Kollegen beschreiben ihn fast einhellig als intrigant und servil; als jemanden, der gern und oft über andere lästert oder ihnen das Gefühl gibt, die Vorgesetzten ganz oben hielten sie für schlecht. Oft klärt sich für Personen, zwischen die Weiss einen Keil getrieben hat, erst nach Jahren, welch doppeltes Spiel der Abteilungsleiter getrieben hat.

Ott und Weiss müssen ein merkwürdiges Paar abgegeben haben: auf der einen Seite der bullige, verschlagene und präpotente Chefinspektor; auf der anderen der hagere Brillenträger mit zweifachem Magistertitel. Und doch finden die beiden zueinander, mehr noch: Sie bauen gemeinsam mit Marsalek eine "nachrichtendienstliche Zelle" im Verfassungsschutz auf, deren Kapazitäten von russischen Geheimdiensten genutzt werden. So beschreiben es zumindest die Ermittler der AG Fama. Über ihre Motive kann nur spekuliert werden: Womöglich sind es Frust und das Gefühl versagter Wertschätzung. Womöglich wollen sich beide ein gutes Zubrot verdienen.

Im Jahr 2015 soll Weiss bei einer Veranstaltung auf den damaligen Spitzenmanager Jan Marsalek getroffen sein. Ermittlungsergebnisse zeigen, dass Ott schon wenig später begann, mutmaßlich illegale Abfragen mit Bezügen zu Wirecard oder Russland zu tätigen. Chats legen nahe, dass auch Weiss davon gewusst hat – ein Abteilungsleiter, der seinen übergelaufenen Untergebenen zumindest deckt, wenn nicht sogar ermutigt.

Das Konvolut

Ab 2017 mischen die beiden auch bei jener Intrige mit, die schließlich in die Zerstörung des BVT münden soll. Ermittler halten Ott für den Verfasser eines Konvoluts voller Vorwürfe gegen Beamte, das anonym an Behörden, Politiker und Journalisten ergeht. Nachdem die Korruptionsstaatsanwaltschaft dazu Ermittlungen einleitet, tritt Weiss als Belastungszeuge auf – kurz zuvor hat er einen Termin beim neuen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) absolviert. Die Aussagen von Weiss und anderen Personen, die alle mit Ott und Weiss verbunden waren, führen schließlich zur Razzia im BVT.

Dort ist Weiss schon länger nicht mehr präsent. Krankheitsbedingt bleibt er dem Amt lange fern, dann lässt er sich ab 2018 karenzieren. Wenige Tage nachdem die Hausdurchsuchung im BVT die Existenzen zahlreicher Ex-Kollegen auf lange Zeit zerstört, tritt Weiss seinen neuen Job an: als Berater von Jan Marsalek. Und zwar bei der mittlerweile liquidierten IMS Capital in München.

Die enge Bande ins BVT bleibt aber bestehen. Weiss wendet sich im Auftrag von Marsalek weiterhin wegen geheimer Staatsschutzabfragen an Ott. Etwa 25 davon sollen es zwischen Ende 2018 und Ende 2020 gewesen sein, obwohl Ott eigentlich in die Sicherheitsakademie versetzt und keinen Zugriff auf Datenbanken mehr haben soll. Die Aufträge gibt Weiss in einer Einvernahme zu. Dafür habe er sich etwa den Tarnnamen "John Green" verpasst. Das Pikante dabei: Seit 2017 steht Ott für ausländische Ermittler längst im Verdacht, für Russland zu spionieren.

Marsaleks Verschleierung

Aber das Duo macht weiter. Weiss und Ott kommt bei der Flucht Marsaleks im Juni 2020 eine wichtige Rolle zu, als der deutsche Finanzdienstleister Wirecard in sich zusammengebrochen ist. Weiss hat bereits zugegeben, für Marsalek den Flug von Bad Vöslau nach Minsk mitorganisiert zu haben. Bisher unbekannt war Otts mutmaßliche Mithilfe: Ermittler fanden auf dessen Handy die Reisepassdaten eines russischen Geschäftsmanns mit georgischen Wurzeln. Die soll Marsalek verwendet haben, um seine Flucht zu verschleiern.

Den Flug organisierte auch Thomas Schellenbacher, ein früherer Nationalratsabgeordneter der FPÖ, der in eine Affäre rund um Oligarchengeld aus der Ukraine für die Freiheitlichen involviert war und später in einer anderen Sache wegen Betrugs ins Gefängnis musste. In seiner Einvernahme zur Sache erzählte Schellenbacher von zahlreichen anderen Tätigkeiten, die Weiss während und nach seiner Zeit im BVT betrieben haben soll: Er soll demnach als Subunternehmer für die Nationalbank tätig gewesen sein, sich mit Waffenexporten nach Dubai beschäftigt und an Plänen für eine Munitionsfabrik in der Türkei mitgearbeitet haben.

Weiss selbst wird wegen der Fluchthilfe für Marsalek im Frühjahr 2021 in Wien festgenommen. Er darf jedoch wieder nach Dubai ausreisen, weil er den Behörden verspricht, für weitere Einvernahmen zur Verfügung zu stehen.

Dubai als "sicherer Hafen"

Aber Weiss kooperiert nicht mehr mit Österreichs Justizbehörden. Im vergangenen April hätte sich Weiss am Wiener Straflandesgericht wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs verantworten müssen. Weiss soll gemeinsam mit vier weiteren Kollegen im Verfassungsschutz die Finger mit im Spiel gehabt haben, als das BVT im Jahr 2015 im Auftrag des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad einen "Foltergeneral", dem Menschenrechtsverletzungen in Syrien vorgeworfen werden, in Wien versteckt hatte. Doch Weiss bleibt der Verhandlung fern – aus angeblich gesundheitlichen Gründen. Das Verfahren gegen Weiss wird schließlich abgebrochen, für seine vier Ex-Kollegen gibt es Freisprüche. Weiss ist für die Justizbehörden nicht greifbar. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es kein Auslieferungsabkommen. Weiss ist in Dubai also vor österreichischen Ermittlern sicher.

Dieses Gefühl bekam Weiss zuvor auch von der Münchner Staatsanwaltschaft vermittelt. Dort sprach der Ex-BVT-Abteilungsleiter in einer Einvernahme im April 2022 über sein "Dubai-Handy", mit dem er mit Marsalek auch nach dessen Flucht weiterhin in Kontakt stand – und vielleicht noch immer steht. Das Protokoll des Gesprächs legt nahe, dass die deutschen Justizbehörden Weiss damals Zusagen gemacht haben dürften und Dubai für den Ex-Agenten als "sicheren Hafen" ansahen.

"Wenn es noch irgendetwas gibt, wir finden für alles eine Lösung", sagte ein deutscher Staatsanwalt zu Weiss. "Wir haben uns an die Zusagen alle gehalten, die Sie hierher gebracht haben." Die heimischen Behörden wussten nichts davon. Nur wenige Wochen später stellte die Münchner Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Weiss ein, das sich um die Fluchthilfe rund um Marsalek drehte. Mangels Tatverdachts, wie die Anklagebehörde Profil mitteilte. Laut dem Magazin soll das Protokoll zur Weiss-Einvernahme mehr als 100 Seiten lang sein. Allerdings sei das an Weiss’ Redebedürfnis gelegen, erklärt die Staatsanwaltschaft, nicht an der Brisanz des Inhalts.

Auf österreichischer Seite steigt derweil der Stresspegel. Die heimischen Behörden warten nach Otts nunmehriger Inhaftierung bisher vergeblich auf einen Haftbefehl gegen Weiss. Im Justizministerium soll dem Vernehmen nach eine Vorlage dazu liegen. Das Ressort hält sich zu dessen Inhalt auf Nachfrage des STANDARD aber vorerst bedeckt. Laut Kurier sei Weiss aber offenbar zu Aufenthaltsermittlungen ausgeschrieben.

"Our friend"

Heimischen Staatsschützern geht dieser Prozess der Justiz allerdings viel zu langsam. Dort hegt man die Befürchtung, dass sich Weiss bald aus Dubai absetzen könnte, etwa nach Russland – sofern das nicht schon passiert ist. Auch die AG Fama, das ermittelnde Konsortium in der Spionagecausa, regte im Februar dieses Jahres in einem umfassenden Anlassbericht eine Festnahme von Weiss an.

Immerhin wurde Weiss schon einmal "evakuiert" – und zwar mithilfe von Marsalek höchstselbst. Damit prahlte der Ex-Wirecard-Vorstand in Chats. Und auch Roussev, der Anführer des bulgarischen Spionagerings, dürfte Weiss kennen. Denn in den Chats spricht Marsalek von ihm als "our friend".

Ex-Verfassungsschützer Martin Weiss ließ eine ausführliche Anfrage des STANDARD zur Causa unbeantwortet. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 13.4.2024)